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Rede von Viktor Orban: Ungarn im Wandel der Systeme

Rede von Viktor Orban: Ungarn im Wandel der Systeme

Rede von Viktor Orban: Ungarn im Wandel der Systeme

Das Bild zeigt Ungarns Ministerpräsidenten Viktor Orbán.
Das Bild zeigt Ungarns Ministerpräsidenten Viktor Orbán.
Ungarns Ministerpräsident Viktor Orbán: Grundsatzrede in Rumänien Foto: picture alliance / ASSOCIATED PRESS | Alexandru Dobre
Rede von Viktor Orban
 

Ungarn im Wandel der Systeme

Ungarns Präsident Viktor Orbán spricht bei der 33. Freien Sommeruniversität in Bálványos über die wichtigen Themen der Zeit. Dem Ukraine-Krieg, seinem Verhältnis zu den USA und seinem Unverständnis über die deutsche Politik widmet sich der Staatsmann. Die JF dokumentiert die Rede in voller Länge.
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Viktor Orbán sprach auf der 33. Freien Sommeruniversität in Bálványos über den Fortschritt in den ungarisch-rumänischen Beziehungen, die Kritik an Ungarns Friedensmission und die zukünftige Weltordnung nach dem Krieg. Er betonte die Bedeutung einer gesamtungarischen Perspektive und die Notwendigkeit einer proaktiven Vorbereitung auf kommende Herausforderungen. Die JF dokumentiert die Rede in voller Länge.


Guten Tag!

Liebe Teilnehmer des Lagers und liebe Gäste!

Die erste gute Nachricht ist, daß mein Besuch in diesem Jahr nicht so viel Aufsehen erregt hat wie im letzten Jahr. Dieses Jahr haben wir, habe ich keine diplomatische Demarche aus Bukarest erhalten. Jedoch habe ich eine Einladung zu einem Treffen mit dem Ministerpräsidenten zu einer Unterredung erhalten, die gestern auch stattgefunden hat. Letztes Jahr, als ich mit dem rumänischen Ministerpräsidenten zusammentraf, sagte ich nach dem Treffen, daß dies der Beginn einer wunderbaren Freundschaft sei.

Und in diesem Jahr, am Ende des Treffens, konnte ich sagen, daß wir Fortschritte machen. Wenn wir uns die Zahlen ansehen, dann stellen wir neue Rekorde in den Wirtschafts- und Handelsbeziehungen zwischen unseren beiden Ländern auf. Rumänien ist heute schon der drittwichtigste Wirtschaftspartner Ungarns. Ich habe mit dem Ministerpräsidenten über einen Hochgeschwindigkeitszug zwischen Budapest und Bukarest, einen TGV, und über die Schengen-Mitgliedschaft Rumäniens gesprochen und zugesagt, dieses Thema auf die Tagesordnung des Rates Justiz und Inneres im Oktober und gegebenenfalls im Dezember zu setzen und nach Möglichkeit voranzubringen.

Nicht aus Bukarest, aber damit wir uns nicht langweilen, haben wir aber doch eine Demarche aus Brüssel erhalten. Sie haben die ungarischen Bemühungen um eine Friedensmission verurteilt. Ich habe versucht zu erklären, daß es so etwas wie eine christliche Pflicht gibt, aber ich hatte keinen Erfolg. Was letztlich doch darin bestehen würde, daß wenn man etwas Schlimmes in der Welt sieht, vor allem etwas sehr Schlimmes, und wenn man die Mittel dazu hat, dann ist es eine christliche Pflicht, ohne besondere Überlegungen und Grübeleien zu handeln. Bei der ungarischen Friedensmission geht es um diese Aufgabe.

Krieg ist Frieden in Neusprech

Ich möchte daran erinnern, daß die Union einen Grundlagenvertrag hat, der folgenden Satz enthält: „Ziel der Union ist es, den Frieden […] zu fördern.“ Brüssel beschwert sich auch darüber, daß wir das, was sie tun, eine Pro-Kriegs-Politik nennen. Ihrer Ansicht nach unterstützen sie den Krieg im Interesse des Friedens. Mitteleuropäer wie wir werden sofort an Wladimir Iljitsch Lenin erinnert, der lehrte, daß der Staat mit dem Aufkommen des Kommunismus absterben wird, aber der Staat wird absterben, indem er vorher kontinuierlich stärker wird.

Auch Brüssel schafft Frieden, indem es ständig den Krieg unterstützt. So wie wir Lenins These im Universitätsseminar über die „Geschichte der Arbeiterbewegung“ nicht verstanden haben, verstehe ich die Brüsseler in den Sitzungen des Europäischen Rates auch nicht. Vielleicht hat Orwell ja doch recht, wenn er sagt, daß Frieden Krieg ist, Krieg ist Frieden in Neusprech.

Spätestens mit Trump ändert sich die Ukraine-Politik

Erinnern wir uns aber daran, daß trotz aller Kritik seit Beginn meiner Friedensmission der amerikanische und der russische Verteidigungsminister miteinander gesprochen haben, der Schweizer und der russische Außenminister verhandelt haben. Präsident Selenskyj hat endlich Herrn Präsident Trump angerufen, und der ukrainische Außenminister reiste nach Peking. Das heißt, die Gärung hat also begonnen. Wir bewegen uns langsam aber sicher von einer europäischen Pro-Kriegs-Politik hin zu einer Pro-Friedens-Politik. Das ist notwendig, denn die Zeit ist auf der Seite der Friedenspolitik.

Den Ukrainern ist der Groschen bereits gefallen, jetzt müßten nur noch die Europäer zur Besinnung kommen, solange es noch nicht zu spät ist. Trump ante portas. Wenn Europa bis dahin nicht zu einer Politik des Friedens übergeht, wird es dies nach Trumps Sieg tun müssen, indem es seine Niederlage eingesteht, sich schämt und die alleinige Verantwortung für seine Politik übernimmt.

Zukunftsthemen nach dem Krieg

Aber, meine Damen und Herren, das Thema meiner heutigen Rede ist nicht die Friedensmission. Was ich bisher gesagt habe, betrachten Sie, bitte, als eine Abschweifung. In Wirklichkeit liegen heute drei große Themen für diejenigen auf dem Tisch, die über die Zukunft der Welt und der Ungarn in ihr nachdenken. Das erste ist der Krieg. Genauer gesagt, eine unerwartete Nebenwirkung des Krieges. Denn der Krieg offenbart die Realität, in der wir leben. Diese Realität war vorher nicht sichtbar und konnte nicht beschrieben werden, aber im Blitzlichtgewitter der Kriegsraketen ist sie es geworden.

Das zweite große Thema, das auf dem Tisch liegt, ist: Was passiert nach dem Krieg? Wird eine neue Welt kommen oder wird die alte weiterbestehen? Und wenn eine neue Welt kommt, und das ist unser drittes großes Thema, wie muß sich Ungarn auf diese neue Welt vorbereiten? Die Situation ist so, daß ich über alle drei Themen sprechen muß, und ich muß sie hier ansprechen. Erstens, weil es sich um große Themen handelt, die am besten im Rahmen einer freien Universität diskutiert werden. Zweitens ist ein gesamtungarischer Ansatz erforderlich. Es wäre zu eng, diese Themen nur aus der Perspektive von Klein-Ungarn zu betrachten, und deshalb ist es gerechtfertigt, diese Themen vor den Ungarn im Ausland zu diskutieren.

Die Machtverhältnisse in Europa

Dies sind große Themen mit vielschichtigen Zusammenhängen, und es ist offensichtlich, daß auch die breite Öffentlichkeit nicht über alle wichtigen Grundinformationen verfügen kann, daher werde ich von Zeit zu Zeit auch abschweifen müssen. Es ist eine schwierige Aufgabe, denn wir haben drei Themen, einen Vormittag und einen unerbittlichen Diskussionsleiter. Ich habe mich für die folgende Lösung entschieden.

Ich werde ausführlich über die Machtverhältnisse in Europa sprechen, die durch den Krieg zutage getreten sind. Dann werde ich einige Einblicke in die im Entstehen begriffene neue Welt geben, und schließlich werde ich eher aufzählungsartig, ohne Erklärung oder Argumentation, auf die ungarischen Pläne für diese Welt eingehen. Diese Art der Darstellung hat den Vorteil, daß wir dadurch auch das Thema für den Vortrag im nächsten Jahr festgelegt haben.

Das Unterfangen ist ambitioniert, ja sogar mutig. Wir müssen uns die Frage stellen, ob wir es überhaupt in Angriff nehmen können. Übersteigt es nicht unsere Kräfte? Der Grund, warum ich es für ein machbares Experiment halte, ist, daß in den letzten ein, zwei oder drei Jahren in Ungarn und im Ausland großartige Studien und Bücher geschrieben wurden, die die Übersetzer dem ungarischen Publikum zugänglich gemacht haben. Andererseits müssen wir uns in aller Bescheidenheit selbst daran erinnern, daß doch wir die dienstälteste Regierung in Europa sind, und ich wäre der dienstälteste europäische Regierungschef.

Erfahrungen aus der Opposition

Ich möchte auch leise darauf hinweisen, daß ich der dienstälteste Regierungschef in der Opposition bin. Das, worüber ich jetzt sprechen werde, habe ich also alles gesehen. Ich spreche über etwas, das ich erlebt habe und ständig erlebe. Ob ich es auch verstanden habe, ist eine andere Frage, das wird sich am Ende des Vortrags herausstellen.

Zur durch den Krieg offenbarten Realität also. Meine lieben Freunde! Der Krieg ist unsere rote Pille. Wir müssen an den Film Matrix denken. Der Protagonist wird vor die Wahl zwischen zwei Pillen gestellt. Wenn er die blaue Pille schluckt, kann er in der Welt des Scheins bleiben, wenn er die rote Pille schluckt, kann er in die Realität hinabsteigen und sich diese ansehen. Der Krieg ist unsere rote Pille. Er ist das, was uns gegeben wurde, er ist das, was wir schlucken müssen. Und jetzt müssen wir über die Realität sprechen, bereichert durch neue Erfahrungen.

Es ist ein Klischee, daß der Krieg die Fortsetzung der Politik mit anderen Mitteln ist. Es ist wichtig, hinzuzufügen, daß der Krieg die Fortsetzung der Politik unter einem anderen Blickwinkel ist.

