Anzeige
Anzeige

Geschichtsrevisionismus: Stalin-Kritik unerwünscht? Kreml schließt Gulag-Museum

Geschichtsrevisionismus: Stalin-Kritik unerwünscht? Kreml schließt Gulag-Museum

Geschichtsrevisionismus: Stalin-Kritik unerwünscht? Kreml schließt Gulag-Museum

Das Bild zeigt ein sowjetisches Gulag und den Diktator Josef Stalin.
Das Bild zeigt ein sowjetisches Gulag und den Diktator Josef Stalin.
Insassen eines sowjetischen Gulags und der Diktator Josef Stalin: Erinnerungsmuseum in Moskau geschlossen Fotos: picture alliance / akg-images | akg-images / picture alliance / Photo12 | Archives Snark
Geschichtsrevisionismus
 

Stalin-Kritik unerwünscht? Kreml schließt Gulag-Museum

Die Rehabilitierung von Stalin schreitet in Rußland voran. Der Kreml schließt ein Gulag-Museum in Moskau, offiziell aus Brandschutzgründen. Kritiker vermuten andere Motive.
Anzeige

MOSKAU. Die russische Regierung hat das Gulag-Museum in der Hauptstadt Moskau geschlossen. Seit dem 14. November ist das Gebäude im Zentrum Moskaus nicht mehr betretbar, auf der Website der Einrichtung heißt es: Bei einer Inspektion des Museums durch Spezialisten des Zentrums für Expertise, Forschung und Prüfung im Bauwesen seien Brandschutzmängel festgestellt worden.

Weiter schreibt das Museum: „Sie stellen eine Gefahr für die Sicherheit und den Komfort der Museumsbesucher dar und müssen beseitigt werden. Das Geld für gekaufte Eintrittskarten für Veranstaltungen und den Besuch der Ausstellung kann jederzeit zurückerstattet werden.“ Oppositionelle glauben dieser Erklärung nicht, sie vermuten politische Gründe dahinter. „Dies scheint der jüngste Versuch des Kremls zu sein, seinen Einfluß auf das historische Gedächtnis in Rußland weiter zu festigen“, schrieb die russische Zeitung Nowaja gaseta.

Noch am selben Tag teilte der Pressedienst des Moskauer Kulturministeriums mit, daß das Gulag-Museum seine Arbeit wieder aufnehmen werde, nachdem alle festgestellten Verstöße im Bereich des Brandschutzes beseitigt worden seien. Die Abteilung wies auch darauf hin, daß die Aussetzung der Aktivitäten keine Entlassung von Mitarbeitern, Gehaltskürzungen oder andere Änderungen mit sich bringe. Sie werden weiterhin im Personalbestand des Museums geführt und erhalten ihr volles Gehalt, und danach können sie wie gewohnt zur Arbeit zurückkehren.

Oppositionelle vermuten politische motivierte Schließung

Unter Berufung auf Moskauer Beamte, die mit der Angelegenheit vertraut seien, berichtete die in den Niederlanden hergestellte Onlinezeitung Moscow Times, daß die Schließung des Museums ein „politisch motivierter Schritt sei, der von hochrangigen Kreml-Beamten und den russischen Sicherheitsdiensten“ angeordnet worden seien, und daß die angeblichen Sicherheitsverstöße ein „Vorwand seien, um die wahren Gründe zu verschleiern“.

Am 30. Oktober dieses Jahres hatte es am „Garten der Erinnerung“, der zum Gelände gehört, eine Veranstaltung für die Opfer des Stalinismus und des Gulagsystems gegeben. Kreml-Kritiker vermuten, daß die Regierung das nicht mehr länger tolerieren wollte und das Museum daher geschlossen wurde. Vor drei Jahren, kurz vor Beginn des Ukrainekriegs, wurde die Gruppe „Memorial“ verboten, die seit 2007 regelmäßig Gedenkveranstaltungen für die Opfer des stalinistischen Terrors abhielt. Mit Beginn der Coronapandemie endete diese Tradition, danach waren derartige Gedenken aus politischen Gründen staatlich nicht mehr gewünscht.

Eigene Greueltaten werden verschwiegen

„Memorial“ hatte sich auch damit unbeliebt gemacht, daß die Organisation es nicht beim Gedenken an vergangene Greuel beließ. Immer wieder spannte sie den Bogen zu aktuellen Problemen und modernen politischen Gefangenen.

Das Gulag-Museum hingegen ging diplomatischer vor. 2001 wurde es von der Stadt Moskau offiziell bewilligt und von einem ehemaligen Lagerinsassen eröffnet. Die Verantwortlichen dokumentierten den staatlichen Terror ungeschönt, ließen jedoch die Frage nach den Verantwortlichen aus – vom kleinen Beamten bis hin zum damaligen Staatschef Josef Stalin.

Inzwischen wird Stalin in Rußland – nach einer kritischen Phase nach Ende der Sowjetunion  – wieder positiver dargestellt. Im ganzen Land werden offizielle Denkmäler für den Diktator aufgestellt. In russischen Lehrplänen wird sein Beitrag zur Industrialisierung des Sowjetimperiums und zum Sieg über das Deutsche Reich im Zweiten Weltkrieg betont – gleichzeitig werden die innenpolitischen Säuberungen, die Lager und die Verbrechen an verschiedenen Volksgruppen ignoriert oder verharmlost.

Millionen Tote allein in der Stalin-Ära

Die einzige prominente Angehörige des russischen Kulturbetriebs, die sich öffentlich zu der Museumsschließung äußerte, ist die Direktorin des Moskauer Puschkin-Museums, Elisaweta Lichatschowa. Sie kritisierte die Entscheidung und zitierte dabei Stalin. Es handele sich um „Dummheit, die an ein Verbrechen grenzt“.

Der Begriff „Gulag“ steht für „Glawnoje uprawlenije lagerej“, also „Hauptverwaltung der Lager“. Während des Bestehens der Sowjetunion waren dort viele Millionen inhaftiert, Unzählige starben. Genaue Zählungen sind bis heute umstritten, der französische Historiker Stéphane Courtois beispielsweise schätzt die Zahl der Opfer in einen zweistelligen Millionenbereich. (st)

Insassen eines sowjetischen Gulags und der Diktator Josef Stalin: Erinnerungsmuseum in Moskau geschlossen Fotos: picture alliance / akg-images | akg-images / picture alliance / Photo12 | Archives Snark
Anzeige
Anzeige

Der nächste Beitrag