Zu den erstaunlichsten Konstanten der Politik Irlands in den letzten 25 Jahren zählt der scheinbar unaufhaltsame Aufstieg Mary Lou McDonalds und ihrer Partei, der linksnationalistischen Sinn Féin („Wir selbst“). Zuletzt schaffte sie es, diese bei der letzten Wahl zum Parlament – der Dáil Éireann („Versammlung Irlands“) – 2020 zur stärksten Kraft zu machen. Gleichwohl hält die seit langem bestehende „Brandmauer“ die Partei ob ihrer Vergangenheit als politischer Arm der IRA von jeder Machtoption fern und zwang so den Wahlsieger, die „bürgerliche“ Fine Gael („Familie der Iren“), und die nationalkonservative Fianna Fáil („Soldaten Irlands“) mit den Grünen in die erste Große Koalition in der Geschichte der irischen Republik.
Im Rückblick erscheint McDonalds steile Karriere jedoch keineswegs selbstverständlich. Mit ihrer familiären Herkunft paßte sie kaum in die vor allem von Veteranen des nordirischen Bürgerkriegs geprägte Partei. 1969 in Irlands Hauptstadt Dublin geboren, konnte sie als Mittelschichtskind eine Privatschule besuchen, woran sich ein Studium am renommierten Trinity College anschloß. So war sie sozusagen auf der Suche nach einer Karriere, als Gerry Adams, der langjährige Vorsitzende der Sinn Féin, in der eloquenten und telegenen jungen Frau das ideale Talent für seine Strategie fand, die Partei nach Beginn des nordirischen Friedensprozesses, dem „Karfreitagabkommen“ von 1998, aus ihrem politischen Schattendasein herauszuholen.
McDonalds Persönlichkeit macht Irlands politische Brandmauer brüchig
In einer nach außen hin demokratischen Kaderpartei wie Sinn Féin, die tatsächlich aber nach sowjetischem Stil zentralistisch geführt wird und in der zudem der IRA-Armeerat einen unklaren, aber erheblichen Einfluß ausübt, geschieht nichts aus Zufall. Adams stellte sein politisches Wunderkind bewußt in den Vordergrund, aller verhaltenen Kritik zum Trotz. Die bezichtigt McDonald oft des Opportunismus. Außer einem festen Glauben an die Wiedervereinigung der Republik Irland mit dem britischen Nordirland habe sie wenig echte Überzeugungen zu bieten.
Zudem trug ihr die Teilnahme an Gedenkveranstaltungen für besonders brutale IRA-Terroristen schwere Vorwürfe seitens der Öffentlichkeit ein. Und schließlich ließ sie es an Transparenz bezüglich der Finanzierung ihres villenartigen Eigenheims fehlen. Es waren harte Lehrjahre, in denen Adams aber nie den Glauben an McDonald und seine Vision für Irland, der sie dienen sollte, verlor – was diese wiederum zu besonderer Treue gegenüber dem „Paten“ verpflichtete.
Es sollte sich für McDonald auszahlen: 2018 erbte sie von Adams endlich den Parteivorsitz, nachdem sie sich bereits als herausragende Parlamentsabgeordnete profiliert hatte. Selbst der ehemalige Taoiseach, wie der Premierminister Irlands heißt, der Fianna Fáil-Politiker Bertie Ahern (1997 bis 2008), bescheinigte ihr die Eignung für das Amt. Allein durch die Präsenz der inzwischen zweifachen Mutter schien die Brandmauer zumindest brüchig zu werden.
Dank McDonald könnte Sinn Féin Irlands Königsmacher werden
Doch nun, vor der Neuwahl des Parlaments am kommenden Freitag, den 29. November, ist vom Höhenflug ihrer Popularität nicht mehr viel übrig. Einerseits wegen der Einwanderung, unter der Irland stöhnt, da vor allem die Sinn-Féin-Klientel dem internationalistischen Anspruch, den die linke Partei inzwischen pflegt, nicht viel abgewinnen kann. Andererseits haben Skandale um sexuell unangemessenes Verhalten einiger Mandatsträger die Partei erschüttert.
Und doch kann trotz absehbarer Verluste – allerdings je nach dem noch gänzlich offenen Ausgang der Wahl – McDonalds Persönlichkeit ausschlaggebend sein, die voraussichtlich drittplazierte Sinn Féin im Duell um die Macht in Irland zwischen dem „Titelverteidiger“ Fine Gael und Fianna Fáil zum Königsmacher zu befördern.