Neue Perspektiven und brutale Realität

Der Krieg mit seiner Unerbittlichkeit bringt uns auf einen neuen Beobachtungsposten, in eine größere Höhe und eröffnet uns von dort aus eine völlig andere Perspektive, eine, die wir bisher nicht kannten. Wir befinden uns in einem neuen Medium und in einem neuen und klareren Kraftfeld. In dieser wahren Realität verlieren die Ideologien ihre Macht. Statistische Taschenspielertricks verlieren ihre Macht. Die taktischen Winkelzüge der Medien und die taktischen Lügen der Politiker verlieren ihre Macht. Weit verbreitete Mißverständnisse oder selbst Verschwörungstheorien sind nicht mehr relevant. Es bleibt die nackte und brutale Realität.

Es ist schade, daß unser Freund Gyula Tellér nicht mehr unter uns weilt, denn er hätte uns einige überraschende Dinge erzählen können. Aber da er nicht mehr bei uns ist, müssen Sie sich mit mir begnügen. Aber ich denke, daß es an Überraschungen nicht mangeln wird. Der Übersichtlichkeit halber habe ich alles, was wir seit dem Verschlucken der roten Pille im Februar 2022, dem Ausbruch des Krieges, erlebt haben, in Stichpunkten zusammengefaßt.

Erstens. Im Krieg erleiden die Parteien brutale Verluste, die in die Hunderttausende gehen. Ich habe sie gerade getroffen, das kann ich mit Sicherheit sagen, und dennoch wollen sie sich nicht versöhnen. Und warum? Dafür gibt es zwei Gründe. Der erste ist, daß sie beide glauben, daß sie gewinnen können, und sie wollen bis zum Sieg kämpfen. Der zweite Grund ist, daß sie beide von ihren eigenen realen oder vermeintlichen Wahrheiten angetrieben werden. Die Ukrainer glauben, dies sei eine russische Invasion, eine Verletzung des Völkerrechts, eine Verletzung der territorialen Souveränität, sie seien in Wirklichkeit in Selbstverteidigung und führten einen Unabhängigkeitskrieg. Die Russen glauben, daß es in der Ukraine ernsthafte militärische Entwicklungen der NATO gegeben hat.

Neue geopolitische Realitäten

Der Ukraine ist die NATO-Mitgliedschaft versprochen worden, und sie wollen keine Nato-Truppen oder Nato-Waffen an der russisch-ukrainischen Grenze sehen, so daß Rußland ihrer Meinung nach das Recht auf Selbstverteidigung hat und dies in Wirklichkeit ein provozierter Krieg ist. So hat jeder also eine Art von Recht, gefühlt oder wirklich, er wird den Krieg nicht aufgeben, dies ist ein gerader Weg zur Eskalation. Wenn es auf die beiden Seiten ankommt, wird es keinen Frieden geben. Frieden kann nur von außen gebracht werden.

Zweitens. In den vergangenen Jahren waren wir es gewohnt, daß die Vereinigten Staaten China zum Hauptherausforderer oder -gegner erklärten. Doch jetzt sehen wir, wie sie einen Stellvertreterkrieg gegen Rußland führen. Und China ständig beschuldigt, Rußland verdeckt zu unterstützen. Wenn das der Fall ist, dann muß die Frage beantwortet werden, ob es vernünftig ist, zwei so große Länder in ein feindliches Lager zusammenzutreiben? Diese Frage ist bisher nicht sinnvoll beantwortet worden.

Drittens. Die Stärke und Widerstandsfähigkeit der Ukraine übertreffen alle Erwartungen. Immerhin haben seit 1991 insgesamt 11 Millionen Menschen dieses Land verlassen. Das Land wurde von Oligarchen beherrscht, die Korruption ist weit verbreitet, der Staat hat im Grunde genommen nicht funktioniert. Und doch erleben wir jetzt einen erfolgreichen, nie dagewesenen Widerstand ihrerseits. Die Ukraine ist trotz der hier beschriebenen Bedingungen in Wirklichkeit ein starkes Land. Die Frage ist, wodurch? Nun, abgesehen von ihrer militärischen Geschichte und dem persönlichen Heldentum gibt es hier etwas zu verstehen. Denn die Ukraine hat eine Berufung für sich gefunden, sie hat einen neuen Sinn für ihre Existenz entdeckt.

Die Ukraine als westliche Grenzregion

Bis jetzt hat sich die Ukraine als Pufferzone verstanden. Eine Pufferzone zu sein, ist ein deprimierender Geisteszustand. Es herrscht ein Gefühl der Hilflosigkeit. Man hat das Gefühl, daß man sein Schicksal nicht selbst in der Hand hat. Dies ist eine Folge des Zwischenzustands. Nun aber hat sich die Perspektive der Zugehörigkeit zum Westen aufgetan. Die selbst auferlegte neue Mission der Ukraine ist es, die östliche Grenzregion des Westens zu werden. Die Bedeutung und Wichtigkeit ihrer Existenz haben in ihren eigenen Augen und in den Augen der ganzen Welt zugenommen.

Das hat sie in einen Zustand der Aktivität und des Handelns versetzt, den wir Nicht-Ukrainer als aggressives Fordern ansehen, und, nun ja, es ist tatsächlich aggressiv und fordernd genug, aber es ist in Wirklichkeit der Anspruch der Ukrainer nach auch offizieller internationaler Anerkennung ihrer Berufung. Das gibt ihnen die Kraft, die sie befähigt, sich in einer noch nie dagewesenen Weise zu wehren.

Viertens. Rußland ist anders als das, was wir gesehen haben, und Rußland ist anders als das, was man uns weismachen wollte. Die wirtschaftliche Lebensfähigkeit dieses Landes ist hervorragend. Ich bin bei den Tagungen des Europäischen Rates und den Gipfeltreffen der Ministerpräsidenten dabei, und ich erinnere mich daran, wie die großen Staats- und Regierungschefs begleitet durch allerlei Gesten und ziemlich herablassend Europa erklärt haben, daß Sanktionen gegen Rußland und der Ausschluß Rußlands aus dem sogenannten SWIFT-System, dem internationalen Finanzclearing-System, die russische Wirtschaft und dadurch die russische Politik in die Knie zwingen würden.

Europa ist am Ende

Wenn ich mir anschaue, was hier passiert, fühle ich mich an die Weisheit von Mike Tyson erinnert, der einmal sagte, daß jeder einen Plan hat, bis er eins aufs Maul bekommt. Denn die Realität ist, daß die Russen die Lehren aus den Sanktionen gezogen haben, die nach der Invasion der Krim 2014 verhängt wurden. Und sie haben diese Lehren nicht nur gezogen, sondern haben diese auch in die Tat umgesetzt. Sie haben die notwendigen IT- und Bankverbesserungen vorgenommen. Aus diesem Grund bricht das russische Finanzsystem nicht zusammen.

Sie haben die Fähigkeit entwickelt, sich anzupassen, und wir waren nach 2014 die Opfer davon, weil wir eine beträchtliche Menge ungarischer Lebensmittel nach Rußland exportiert haben, was wir aber wegen der Sanktionen nicht konnten, die Russen haben ihre Landwirtschaft modernisiert, und heute sprechen wir über einen der größten Lebensmittelexporteure der Welt, ein Land, das früher auf Importe angewiesen war. Die Art und Weise, wie man uns Rußland als starre neostalinistische Autokratie beschreibt, ist also falsch. In Wirklichkeit handelt es sich um ein Land, das technische, wirtschaftliche und, wie wir sehen werden, vielleicht auch soziale Flexibilität zeigt.

Die fünfte wichtige neue Erkenntnis ist: Die europäische Politik ist zusammengebrochen. Europa hat es nämlich aufgegeben, seine eigenen Interessen zu verteidigen. Heute tut Europa nichts anderes, als der demokratischen Außenpolitik der USA bedingungslos zu folgen, selbst um den Preis der Selbstzerstörung. Die von uns verhängten Sanktionen schaden grundlegenden europäischen Interessen, treiben die Energiepreise in die Höhe und machen die europäische Wirtschaft wettbewerbsunfähig.

Berlin ist abgemeldet

Daß wir die Sprengung von Nord Stream unwidersprochen lassen, daß Deutschland selbst einen terroristischen Akt gegen das eigene Eigentum, der eindeutig unter amerikanischer Kontrolle durchgeführt wurde, unwidersprochen läßt, und wir sagen kein Wort dazu, wir untersuchen es nicht, wir wollen es nicht aufklären, wir wollen es nicht juristisch aufarbeiten, genauso wie wir, als Angela Merkel abgehört wurde, was mit der Hilfe Dänemarks durchgeführt wurde, nicht das Richtige getan haben – dies ist also nichts anderes als ein Akt der Unterwerfung.

Und es gibt hier einen Zusammenhang, der kompliziert ist, aber ich will versuchen, Ihnen in einer notwendigerweise vereinfachten, aber umfassenden Weise zu sagen, daß die europäische Politik seit dem Beginn des russisch-ukrainischen Krieges auch deshalb zusammengebrochen ist, weil der Kern des europäischen Machtsystems die Achse Paris-Berlin war. Sie war nicht zu umgehen, sie war das Zentrum und sie war die Achse. Seit dem Krieg sind ein anderes Zentrum und eine andere Machtachse entstanden. Die Achse Berlin-Paris existiert nicht mehr, oder wenn doch, dann ist sie irrelevant und umgehbar geworden. Das neue Machtzentrum und die neue Achse sehen so aus: London, Warschau, Kiew, das Baltikum und die Skandinavier.

Scholz ist nicht verwirrt, sondern berechnend

Glauben Sie nicht, wenn der deutsche Bundeskanzler zum Erstaunen der Ungarn verkündet, daß er nur Helme in den Krieg schickt, und dann eine Woche später verkündet, daß er nicht das tut, sondern auch Waffen schickt, und wenn der deutsche Bundeskanzler dann eine Woche später ankündigt, daß es zwar Sanktionen geben kann, diese sich aber nicht auf Energie beziehen dürfen, und dann zwei Wochen später sich selbst an die Spitze der Sanktionspolitik stellt, dann denken Sie nicht, daß der Mann den Verstand verloren hat. Im Gegenteil, er ist sehr wohl bei klarem Verstand.

Und er weiß sehr genau, daß die Amerikaner und die von ihnen beeinflußten liberalen Meinungsbildungsinstrumente – Universitäten, Think Tanks, Forschungsinstitute, Medien – die öffentliche Meinung nutzen, um eine deutsch-französische Politik zu bestrafen, die nicht den amerikanischen Interessen entspricht. Deshalb das Phänomen, von dem ich gesprochen habe, deshalb gibt es die eigentümlichen wechselhaften Sprünge des deutschen Kanzlers.

