Für Santiago Abascal und seine rechte Vox-Partei kommen die wichtigsten Wahlkämpfer für die anstehende Wahl zum europäischen Parlament aus dem Ausland. Mit dem ehemaligen US-Präsidenten Donald Trump, der italienischen Ministerpräsidentin Giorgia Meloni und dem argentinischen Amtsinhaber Javier Milei stehen gleich drei ausländische Polit-Stars auf der Rednerliste der Auftaktveranstaltung „Europa Viva“ zur EU-Wahl am 18. und 19. Mai.
Für die Spanier ist das allerdings kein Novum, bereits in vergangenen Wahlkämpfen setzte die rechte Partei auf ausländische Promis, lud neben den bereits genannten auch Politiker wie José Antonio Kast aus Chile oder Alvaro Uribe aus Kolumbien ein. Nicht immer nehmen die Eingeladenen allerdings den langen Weg nach Europa auf sich, Trump sandte etwa in der Vergangenheit eine Videobotschaft – vieles spricht dafür, daß er wieder zu dem Mittel greifen wird.
Der tatsächliche Star der Veranstaltung wird jedoch wieder Giorgia Meloni sein. Sie spricht fließend Spanisch ist dem Vernehmen nach gut mit Parteichef Abascal befreundet, und anders als bei dem umstrittenen Rechtslibertären Javier Milei aus Argentinien können sich mit Meloni auch die eher sozialpolitisch oder katholisch orientierten Flügel der Partei identifizieren.
Yo soy Giorgia !!!
Soy una mujer !!!
Soy una madre !!!
Soy italiana !!!
Soy cristiana !!!
No me lo pueden quitar !!!
No me lo van a quitar !!! pic.twitter.com/w2EugJLE8g— NICOLÁS (@Zamosc2022) September 2, 2023
Mit internationaler Vernetzung kämpft Abascal gegen den Einflußverlust
Für Abascal sind seine „Ultra“-Freunde vor allem die dringend benötigte Echokammer, die Vox dabei helfen soll, die eigene Botschaft zu verstärken. Denn Abascal strebt für die Zukunft der EU eine Alternative zu den Vorschlägen der regierenden Sozialistischen Partei (PSOE/S&D) von Premierminister Pedro Sánchez und deren Spitzenkandidatin für die Wahlen, der Ministerin für den ökologischen Wandel, Teresa Ribera, an, die sich auf die Idee souveräner europäischer Nationen konzentriert, während die Sozialisten sich für eine stärkere Verlagerung politischer Befugnisse nach Brüssel einsetzen.
Obwohl Vox immer noch die drittgrößte Partei im spanischen Parlament ist, hinter der PSOE und ihren linken und separatistischen Verbündeten sowie der Partido Popular (PP/EVP), steht Vox vor einem Dilemma. Bei den vorgezogenen Wahlen vor einem Jahr verlor die „Ultra“-Partei fast 700.000 Stimmen. Eine herbe Enttäuschung, die sich bei den EU-Wahlen nicht wiederholen soll.
Die Partei verkauft ein Lebensgefühl der modernen spanischen Identität
Doch mit Milei und Trump verbindet Abascal mehr als nur die Hoffnung auf einen Schub für die anstehenden Wahlen; die drei teilen auch ihre Ablehnung linker Gesellschaftsexperimente und sprechen sich gegen die herrschende Klimaideologie aus. Von einem „Wertebündnis“ spricht Abascal. Gemeinsam schütze man „die Heimat, die Freiheit, die Vernunft, den Glauben unserer Väter, die Familie, das Eigentum, die Souveränität, die Demokratie und die Begrenzung der Macht“, wie es Abascal anläßlich eines Termins mit Milei Ende des vergangenen Jahres ausdrückte.
Ähnlich ganzheitlich will Abascal auch die „Europa Viva“-Veranstaltung verstanden wissen. In seiner Ankündigung spricht der Parteichef von einer „Zusammenkunft der Patrioten“ mit „Konferenzen, Vorträgen, Versammlungen, kommerziellen und gastronomischen Bereichen sowie Freizeitaktivitäten für Jung und Alt“.
Ein Polit-Happening, wie man es von den Spaniern bereits gewöhnt ist. Die Partei versteht sich selbst als Schrittmacher politischer Kommunikation und setzt unter anderem auf eine starke Präsenz in den sozialen Medien mit kurzen Videoclips, die vor allem aus schnellen Schnitten, markigen Worten und patriotischer Musik bestehen. Ein Konzept, das vor allem bei jungen Wählern verfängt. Vox, so sehen es viele, verkauft ein Lebensgefühl der zeitgemäßen „Hispanidad“, der spezifisch spanischen Identität.
Madrids Regionalpräsidentin Ayuso nahm der Vox viele Stimmen
Dennoch macht sich bei vielen Parteifreunden von Abascal ein unangenehmes Bauchgefühl breit. Denn längst bietet auf dem politischen Jahrmarkt nicht mehr nur die Vox diese Mischung aus Patriotismus und Kulturkampf an. Die erfolgreiche PP-Rechtsauslegerin Isabel Díaz Ayuso konnte bereits im Vorjahr der Vox viele Stimmen mit einer Kampagne abjagen, die sich mit „Wähle rechts – aber erfolgreich“ umschreiben läßt. Eine Stimme für die PP sei am Ende eben „die nützliche Wahl“, so Ayuso, die sich ebenfalls gern mit Javier Milei ablichten läßt und Meloni als ihr Vorbild angibt.
Für Abascal und seine Vox eine unangenehme Situation, will sie mehr sein als nur Stichwortgeber von Ayuso, müßte sie ihr ideologisches Profil wieder schärfen. Eine schwierige Ausgangslage für die Partei, die immer noch zwei sehr unterschiedliche Flügel vereint, einen wirtschaftsliberalen und einen eher solidarisch-patriotischen.
Auf der Wahlliste zum EU-Parlament finden sich beide Flügel prominent vertreten. Auf dem ersten Platz der ehemalige Nationalsyndikalist Jorge Buxadé und auf dem zweiten der wirtschaftsliberale Hermann Tertsch. Die Männerfreundschaft der beiden täuschte in der Vergangenheit über die tiefen ideologischen Bruchlinien hinweg, die sich längst durch die Partei ziehen. Santiago Abascal vermochte bisher jeden ideologischen Konflikt durch seine Person zu überbrücken; sollte seiner Vox aber auch dieses Mal ein deutlicher Erfolg verwehrt bleiben, dürften die Stimmen, die nach einer ideologischen Schärfung und Erneuerung der Partei rufen, lauter werden.