Ein dritter Faktor entsteht

Die Idee, das Machtzentrum in Europa zu verändern und die deutsch-französische Achse zu umgehen, ist nicht neu, sie wurde erst durch den Krieg möglich. Die Idee gab es schon vorher, es ist eigentlich ein alter polnischer Plan, der das Problem Polens, das zwischen einem großen deutschen Staat und einem riesigen russischen Staat eingeklemmt ist, dadurch lösen will, daß man Polen zum amerikanischen Stützpunkt Nummer eins in Europa macht. Ich könnte sagen, sie rufen die Amerikaner dorthin herein, zwischen die Deutschen und die Russen. Fünf Prozent des polnischen BIP werden jetzt für Militärausgaben ausgegeben, und die polnische Armee ist nach der französischen die zweitgrößte in Europa. Wir sprechen hier von mehreren hunderttausenden von Männern.

Dies ist ein alter Plan, um Rußland zu schwächen und sich weiter voran entwickeln als Deutschland. Auf den ersten Blick scheint dies, sich weiter zu entwickeln als die Deutschen, die Idee eines Phantasten zu sein. Aber wenn man sich die Entwicklungsdynamik Deutschlands und Mitteleuropas, Polens, anschaut, scheint dies gar nicht so unmöglich zu sein, vor allem, wenn Deutschland dabei in der Zwischenzeit seine eigene Industrie von Weltrang demontiert. Für diese Strategie hat Polen die Zusammenarbeit mit den V4 aufgegeben. Die V4 bedeutete etwas anderes.

Die V4 bedeutet, daß wir zur Kenntnis nehmen, daß es ein starkes Deutschland gibt, daß es ein starkes Rußland gibt, und daß wir zwischen den beiden, in Zusammenarbeit mit den mitteleuropäischen Staaten, einen dritten Faktor schaffen.

Scharfe Kritik an polnischer Regierung

Die Polen zogen sich daraus zurück und begannen, eine andere Strategie umzusetzen, eine, die die deutsch-französische Achse ausschloß und nicht die deutsch-französische Achse akzeptierende Strategie der V4. Wenn wir schon über die polnischen Brüder sprechen, lassen Sie uns diese hier leise erwähnen, zumal sie uns jetzt mehrfach in den Hintern getreten haben, vielleicht können wir uns erlauben, ein paar unerwünschte brüderliche Worte sagen. Die Polen machen also die scheinheiligste und verlogenste Politik in ganz Europa. Sie belehren uns moralisch, sie kritisieren uns für unsere wirtschaftlichen Beziehungen zu Rußland, und gleichzeitig machen sie schrankenlos Geschäfte mit den Russen und kaufen über Vermittler ihr Öl und betreiben damit die polnische Wirtschaft.

Da sind selbst die Franzosen besser, die uns übrigens im letzten Monat beim Kauf von Gas aus Rußland überholt haben, aber zumindest halten sie uns keine Moralpredigt. Die Polen machen sowohl Geschäfte und belehren uns zugleich sogar auch noch. Ich habe in den letzten zehn Jahren in Europa keine derart scheinheilige Politik gesehen.

Inwieweit das eine Veränderung ist, die an der deutsch-französischen Achse vorbeigeht, kann man nur ermessen, wenn sich die Älteren vielleicht daran erinnern, daß vor zwanzig Jahren die Amerikaner den Irak angegriffen haben, und die europäischen Länder aufgefordert haben, sich anzuschließen – wir zum Beispiel als Mitglied der Nato schlossen uns an –, und daß damals Schröder, der damalige deutsche Kanzler, Chirac, der damalige französische Präsident, und der russische Präsident Putin eine gemeinsame Pressekonferenz gegen den Krieg im Irak abhielten. Damals gab es noch eine selbständige, sich an das europäische Interesse mit der deutsch-französischen Logik annähernde Denkweise.

Rußland hat viele Freunde

Bei der Friedensmission geht es nicht nur um die Suche nach Frieden, sondern auch darum, Europa zu drängen, endlich eine eigenständige Politik zu betreiben. Rote Pille, sechster Punkt: die intellektuelle Einsamkeit des Westens. Bisher hat der Westen so gedacht und sich so verhalten, daß er sich als Bezugspunkt, als eine Art Weltmaßstab sieht. Er gibt die Werte vor, die die Welt akzeptieren muß.

Zum Beispiel die liberale Demokratie oder den grünen Wandel. Dies hat die Welt im Großen und Ganzen auch zur Kenntnis genommen, doch in den letzten zwei Jahren hat es eine 180-Grad-Wende gegeben. Der Westen hat jetzt wieder seine Forderung, seine Anweisung an die Welt ausgesprochen, sich aus moralischen Gründen gegen Rußland und für den Westen zu positionieren. Die Realität sieht dagegen so aus, daß sich langsam alle auf die Seite Rußlands schlagen. Daß China und Nordkorea dies tun, ist vielleicht keine Überraschung.

Daß auch der Iran dasselbe tut, ist angesichts der Geschichte des Irans und seiner Beziehungen zu Rußland etwas überraschend. Aber die Tatsache, daß Indien, das die westliche Welt als die größte, pardon, bevölkerungsreichste Demokratie bezeichnet, ebenfalls auf der Seite der Russen steht, ist eine atemberaubende Überraschung. Die Tatsache, daß die Türkei, obwohl sie ein NATO-Mitglied ist, sich weigert, die moralischen Standards des Westens zu akzeptieren, ist vollends überraschend. Und die Tatsache, daß die muslimische Welt Rußland nicht als Feind, sondern als Partner sieht, kommt völlig unerwartet.

Das Mitteleuropäische Koordinatensystem wird irrelevant

Siebtens: Der Krieg hat die Tatsache offenkundig gemacht, daß das größte Problem der heutigen Welt die Schwäche bzw. der Zerfall des Westens ist. Das ist natürlich nicht das, was die westlichen Medien sagen. Im Westen wird behauptet, die größte Gefahr und das größte Problem der Welt seien Rußland und die von ihm ausgehende Bedrohung. Das ist ein Irrtum. Rußland ist zu groß für seine Bevölkerung, es steht außerdem unter hyper-rationaler Führung, ist überhaupt ein geführtes Land. Was es tut, daran ist nicht mysteriös, sondern ergibt sich logisch aus seinen Interessen und ist daher verständlich und vorhersehbar. Andererseits ist das Verhalten des Westens, wie Sie vielleicht aus dem bisher Gesagten entnehmen konnten, nicht verständlich und nicht vorhersehbar.

Der Westen ist nicht geführt, sein Verhalten ist nicht rational und er kann nicht mit der Situation umgehen, die ich in meinem Vortrag hier im letzten Jahr so beschrieben habe, daß es inzwischen zwei Sonnen am Himmel geworden sind. Der Westen steht also vor einer Herausforderung in Form des Aufstiegs Chinas bzw. Asiens, und man sollte in der Lage sein, damit umzugehen, wir sind es aber nicht.

Europa ist gespalten in Weltbilder

Punkt acht. Die eigentliche Herausforderung für uns besteht also darin, zu versuchen, den Westen wieder im Lichte des Krieges zu verstehen. Denn wir, Mitteleuropäer, sehen den Westen als irrational an. Aber, liebe Freunde, was ist, wenn sie sich zwar logisch verhalten, wir aber ihre Logik nicht verstehen? Wenn ihre Art zu denken und zu handeln logisch ist, dann müssen wir uns fragen, warum wir sie nicht verstehen.

Und wenn wir die Antwort darauf finden könnten, würden wir auch verstehen, warum Ungarn in geo- und außenpolitischen Fragen regelmäßig mit den westlichen Ländern der Europäischen Union aneinandergerät. Meine Antwort lautet wie folgt. Stellen wir uns vor, es geht darum, daß wir, die Mitteleuropäer, ein nationalstaatliches Weltbild haben. Während der Westen in einer für uns unvorstellbaren Weise immer noch der Meinung ist, daß es keine Nationalstaaten mehr gibt. Das Koordinatensystem, in dem wir Mitteleuropäer denken, ist also völlig irrelevant.

Der Nationalstaat als Naturzustand

Für uns besteht die Welt also aus Nationalstaaten, die im Inneren das Gewaltmonopol ausüben und damit einen Zustand des Friedens schaffen. In seinen Beziehungen zu anderen Staaten ist der Nationalstaat souverän, das heißt, er hat die Fähigkeit, seine Außen- und Innenpolitik selbständig zu bestimmen. In unserem Verständnis ist der Nationalstaat keine rechtliche Abstraktion, kein juristisches Konstrukt, sondern ist der Nationalstaat in einer bestimmten Kultur verwurzelt. Er hat einen gemeinsamen Wertekanon, d.h. eine anthropologische und historische Tiefe. Und daraus ergeben sich gemeinsame moralische Imperative, die auf einem gemeinsamen Konsens beruhen. Das ist es, was wir uns unter einem Nationalstaat vorstellen.

Und wir sehen ihn nicht als ein Phänomen, das im 19. Jahrhundert entstanden ist, sondern wir glauben, daß Nationalstaaten eine biblische Grundlage haben, weil sie Teil der Schöpfungsordnung sind. Denn wir lesen in der Heiligen Schrift, daß nicht nur Einzelpersonen, sondern auch Nationen am Ende der Zeit gerichtet werden. Folglich sind sie in unserem Verständnis keine vorübergehenden Schöpfungen. Ganz anders jedoch die Westler, die auf davon ganz abweichende Weise glauben, daß es keine Nationalstaaten mehr gibt. Sie leugnen daher die Existenz einer gemeinsamen Kultur und einer darauf basierenden gemeinsamen öffentlichen Moral.

Es gibt keine öffentliche Moral. Wenn Sie gestern die Eröffnungsfeier der Olympischen Spiele gesehen haben, haben Sie das sehen können. Deshalb denken sie auch anders über die Migration. Ihrer Ansicht nach stellt die Migration keine Bedrohung oder ein Problem dar, sondern ist vielmehr ein Weg, die ethnische Homogenität, die die Grundlage der Nation ist, zu beseitigen.

Demographie ist unendlich wichtig

Das ist die Essenz der fortschrittlichen, liberalen, internationalistischen Raumauffassung. Deshalb kommt ihnen die Absurdität nicht in den Sinn, oder sie sehen es nicht als absurd an, daß wir, während sich im Osten Europas Hunderttausende von Christen gegenseitig umbringen, im Westen Europas Hunderttausende von Menschen einer fremden Zivilisation aufnehmen, was aus unserer mitteleuropäischen Sicht die Absurdität selbst ist. Dieser Gedanke ist westlich von uns nicht einmal angedacht. Ich merke in Klammern an, daß die europäischen Staaten im Ersten und Zweiten Weltkrieg insgesamt rund 57 Millionen einheimische Europäer verloren haben.

Würden sie, ihre Kinder und Enkelkinder noch leben, hätte Europa heute keinerlei demografisches Problem. Die Europäische Union denkt das, was ich gerade gesagt habe, nicht nur, sondern sie deklariert es. Wenn wir die europäischen Dokumente richtig lesen, ist es klar, daß das Ziel darin besteht, die Nation zu überwinden. Es wird zwar so seltsam geschrieben und gesagt, daß die Nationalstaaten überwunden werden müssen, aber es muß etwas Kleines darin bleiben. Aber das Wesentliche ist, daß ihre Befugnisse, ihre Souveränität, von den Nationalstaaten auf Brüssel übertragen werden sollen.

Das ist die Logik hinter allen bedeutenden Maßnahmen. In ihren Augen ist die Nation ein historisches, das heißt ein vergängliches Konstrukt, das im 18. und 19. Jahrhundert entstanden ist und so, wie es aus dem nichts gekommen ist, soll es auch dort verschwinden.

Die USA stehen am Scheideweg

Sie, die westliche Hälfte Europas ist bereits in einem postnationalen Zustand. Es handelt sich nicht nur um eine politisch andere Situation, sondern, wie ich hier zu sagen versuche, auch um einen neuen mentalen Raum. Wenn man die Welt nicht aus dem Blickwinkel der Nationalstaaten betrachtet, taucht eine ganz andere Realität vor einem auf, und hier liegt der Hund begraben, warum wir nicht verstehen, warum wir keine gemeinsame Sprache finden, die Länder, die in der westlichen Hälfte Europas und in der östlichen Hälfte Europas leben.

Wenn man das alles auf die Vereinigten Staaten projiziert, dann ist das in Wirklichkeit die Schlacht, die hier stattfindet. Was soll aus den Vereinigten Staaten werden? Sollen sie wieder ein Nationalstaat werden, oder sollen sie ihren Marsch zu einem postnationalen Staat fortsetzen? Das Ziel von Herrn Präsident Donald Trump besteht genau darin, das amerikanische Volk aus dem postnationalen liberalen Zustand zurückzuholen, es zurückzuziehen, es zurückzuzwingen, es zurück zum Nationalstaat zu bringen. Deshalb steht bei den US-Wahlen so viel auf dem Spiel. Deshalb erleben wir Dinge, wie wir sie noch nie zuvor gesehen haben.

Deshalb wollen sie Donald Trump daran hindern, bei den Wahlen anzutreten. Deshalb wollen sie ihn ins Gefängnis stecken. Deshalb nehmen sie ihm sein Vermögen weg. Und wenn das nicht hilft, wollen sie ihn umbringen. Und wir sollten keine Zweifel darüber haben, daß das, was geschehen ist, nicht der letzte Versuch in diesem Wahlkampf gewesen ist.

Sexuelle Revolution und Studentenrevolte als Kippunkt

Ich öffne eine Klammer: Ich habe gestern mit dem Herrn Präsidenten gesprochen und er hat mich gefragt, wie es mir geht. Ich sagte, daß es mir gut geht, weil ich hier in einer geografischen Formation namens Transsilvanien bin. Es ist nicht so einfach, dies zu erklären, vor allem nicht auf Englisch und vor allem nicht gegenüber Herrn Präsident Trump, aber ich bin hier in Siebenbürgen an einer freien Universität, wo ich eine Vorlesung über den Zustand der Welt halten werde, und er sagte, ich solle den Lagerteilnehmern und den Menschen an der freien Universität unbedingt seine persönlichen, herzlichen Grüße ausrichten.

Wenn wir nun also versuchen wollen zu verstehen, wie es zu diesem westlichen Denken kam, das wir der Einfachheit halber als postnationales Denken und Zustand bezeichnen sollten, müssen wir auf die große Illusion der 1960er Jahre zurückgehen. Die große Illusion der 1960er Jahre, die zwei Formen annahm, die erste war die sexuelle Revolution und die zweite die Studentenrevolte.

Sie war in Wirklichkeit Ausdruck des Glaubens, daß das Individuum freier und größer sein würde, wenn es sich von jeglicher Art von Kollektiv befreien würde. Mehr als sechzig Jahre später ist klar geworden, daß das Individuum im Gegenteil nur durch und in der Gemeinschaft groß werden kann, daß es niemals allein frei sein kann, daß es immer allein sein wird und zum Schrumpfen verdammt ist.

Überheblichkeit ist keine wahre Größe

Im Westen wurden nacheinander die metaphysische Bindung, also Gott, die nationale Bindung, also die Heimat, und die familiäre Bindung abgeschafft – ich weise noch einmal auf die Eröffnung der Olympischen Spiele in Paris zurück – das heißt, die Familie. Jetzt, wo es ihnen gelungen ist, all das loszuwerden, und das, wovon sie erwartet hatten, daß das Individuum dann größer sein würde, fühlen sie Leere. Sie sind nicht groß geworden, sie sind klein geworden. Denn im Westen sehnen sie sich nicht mehr nach großen Idealen oder nach gemeinsamen großen, inspirierenden Zielen.

Hier müssen wir über das Geheimnis der Größe sprechen. Was ist das Geheimnis der Größe? Das Geheimnis der Größe besteht darin, daß man in der Lage ist, einer Sache zu dienen, das größer ist als man selbst. Dazu muß man zunächst anerkennen, daß es etwas oder Dinge in der Welt gibt, die größer sind als man selbst, und dann muß man sich dem Dienst an diesen größeren Dingen widmen.

Davon gibt es nicht viele. Du hast deinen Gott, dein Land und deine Familie. Aber wenn du das nicht tust, wenn du nicht das tust, sondern dich stattdessen auf deine eigene Größe konzentrierst, darauf, daß du klüger, schöner, talentierter bist als die meisten Menschen, wenn du deine Energie darauf verwendest, all das durch alle anderen anerkennen zu lassen, dann ist das, was du bekommst, nicht Größe, sondern Überheblichkeit.

Es sind mehr als Meinungsverschiedenheiten

Und das ist der Grund, warum wir heute bei jedem Schritt, den wir im Gespräch mit Westeuropäern machen, Hochmütigkeit statt Größe spüren. Ich muß sagen, daß eine Situation eingetreten ist, die wir als Leere bezeichnen können, und das damit einhergehende Gefühl der Überflüssigkeit, gebiert Aggressivität. Daher die Entstehung des aggressiven Zwergs als neuer Menschentyp.

Zusammenfassend möchte ich Ihnen sagen, daß wir, wenn wir von Mitteleuropa und Westeuropa sprechen, nicht über Meinungsverschiedenheiten sprechen, sondern über zwei unterschiedliche Weltanschauungen, zwei Mentalitäten, zwei Instinkte und damit zwei unterschiedliche Argumentationen. Wir haben einen Nationalstaat, der uns zwingt, strategische Realisten zu sein. Sie haben ein postnationalistisches Wunschdenken, das nichts von nationaler Souveränität hält, kein Gefühl für nationale Größe hat und keine gemeinsamen nationalen Ziele verfolgt. Das ist die Realität, der wir uns stellen müssen.

Und schließlich ist das letzte Element der Realität, daß dieser postnationale Zustand, den wir im Westen beobachten, eine ernste, ich würde sagen dramatische, politische Konsequenz hat, die die Demokratie erschüttert. Denn in den Gesellschaften wächst der Widerstand gegen Migration, gegen Gender, gegen Krieg und gegen den Globalismus. Daraus ergibt sich das politische Problem von Elite und Volk, Elitismus und Populismus. Dies ist das bestimmende Phänomen der heutigen westlichen Politik. Wenn man die Texte liest, man muß sie nicht unbedingt auch verstehen, denn sie ergeben nicht immer einen Sinn, aber wenn man die Worte liest, sind das die Ausdrücke, die man am häufigsten findet. Es bedeutet, daß die Eliten das Volk dafür verurteilen, daß es nach rechts driftet.

Die Europäische Volkspartei als Trojanisches Pferd

Die Gefühle und Gedanken des Volkes werden als Fremdenfeindlichkeit, Homophobie und Nationalismus abgestempelt. Das Volk wiederum verdächtigt die Elite, sich nicht um das zu kümmern, was ihm wichtig ist, sondern in einer Art geistlosem Globalismus zu versinken. Folglich können sich die Eliten und das Volk in der Frage der Zusammenarbeit nicht einigen. Ich könnte viele Länder nennen. Aber wenn sich das Volk und die Eliten nicht über die Zusammenarbeit einigen können, wie kann es dann eine repräsentative Demokratie werden? Denn wir haben hier eine Elite, die das Volk nicht vertreten will und stolz darauf ist, es nicht vertreten zu wollen, und wir haben das Volk, das nicht vertreten wird.

In der Tat haben wir es mit einer Situation zu tun, in der die Menschen mit höherer Bildung, die in Scharen kommen, nicht mehr weniger als zehn Prozent der Menschen mit höherer Bildung in der westlichen Welt ausmachen, sondern dreißig bis vierzig Prozent, und diese Menschen haben aufgrund ihrer Ansichten keinen Respekt vor den weniger gebildeten Menschen, die typischerweise arbeitende Menschen sind, Menschen, die von der Arbeit leben. Für die Eliten sind nur die Werte der Akademiker akzeptabel, nur sie sind legitim. Auch das Ergebnis der Wahlen zum Europäischen Parlament läßt sich von hier aus verstehen.

Die Europäische Volkspartei sammelte die rechten Stimmen des Volkes für den Wandel ein, um sie dann nach links zu tragen und einen Deal mit der am Status quo interessierten linken Elite einzugehen. Das hat Folgen für die Europäische Union.

Westliche Werte und Moderne sind keine Synonyme mehr

Die Folge ist, daß Brüssel auch weiterhin unter der Herrschaft einer liberalen Oligarchie bleibt. Diese Oligarchie hat es in ihrer Hand. Diese linksliberale Elite organisiert in Wirklichkeit die transatlantische Elite, sie ist nicht europäisch, sondern global, nicht nationalstaatlich, sondern föderal, nicht demokratisch, sondern oligarchisch. Das hat auch Konsequenzen für uns, denn in Brüssel gibt es wieder die drei T’s (Begriff zurückgehend auf die 1950-er Jahre, verweist auf den Grundsatz der Kulturpolitik von „támogat” unterstützt, „tűr” toleriert und „tilt” verbietet – Anmerkung des Übersetzers).

Das Verbotene, das Tolerierte und das Unterstützte. Wir gehören zu der verbotenen Kategorie. Die europäischen Patrioten sind also von der Verteilung aller Posten ausgeschlossen worden. Wir leben in der Welt der tolerierten politischen Gemeinschaft. Während unsere Gegner zu Hause in der Kategorie der stark Unterstützten sind, insbesondere die Neulinge in der Europäischen Volkspartei.

Und lassen Sie mich vielleicht noch einen letzten, zehnten Punkt ansprechen, nämlich wie die westlichen Werte, die die Essenz der so genannten Soft Power waren, zum Bumerang geworden sind. Es stellte sich heraus, daß diese westlichen Werte, die als universell galten, in immer mehr Ländern der Welt demonstrativ inakzeptabel geworden sind und abgelehnt werden. Es hat sich herausgestellt, daß die Moderne, die moderne Entwicklung, nicht westlich ist, oder zumindest nicht ausschließlich westlich, denn auch China ist modern, Indien wird immer moderner, die Araber modernisieren sich, die Türken modernisieren sich, und sie werden keineswegs auf der Grundlage westlicher Werte zu einer modernen Welt.

LGBTQ als westliche Priorität

Und in der Zwischenzeit ist diese westliche Soft Power zu einer russischen Soft Power geworden, denn der Schlüssel zur Verbreitung westlicher Werte ist jetzt LGBTQ. Und jeder, der das nicht akzeptiert, wird jetzt in der westlichen Welt in eine rückständige Kategorie eingeordnet. Deshalb, obwohl ich nicht weiß, ob Sie es verfolgt haben, aber ich finde es bemerkenswert, daß Länder wie die Ukraine, Taiwan und Japan in den letzten sechs Monaten Gesetze zugunsten von LGBTQ verabschiedet haben.

Aber die Welt stimmt dem nicht zu. Folglich ist Putins stärkste taktische Waffe heute der Widerstand gegen die westliche Forcierung von LGBTQ, die Opposition dagegen, ist zu Rußlands stärkster internationaler Anziehungskraft geworden, und so hat sich die frühere westliche Soft Power wie ein Bumerang in eine russische Soft Power verwandelt.

Alles in allem, meine Damen und Herren, kann ich sagen, daß der Krieg uns geholfen hat, die wirklichen Machtverhältnisse in der Welt zu verstehen, er ist ein Zeichen dafür, daß der Westen an dem scheitert, was er sich vorgenommen hat, und er beschleunigt die Veränderungen, die die Welt umgestalten. Meine erste Vorlesung ist zu Ende. Jetzt kommt die zweite.

Intellektueller Mut ist gefragt

Was folgt? Kürzer soll es sein – sagt Zsolt Németh. In der zweiten Vorlesung geht es also darum, was hieraus folgt. Zunächst ist hier intellektueller Mut gefragt. Man muß also mit großen Pinselstrichen arbeiten, denn ich bin überzeugt, daß das Schicksal der Ungarn davon abhängt, ob sie verstehen, was in der Welt geschieht, und ob wir Ungarn verstehen, wie die Welt nach dem Krieg aussehen wird. Meiner Meinung nach wird eine neue Welt kommen. Man kann uns nicht vorwerfen, wir hätten eine beschränkte Vorstellungskraft oder seien intellektuell beeinträchtigt, aber selbst wir, und ich persönlich, haben das Ausmaß des Wandels, der sich vollzieht und in dem wir leben, in den letzten Jahren unterschätzt, als ich hier gesprochen habe.

Wir befinden uns in einem Wandel, ein Wandel kommt, wie es ihn seit 500 Jahren nicht mehr gegeben hat. Wir haben ihn nicht wahrgenommen, weil es in den letzten 150 Jahren große Veränderungen in und um uns herum gegeben hat, aber bei diesen Veränderungen war die dominierende Weltmacht immer im Westen. Und wir sind davon ausgegangen, daß die Veränderungen, die wir jetzt erleben, wahrscheinlich dieser westlichen Logik folgen werden. Im Gegensatz dazu ist dies eine neue Situation.

In der Vergangenheit geschah der Wandel auf westliche Weise, die Habsburger stiegen auf und fielen dann. Spanien stieg auf. Dies wurde das Zentrum der Macht. Sie fielen, die Engländer stiegen auf. Die Monarchien endeten mit dem Ersten Weltkrieg. Die Briten wurden von den Amerikanern als Welterste abgelöst. Dann wurde der amerikanisch-russische Kalte Krieg von den Amerikanern gewonnen. Aber all dies blieb innerhalb unserer westlichen Logik.

Die Zukunft gehört Asien

Aber das ist jetzt nicht mehr der Fall, dem müssen wir uns stellen, denn die westliche Welt erhielt nicht aus der westlichen Welt heraus die Herausforderung, und so ist die Logik des Wandels durcheinandergeraten. Wovon ich spreche und womit wir es zu tun haben, ist in Wirklichkeit eine Systemveränderung der Weltordnung. Und das ist ein Prozeß, der von Asien ausgeht. Um es kurz und primitiv auszudrücken: In den nächsten langen, langen Jahrzehnten oder vielleicht Jahrhunderten – denn das vorherige Weltsystem bestand auch fünfhundert Jahre lang – wird Asien das dominierende Zentrum der Welt sein. China, Indien, Pakistan, Indonesien und ich könnte noch weiter aufzählen.

Sie haben bereits ihre Formen, ihre Plattformen geschaffen, es gibt diese Formation namens BRICS, in der schon sie vertreten sind. Und es gibt die Shanghaier Organisation für Zusammenarbeit, wo diese Länder die neue Weltwirtschaft aufbauen. Ich denke, daß dies ein unvermeidlicher Prozeß ist, denn Asien hat einen demografischen Vorteil, einen technologischen Vorteil in immer mehr Bereichen, einen Kapitalvorteil, und seine militärische Kraft ist dabei, mit der des Westens ausgeglichen zu sein. Asien wird über das meiste Geld, die größten Finanzfonds, die größten Unternehmen der Welt, die besten Universitäten, die besten Forschungsinstitute und die größten Börsen verfügen oder hat dies vielleicht schon getan.

Es wird die fortschrittlichste Weltraumforschung und die fortschrittlichste Medizin haben, oder hat sie bereits. Und hinzukommt, daß wir Westler selbst die Russen in dieses neue Gebilde, das sich herausbildet, hineingetrieben haben. Die Frage ist, ob der Prozeß umkehrbar ist oder nicht, und wenn ja, wann er unumkehrbar wurde. Ich denke, das geschah 2001, als wir im Westen beschlossen, China einzuladen, der Welthandelsorganisation, besser bekannt als WTO, beizutreten. Seitdem ist dieser Prozeß nahezu unaufhaltsam und unumkehrbar.

Amerikas Platz wird weniger wichtig sein

Präsident Trump arbeitet daran, die amerikanische Antwort auf diese Situation zu finden. Tatsächlich ist das Experiment von Donald Trump wahrscheinlich die letzte Chance für die USA, ihre Vormachtstellung in der Welt zu behaupten. Wir können dazu sagen, daß hierfür vier Jahre nicht lang ausreichend sind. Aber wenn man sich anschaut, wen er zum Vizepräsidenten gewählt hat, der ein junger und sehr starker Mann ist, dann wird, wenn Donald Trump jetzt gewinnt, in vier Jahren sein Vizepräsident kandidieren, der zweimal gewählt werden kann, das sind zwölf Jahre.

Und in zwölf Jahren kann eine nationale Strategie schon umgesetzt werden. Ich bin der Überzeugung, daß viele Leute denken, daß die Amerikaner im Falle einer Rückkehr von Donald Trump ihre Vormachtstellung in der Welt aufrechterhalten wollen, indem sie ihre Position in der Welt behalten wollen. Ich glaube, das ist ein Irrtum.

Natürlich gibt niemand von sich aus seine Position auf, aber das wird nicht das wichtigste Ziel sein. Im Gegenteil, die Priorität wird darin bestehen, Nordamerika wieder aufzubauen und zu stärken. Das bedeutet nicht nur die USA, sondern auch Kanada und Mexiko, denn es handelt sich um eine Wirtschaftszone. Und Amerikas Platz in der Welt wird weniger wichtig sein. Man muß ernst nehmen, was der Präsident sagt. America first. Alles hierher. Alles nach Hause. Deshalb bauen sie von überall her Kapitalbeschaffungskapazitäten auf. Wir leiden bereits darunter, die großen europäischen Unternehmen investieren nicht in Europa, sondern in Amerika, weil die Fähigkeit, Kapital anzuziehen, zu wirken beginnen scheint. Sie werden den Preis für alles aus jedem herauspressen.

Trump will Geld für militärischen Schutz

Ich weiß nicht, ob Sie gelesen haben, was der Herr Präsident gesagt hat. Zum Beispiel, daß sie keine Versicherungsgesellschaft sind und daß Taiwan, wenn es Sicherheit will, dafür zahlen soll. Sie werden uns, die Europäer, die NATO, den Preis für die Sicherheit zahlen lassen, und sie werden auch ein Handelsgleichgewicht mit China durch Verhandlungen erreichen und es zugunsten der USA verändern.

Sie lösen einen massiven Ausbau der US-Infrastruktur, militärische Forschung und Innovation aus. Sie werden die Selbstversorgung mit Energie und Rohstoffen erreichen oder haben sie vielleicht schon erreicht, und schließlich werden sie sich auch ideologisch bessern. Sie werden den Export von Demokratie aufgeben. America first. Der Demokratieexport ist vorbei. Das ist die Quintessenz des Experiments, mit dem Amerika auf die hier beschriebene Situation antwortet.

Was ist die europäische Antwort auf den Systemwechsel in der Weltordnung? Wir haben zwei Möglichkeiten. Die erste ist das, was wir das Freilichtmuseum nennen. Das ist das, was wir jetzt haben. Wir bewegen uns darauf zu. Europa bleibt in einer der USA untergeordneten Rolle zurück, ein Kontinent, der die Welt in Erstaunen versetzt, der aber keine Entwicklungsdynamik mehr besitzt.

Die Ukraine wird ein Pufferstaat bleiben

Die zweite ist die von Präsident Macron angekündigte Option, die strategische Autonomie. Mit anderen Worten: Wir müssen in das Rennen um den Systemwechsel der Weltordnung einsteigen. So wie es doch die USA nach ihrer eigenen Logik auch tun. Schließlich geht es hier um 400 Millionen Menschen. Es ist möglich, die Fähigkeit Europas, Kapital anzuziehen, wiederherzustellen, es ist möglich, das Kapital aus Amerika hierher zurückzuholen.

Es ist möglich, große Infrastrukturentwicklungen vorzunehmen, vor allem in Mitteleuropa, den TGV Budapest-Bukarest, den TGV Warschau-Budapest, um nur unsere eigene Sichtweise zu nennen. Wir brauchen ein europäisches Militärbündnis mit einer starken europäischen Verteidigungsindustrie, Forschung und Innovation. Wir brauchen eine europäische Energieautarkie, die ohne Kernenergie nicht möglich sein wird, und ein neuer Ausgleich mit Rußland nach dem Krieg. Das bedeutet, daß die Europäische Union als politisches Projekt sich selbst aufgeben muß, die Union als wirtschaftliches Projekt muß sich selbst stärken, und die Union als Verteidigungsprojekt muß sich selbst schaffen.

Was in beiden Fällen passieren wird, wenn es Freilichtmuseum sein wird oder wenn wir dem Wettbewerb beitreten, ist, daß wir uns darauf einstellen müssen, daß die Ukraine nicht Mitglied der Nato oder der Europäischen Union sein wird, weil wir Europäer nicht genügend Geld dafür haben. Die Ukraine wird in die Position eines Pufferstaates zurückfallen.

Ungarn hat Erfahrungen als Vasall

Wenn sie Glück hat, dann jetzt mit internationalen Sicherheitsgarantien, die in einem Abkommen zwischen den USA und Rußland verankert werden und an denen wir Europäer uns vielleicht beteiligen können. Das polnische Experiment wird scheitern, weil sie nicht über ausreichende Mittel verfügen, sie werden zu Mitteleuropa und in die V4 zurückkehren müssen, warten wir also auf die Rückkehr der polnischen Brüder. Die zweite Vorlesung ist auch vorbei. Es bleibt nur noch eine übrig. In diesem geht es um Ungarn.

Was sollte Ungarn in dieser Situation tun? Zunächst einmal sollten wir die traurige Tatsache festhalten, daß vor fünfhundert Jahren, als die letzte Weltordnung geändert wurde, Europa der Gewinner und Ungarn der Verlierer war. Es war eine Zeit, in der sich dank geografischer Entdeckungen in der westlichen Hälfte Europas ein neuer Wirtschaftsraum eröffnete, an dem wir überhaupt nicht teilhaben konnten. Zu unserem Leidwesen, zu unserem Unglück trat zur gleichen Zeit ein zivilisatorischer Konflikt unsere Tür ein, denn die Eroberung durch den Islam kam zur gleichen Zeit nach Ungarn und machte uns für viele Jahre zum Kriegsgebiet.

Dies hatte einen enormen Bevölkerungsverlust zur Folge, der zu Ansiedlungen führte, deren Folgen wir heute sehen können. Und leider waren wir nicht in der Lage, uns aus eigener Kraft aus dieser Situation zu befreien. Wir konnten uns nicht aus eigener Kraft befreien und mußten uns deshalb für viele Jahrhunderte in eine deutsche, habsburgische Welt einfügen.

Der Niedergang Ungarns und Aufstieg des Westens

Erinnern wir uns auch daran, daß die ungarischen Eliten vor fünfhundert Jahren genau wußten, was geschah. Sie verstand das Wesen des Wandels, aber sie hatte nicht die Mittel und konnte das Land nicht auf diesen Wandel vorbereiten. Deshalb scheiterten die Versuche, den Spielraum zu erweitern, politisch, wirtschaftlich und militärisch voranzukommen und Unruhen zu verhindern, die Versuche, voranzukommen. So versuchte König Matthias, dem Beispiel Sigismunds folgend, die Stellung des Deutsch-Römischen Kaisers zu erreichen, um von dort aus Ungarn in den Weltsystemwechsel einzubinden.

Das ist nicht gelungen. Aber ich möchte hier auch den Versuch nennen, Tamás Bakócz zum Papst zu ernennen, der uns eine weitere Chance gegeben hätte, bei diesem Systemwechsel der Weltordnung zu den Gewinnern zu gehören. Aber diese Dinge sind nicht gelungen. Das ungarische Symbol dieser Zeit ist deshalb, das Symbol des ungarischen Scheiterns, ist also Mohács. Der Niedergang Ungarns fällt mit dem Beginn des Aufstiegs des Westens zur Weltmacht zusammen.

Es ist wichtig, weil wir jetzt unser Verhältnis zu dieser neuen Weltordnung klären müssen. Wir haben zwei Möglichkeiten. Ist dies nun eine Gefahr für Ungarn oder eine Chance für Ungarn? Wenn es eine Gefahr ist, dann müssen wir eine Politik des Schutzes des Status quo betreiben, wir müssen mit den Vereinigten Staaten und der Europäischen Union mitschwimmen, und wir müssen unsere nationalen Interessen mit einem oder beiden Zweigen des Westens identifizieren.

Auch in der Bedrohung liegt eine Chance

Wenn wir dies nicht als Bedrohung, sondern als Chance sehen, dann müssen wir unseren eigenen Entwicklungsweg einschlagen, wir müssen Veränderungen vornehmen und wir müssen proaktiv sein. Es lohnt sich, eine nationale Politik zu verfolgen. Ich bin für Letzteres, ich gehöre zur letzteren Schule. Der gegenwärtige Systemwechsel der Weltordnung ist keine Gefahr, nicht in erster Linie eine Bedrohung, sondern eine Chance.

Wenn wir aber eine eigenständige nationale Politik betreiben wollen, stellt sich die Frage, ob die notwendigen Randbedingungen gegeben sind. Mit anderen Worten: Treten sie uns nicht auf die Lunge, und erst recht nicht auf den Nacken? Das heißt, haben wir die Randbedingungen für unseren eigenen Weg in unseren Beziehungen zu den USA, zur Europäischen Union und zu Asien.

Die USA zwingen Polen ihre Kultur auf

Kurzum, ich kann nur sagen, daß die Entwicklung in den USA zu unseren Gunsten verläuft. Ich glaube nicht, daß wir von den Vereinigten Staaten ein wirtschaftliches und politisches Angebot bekommen, das uns eine bessere Chance gibt als die Mitgliedschaft in der Europäischen Union. Wenn wir dennoch eines bekommen, sollten wir es in Betracht ziehen.

Um natürlich die polnische Falle zu vermeiden, die viel auf diese Karte gesetzt haben, aber sie hatten eine demokratische Regierung in Amerika, und sie wurden zwar in ihren polnischen nationalen strategischen Zielen unterstützt, aber sie zwingen den Polen eine Politik des Demokratieexports, der LGBTQ, der Migration, der internen sozialen Transformation auf, die tatsächlich das Risiko eines Verlustes der nationalen Identität in sich birgt. Wenn es also auch ein Angebot aus Amerika geben sollte, müssen wir es sorgfältig prüfen.

Wenn wir nach Asien und China schauen, muß man sagen, daß auch dort die Randbedingungen gegeben sind, denn wir haben ein Angebot aus China erhalten. Wir haben das Maximalangebot bekommen, ein besseres Angebot werden wir nicht bekommen. Das kann man wie folgt zusammenfassen. China ist weit weg, für sie ist die Mitgliedschaft Ungarns in der Europäischen Union ein Wert.

Die Hand nach China ist ausgestreckt

Im Gegensatz zu den Amerikanern, die uns immer wieder sagen, daß wir von dort aussteigen sollten. Die Chinesen sind der Meinung, daß wir dort gut aufgehoben sind, auch wenn die EU-Mitgliedschaft eine Einschränkung darstellt, weil wir keine unabhängige Handelspolitik betreiben können, weil die EU-Mitgliedschaft eine gemeinsame Handelspolitik mit sich bringt. Darauf sagen die Chinesen: Wenn das so ist, dann laßt uns an der gegenseitigen Modernisierung teilhaben.

Natürlich muß man, wenn die Löwen die Mäuse einladen, immer vernünftig bleiben, denn die Realität und die Größenordnung spielen ja doch eine Rolle. Aber dieses chinesische Angebot, das während des Besuchs des chinesischen Präsidenten im Mai angekündigt wurde, sich an der gegenseitigen Modernisierung zu beteiligen, bedeutet, daß sie bereit sind, einen großen Teil ihrer Investitions- und Entwicklungsressourcen in Ungarn zu investieren, und sie sind bereit, uns Möglichkeiten der Marktteilnahme in China anzubieten.

Der Preis für die EU wird hoch sein

Was folgt daraus für die Beziehungen zwischen der EU und Ungarn, wenn wir unsere Mitgliedschaft in der EU als eine Randbedingung betrachten? Meiner Meinung nach kehrt der westliche Teil der Europäischen Union nicht mehr zur nationalstaatlichen Form zurück. Deshalb werden sie weiterhin in für uns unbekannten Gewässern segeln. Der östliche Teil der Union, also wir, können unsere nationalstaatliche Form verteidigen. Wir können dazu in der Lage sein. Die EU hat den Krieg, der jetzt läuft, verloren. Die USA werden sie im Stich lassen. Europa kann den Krieg nicht finanzieren, es kann den Wiederaufbau der Ukraine nicht finanzieren, und es sogar den täglichen Betrieb der Ukraine nicht finanzieren.

Klammer auf: Während die Ukraine uns um weitere Kredite bittet, finden gleichzeitig Verhandlungen über die Nichtrückzahlung bereits aufgenommener Kredite statt. Heute streiten sich die Gläubiger und die Ukraine darüber, ob sie 20 Prozent oder 60 Prozent der aufgenommenen Kredite zurückzahlen soll. So sieht die tatsächliche Lage aus. Mit anderen Worten: Die Europäische Union muß den Preis für das Kriegsabenteuer zahlen. Dieser Preis wird hoch sein, und er wird auch uns nachteilig treffen.

Die Randbedingungen sind gegeben

Daraus folgt für uns, Europa, als Randbedingung, daß die Europäische Union zur Kenntnis nimmt, daß die mitteleuropäischen Länder in der Europäischen Union bleiben, dabei aber auf dem Fundament der Nationalstaatlichkeit bleibenund ihre eigene Außenpolitik betreiben werden. Das mögen sie zwar nicht, aber sie werden sich damit abfinden müssen. Besonders weil die Zahl dieser Länder zunehmen wird.

Alles in allem kann ich also sagen: Die Randbedingungen für eine eigenständige nationale Politik gegenüber Amerika, Asien und Europa sind gegeben. Sie definieren die Grenzen unseres Handlungsspielraums. Dieser Spielraum, dieser Raum ist weit, und er ist weiter als jemals zuvor in den letzten fünfhundert Jahren. Die Frage ist hiernach also, was wir tun müssen, um diesen Raum zu unserem vorteilhaft zu nutzen.

Neue Realität benötigt neue Systeme

Wenn es einen Systemwechsel in der Weltordnung gibt, dann brauchen wir eine Strategie, die dessen würdig ist. Wenn es einen Systemwechsel in der Weltordnung gibt, dann brauchen wir eine ungarische große Strategie. Das Wort Ordnung ist wichtig, wir brauchen keine große ungarische Strategie, sondern eine ungarische große Strategie. Das bedeutet, daß wir auch bisher kleine Strategien hatten, in der Regel mit einem Zeithorizont von 2030. Das sind Aktionspläne, das sind politische Programme, und sie zielen darauf ab, daß wir einfach das beenden, was wir 2010 begonnen haben, das, was wir nationale Kursbildung nennen. Sie müssen auch zu Ende geführt werden. Aber das reicht nicht in einer Zeit des Systemwechsels der Weltordnung aus.

Da brauchen wir eine große Strategie, einen längeren Zeitrahmen. Insbesondere dann, wenn wir davon ausgehen, daß dieser Systemwechsel in der Weltordnung zu einem langfristig stabilen Zustand führen wird, der selbst Jahrhunderte andauern kann. Ob dies der Fall sein wird, werden dann natürlich unsere Enkel im Jahr 2050 auf dem Treffen in Tusnad sagen können. Wo stehen wir mit der ungarischen großen Strategie? Gibt es eine ungarische große Strategie in der Schublade? Wir stünden, ja wir stehen sogar nicht schlecht da. Das ist die Antwort.

Denn der Krieg hat auch uns in den letzten zwei Jahren beschleunigt. Hier sind einige Dinge passiert, die wir im Interesse der Schaffung der großen Strategie beschlossen haben, auch wenn wir in diesem Zusammenhang nicht darüber gesprochen haben. Nach den Wahlen 2022 haben wir sofort mit der Arbeit an einer solchen großen Strategie begonnen. Ungewöhnlicherweise gibt es in der ungarischen Regierung einen politischen Direktor, dessen Aufgabe es tatsächlich ist, diese große Strategie zusammenzustellen.

Die Menschen müssen eingebunden werden

Wir sind in das System zur Erstellung von Programmen im Team von Präsident Donald Trump eingetreten. Wir sind dort stark involviert. Experten der Ungarischen Nationalbank haben sich bereits früher in die Arbeit der Strategieateliers in Asien, insbesondere in China, eingeschaltet. Und um unseren Nachteil in einen Vorteil zu verwandeln, haben wir, nachdem wir gezwungen waren, die Minister zu wechseln, keinen Technokraten, sondern einen strategischen Denker in die Regierung geholt und wir haben mit János Bóka ein eigenes EU-Ministerium geschaffen, so daß wir in Brüssel nicht passiv sind, sondern unsere Zelte aufgeschlagen haben, wir kommen von dort nicht heraus, sondern wir marschieren dort hinein.

Und es gibt im Umfeld der ungarischen Regierung eine Reihe solcher Institutionen, die zur Schaffung einer solchen Soft Power – Denkfabriken, Forschungsinstitute, Universitäten – geeignet sind und die in den letzten zwei Jahren mit unterschiedlichen Geschwindigkeiten gearbeitet haben.

Es gibt also eine ungarische große Strategie. In welchem Zustand befindet sie sich? Ich kann sagen, daß sie sich noch nicht in einem guten Zustand befindet. Sie ist nicht in einem guten Zustand, weil ihre Sprache zu intellektuell ist. Und unser politischer Vorteil und unser Wettbewerbsvorteil besteht gerade darin, daß wir in der Lage sind, eine Einheit mit den Menschen zu schaffen, in der jeder genau verstehen kann, was und warum wir es tun. Das ist die Grundlage für unsere Fähigkeit, gemeinsam zu handeln. Denn die Menschen werden einen Plan nur dann verteidigen, wenn sie ihn verstehen und sehen, daß er gut für sie ist.

 „Brüssel-Bla-Bla“ droht, zu scheitern

Andernfalls wird er auf der Grundlage des „Brüssel-Bla-Blas“ nicht funktionieren. Leider ist das, was wir jetzt haben, die ungarische große Strategie, noch nicht verdaulich und nicht allgemein verständlich. Es wird noch ein gutes halbes Jahr dauern, bis sie in diesen Zustand gelangen kann. Jetzt ist sie roh und spröde, ich würde sogar sagen, sie wurde nicht mit einem Füllfederhalter, sondern mit einem Meißel geschrieben, und wir müssen noch viel Schleifpapier verbrauchen, um sie verständlich zu machen. Aber für den Moment werde ich kurz vorstellen, was schon vorhanden ist.

Die Essenz der ungarischen großen Strategie –ich sage dies auf einer intellektuellen Sprache – ist also die Konnektivität. Das bedeutet, daß wir es nicht zulassen, in eine der beiden jetzt entstehenden halben Weltwirtschaften eingesperrt zu werden. Es gibt keine ausschließlich westliche oder östliche Weltwirtschaft. Wir müssen an beiden teilhaben, an der westlichen und der östlichen. Daraus ergeben sich Konsequenzen. Erstens. Wir machen nicht bei dem Krieg gegen den Osten mit. Wir machen nicht bei der technischen Blockade gegen den Osten mit und wir machen auch nicht bei der Handelsblockade mit.

Wir sammeln Freunde und Partner, und nicht wirtschaftliche oder ideologische Feinde. Wir hängen uns nicht an jemanden dran, was intellektuell viel einfacher ist, sondern wir gehen unseren eigenen Weg, was schwierig ist, aber Politik wird ja nicht umsonst als eine Kunst bezeichnet.

Orbaáns Amtszeit als Erfolgsgeschichte

Im zweiten Kapitel der großen Strategie geht es um die geistigen Grundlagen. Dessen Wesen ist die Verteidigung der Souveränität. Zur Außenpolitik habe ich schon genug gesagt, aber diese Strategie beschreibt auch die wirtschaftliche Grundlage der nationalen Souveränität. In den letzten Jahren haben wir eine Pyramide aufgebaut. An der Spitze stehen die nationalen Champions. Darunter stehen die international wettbewerbsfähigen mittelständischen Unternehmen, unter diesen die für den heimischen Markt produzierenden Unternehmen und am unteren Ende die Kleinunternehmen und Einzelunternehmer.

Dies ist die ungarische Wirtschaft, die die Grundlage für Souveränität bilden kann. Wir haben nationale Champions in den Bereichen Bankwesen, Energie, Lebensmittelindustrie, Herstellung landwirtschaftlicher Grundlagenprodukte, IT, Telekommunikation, Medien, Bauwesen, Hoch- und Tiefbau, Immobilienentwicklung, Pharmazeutika, Verteidigungsindustrie, Logistik und – über die Universitäten – in gewissem Maße auch in der Wissensindustrie.

Und das sind unsere nationalen Champions, sie sind nicht nur Champions im eigenen Land, sie sind alle auf dem internationalen Parkett unterwegs und haben sich im Wettbewerb bewährt. Darunter befinden sich unsere mittelständischen Unternehmen. Ich möchte ihnen mitteilen, daß es in Ungarn heute fünfzehntausend, 15 tausend mittelständische Unternehmen gibt, die auf dem internationalen Parkett arbeiten, also wettbewerbsfähig sind. Als wir im Jahr 2010 an die Regierung kamen, waren es dreitausend.

Ungarn soll Produktionszentrum bleiben

Heute haben wir fünfzehntausend. Und natürlich müssen wir die Basis von Einzel- und Kleinunternehmern verbreitern. Wenn wir für 2025 einen Friedens- und keinen Kriegshaushalt aufstellen können, werden wir ein großes Programm für kleine und mittlere Unternehmen starten. Die wirtschaftliche Grundlage für Souveränität bedeutet auch, daß unsere finanzielle Unabhängigkeit gestärkt werden muß.

Wir müssen unsere Verschuldung nicht auf 50 oder 60 Prozent, sondern auf annähernd 30 Prozent senken, und wir müssen zu einem regionalen Gläubiger werden. Wir versuchen bereits heute, dies zu tun, und in der Region gewährt Ungarn befreundeten Ländern, die aus irgendeinem Grund für Ungarn wichtig sind, staatliche Kredite. Es ist wichtig, daß die Strategie besagt, daß wir ein produktives Zentrum bleiben müssen. Wir dürfen nicht zu einer dienstleistungsorientierten Wirtschaft übergehen.

Der Dienstleistungssektor ist wichtig, aber wir müssen den Charakter Ungarns als Produktionszentrum beibehalten, denn nur hier können die einheimischen Arbeitskräfte eine 100%ige Beschäftigung finden. Wir dürfen nicht den Fehler des Westens begehen, bestimmte produktive Arbeiten von Gastarbeitern erledigen zu lassen, denn es ist schon unter der Würde der Einheimischen, bestimmte Arbeiten zu verrichten. Wenn dies in Ungarn geschieht, wird eine soziale Desintegration in Gang gesetzt, die nur schwer aufzuhalten sein wird. Und hierzu gehört auch noch, zum Schutz der Souveränität, der Ausbau von Universitäts- und Innovationszentren.

Demographie ist Schicksal

Im dritten Kapitel geht es darum, was der Körper der großen Strategie ist, das heißt was die ungarische Gesellschaft ist, über die wir sprechen. Um ein Gewinner zu sein, muß diese ungarische Gesellschaft solide und widerstandsfähig sein. Man muß über eine solide und flexible Sozialstruktur verfügen. Die erste Voraussetzung dafür ist, den demografischen Niedergang zu stoppen. Wir haben gut angefangen, aber jetzt stecken wir fest. Wir müssen einen neuen Schwung nehmen. Bis 2035 muß Ungarn demografisch in einem selbsttragenden Zustand sein. Eine Bevölkerung, die durch Migration ersetzt wird, kommt nicht in Frage.

Die westliche Erfahrung zeigt: Wenn es mehr Gäste als Eigentümer gibt, dann ist das Zuhause kein Zuhause mehr. Das ist ein Risiko, das man nicht eingehen darf. Wenn wir also einen Friedenshaushalt machen können, weil der Krieg vorbei sein wird, dann müssen wir im Jahr ’25 den Steuerfreibetrag für Kinder wahrscheinlich nicht in einem, sondern in zwei Schritten, aber innerhalb eines Jahres verdoppeln, um den Schwung der demografischen Verbesserung wiederzuerlangen. Wir müssen weiterhin diejenigen aus Westeuropa aussuchen, die in einem christlichen Nationalstaat leben wollen.

Ihre Zahl wird weiter zunehmen. Kein Automatismus, wir wählen jetzt aus. Bis jetzt haben sie ausgewählt, jetzt wählen wir aus. Damit die Gesellschaft stabil und belastbar ist, muß sie auf der Mittelklasse beruhen, das heißt, die Familien müssen über eigenes Vermögen und finanzielle Unabhängigkeit verfügen. Die Vollbeschäftigung muß erhalten bleiben, und der Schlüssel dazu ist die Beibehaltung des derzeitigen Verhältnisses zwischen der Arbeit und den Roma.

Orbán will keine Megastädte

Es gibt Arbeit, aber man kann nicht ohne Arbeit leben. Das ist das Wesen des Deals und des Angebots. Eine ebenso hierhergehörende Sache ist, daß das ungarische Dorfsystem, das ein besonderes Gut der ungarischen Geschichte darstellt, kein Symbol der Rückständigkeit ist. Wir müssen das ungarische Dorfsystem bewahren. Wir müssen auch in den Dörfern Dienstleistungen auf städtischem Niveau anbieten. Die Städte müssen daraus finanzielle Lasten übernehmen. Wir schaffen keine Megastädte, wir schaffen keine Großstädte, wir wollen Städte und ländliche Gebiete um die Städte herum schaffen und dabei das historische Erbe des ungarischen Dorfes bewahren.

Und schließlich das entscheidende Element der Souveränität, und das bringt uns hierher, an die Ufer des Olt. Damit haben wir das Risiko minimiert, daß Zsolt mir das Wort entzieht. Und das ist das Wesen des Souveränitätsschutzes, nämlich der Schutz der nationalen Unterschiede. Sich nicht zu assimilieren, sich nicht einzugliedern, sich nicht einzureihen, sondern unseren eigenen besonderen nationalen Charakter zu bewahren.

Dies ist die kulturelle Grundlage für die Verteidigung der Souveränität. Die Bewahrung der Sprache, die Vermeidung des Zustandes ohne jede Religion, der Zustand der Null-Religion ist der, in dem es schon lange keinen Glauben mehr gibt, aber auch schon die Fähigkeit verloren gegangen ist, uns kulturelle, moralische Verhaltensregeln zu geben, die uns die christliche Tradition übermittelt hat und die unser Verhältnis zu Arbeit, Geld, Familie, sexuellen Beziehungen, zueinander, zur Unter- und Überordnung zu regeln.

Klare Absage an LGBTQ

Die Westler haben dies verloren. Ich denke, daß dieser Zustand der Null-Religion sich dann einstellt, wenn die gleichgeschlechtliche Ehe als gleichwertige Institution mit der Ehe von Mann und Frau anerkannt wird. Dort gibt es keine Religion mehr, dort bietet das Christentum keine moralische Orientierung und keinen Kompaß mehr. Das muß unbedingt vermieden werden. Wenn wir also für die Familie kämpfen, dann kämpfen wir nicht nur für die Ehre der Familie, sondern für den Erhalt eines Zustandes, in dem das Christentum zumindest noch als eine moralische Orientierung für unser Gemeinwesen dient.

Und schließlich darf diese ungarische Großstrategie nicht von Klein-Ungarn ausgehen. Diese ungarische Großstrategie muß auf einer nationalen Grundlage beruhen, sie muß alle von Ungarn bewohnten Gebiete umfassen, und sie muß alle in der Welt lebenden Ungarn einbeziehen. Nur von Klein-Ungarn auszugehen, nur Klein-Ungarn als Rahmen ist unzureichend. Deshalb wage ich es nicht, ein Datum zu nennen, denn das muß eingehalten werden, aber in absehbarer Zeit müssen alle Unterstützungen, die der Stabilität und Flexibilität der ungarischen Gesellschaft dienen, wie z.B. das Familienunterstützungssystem, in ihrer Gesamtheit auch auf die von Ungarn bewohnten Gebiete außerhalb der Grenzen Ungarns ausgedehnt werden.

Die Richtung ist nicht schlecht, denn wenn ich die Beträge, die der ungarische Staat für diese Gebiete ausgegeben hat, bis 2010 zurückzähle, kann ich sagen, daß wir durchschnittlich 100 Milliarden Forint pro Jahr dafür aufgewendet haben. Zum Vergleich würde ich sagen, daß während der Regierung Gyurcsány neun Milliarden Forint in einem Jahr ausgegeben wurden. Jetzt wenden wir hundert Milliarden in einem Jahr dafür auf. Das ist also eine Steigerung um mehr als das Zehnfache.

Die Ungarn ticken anders als die anderen

Und dann stellt sich nur noch eine einzige Frage: Wenn die ungarische große Strategie steht, mit welcher Art von Politik kann sie zum Erfolg geführt werden. Damit eine große Strategie erfolgreich sein kann, müssen wir zunächst einmal genau wissen, wie wir sind. Denn die Politik, mit der man eine Strategie zum Erfolg führen will, muß auf unseren nationalen Charakter zugeschnitten sein. Dazu können wir natürlich sagen, daß wir vielfältig sind. Das gilt insbesondere für die Ungarn. Aber es gibt dennoch gemeinsame wesentliche Merkmale, und darauf muß die Strategie abzielen und sie erfassen.

Und wenn wir dies verstehen, dann brauchen wir keine Kompromisse zu machen oder zu konsolidieren, sondern ein konsequent festes Engagement ist notwendig. Ich glaube, daß neben der Vielfalt das Wesentliche, das gemeinsame Wesentliche, das wir erfassen müssen und auf dem wir die ungarische große Strategie aufbauen müssen, die Freiheit ist, die auch nach innen aufgebaut werden muß.

Wir müssen nicht nur die Freiheit der Nation aufbauen, sondern auch die persönliche Freiheit der ungarischen Menschen anstreben. Denn wir sind kein militarisiertes Land wie die Russen oder die Ukrainer. Wir sind auch nicht hyperdiszipliniert wie die Chinesen. Wir genießen auch keine Hierarchien, nicht wie die Deutschen. Wir genießen auch nicht den Aufruhr, die Revolution und die Blasphemie, so wie es die Franzosen tun. Wir glauben auch nicht, daß wir ohne unseren Staat, unseren eigenen Staat, überleben können, wie die Italiener das zu denken pflegen.

Freiheit bedeutet ungestörtes Leben

Für den Ungarn ist die Ordnung kein Wert an sich, sondern eine notwendige Bedingung für die Freiheit, in der er ungestört leben kann. Das, was dem ungarischen Sinn und Wort der Freiheit am nächsten kommt, ist der Ausdruck des ungestörten Lebens. Mein Haus, mein Heim, meine Burg, mein Leben, und ich entscheide, wodurch ich mich in meiner eigenen Haut wohlfühle. Das ist eine anthropologische, genetische und kulturelle Eigenschaft der Ungarn, und die Strategie muß sich dem anpassen. Mit anderen Worten, dies muß auch der Ausgangspunkt für die Politik sein, die die große Strategie zum Sieg führen will.

Da dieser Prozeß, von dem wir sprechen, diese Systemwechsel der Weltordnung, nicht in ein oder zwei Jahren stattfinden wird, er hat bereits früher schon begonnen und wird noch zwanzig bis fünfundzwanzig Jahre dauern. Deshalb wird es in diesen zwanzig bis fünfundzwanzig Jahren eine ständige Debatte darüber geben. Unsere Gegner werden ihn ständig angreifen. Sie werden sagen, daß der Prozeß umkehrbar ist. Sie werden sagen, daß wir Integration statt einer separaten nationalen großen Strategie brauchen. Sie werden sie deshalb ständig angreifen und an einer Kurskorrektur arbeiten.

Sie werden nicht nur den Inhalt der Großen Strategie ständig in Frage stellen, sondern auch die Notwendigkeit dieser Strategie. Jetzt muß man diesen Kampf auf sich nehmen, aber der Zeitrahmen ist hier ein Problem. Denn wenn es sich um einen Prozeß von 20-25 Jahren handelt, müssen wir einsehen, daß nicht wir ihn zu Ende führen werden, da wir nicht mehr jünger werden.

Zwischen Avocado-Latte und fester Entschlossenheit

Die Umsetzung dieser großen Strategie, insbesondere die letzte Phase, wird sicherlich nicht von uns, sondern vor allem von den jungen Menschen geleistet werden, die heute in ihren Zwanzigern und Dreißigern sind. Und wenn wir über Politik nachdenken, darüber, wie eine solche Strategie politisch umgesetzt werden kann, müssen wir wissen, daß es auch in künftigen Generationen im Wesentlichen nur zwei Positionen geben wird, genauso wie in der Zeit unserer Generation.

Es wird die Liberalen geben und es wird die Nationalen geben. Und ich muß sagen, daß es auf der einen Seite die liberalen, Slim-Fit-Anzüge tragenden, Latte-Avocado bevorzugenden, Getränke frei von allem zu sich nehmenden, exhibitionistisch-selbstzufriedenen Politiker geben wird, und auf der anderen Seite werden die jungen, national gesinnten, mutigen jungen Leute sein, die mit beiden Beinen fest auf dem Boden stehen. Deshalb müssen wir schon jetzt, und noch wir, damit beginnen, junge Menschen zu rekrutieren, und zwar für uns.

Die Opposition wird durch den liberalen Zeitgeist ständig organisiert und aufgestellt. Dort braucht man nicht zu rekrutieren, sie rekrutieren sich selbst. Aber unser Lager ist anders. Das nationale Lager kommt nur auf den Ruf des Trompetenschalls hervor, und das gilt auch für die Jugend, und es kann sich nur unter einer gehissten Fahne versammeln, und auch das gilt für die Jugend. Deshalb müssen wir junge, mutige Kämpfer mit nationaler Gesinnung finden. National gesinnte, mutige, junge Kämpfer werden gesucht.

Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.

Ungarns Ministerpräsident Viktor Orbán: Grundsatzrede in Rumänien Foto: picture alliance / ASSOCIATED PRESS | Alexandru Dobre
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