Eine Umfrage des renommierten Meinungsforschungsinstituts Ipsos im Auftrag der französischen Republikaner sorgt für Unruhe im politischen Frankreich. Denn das Institut sagt zum ersten Mal voraus, daß die Rechtspartei „Rassemblement National“ (RN) von Marine Le Pen extrem zulegen und sogar die absolute Mehrheit in der Nationalversammlung gewinnen könnte.
Laut Ipsos-Hochrechnung könnte der RN zwischen 243 und 305 Sitzen erobern, im Mittel also 278. Die absolute Mehrheit liegt bei 289 Sitzen. Aktuell stellt die Partei von Le Pen 88 Abgeordnete in der Nationalversammlung. Schon diese Zahl wurde bei der Wahl 2022 als großer Erfolg der Rechtspartei angesehen.
Die neuen Umfrageergebnisse sind im politischen Paris wie der Blitz eingeschlagen – und die linke Zeitung Libération sprach von einer „Dystopie“. Die Linke befürchtet, daß Marine Le Pen nächste Präsidentin werden könnte.
Ein Umfrage, die nie veröffentlicht werden sollte
Eigentlich sollte die Umfrage nicht veröffentlicht werden. Sie kam durch eine Enthüllung des politischen Nachrichtenmagazins L’Obs ans Licht. Das Magazin ist etwa dem deutschen Spiegel vergleichbar. Der Observateur schreibt: „Es handelt sich um eine Umfrage, die von der Parteiführung der Republikaner heimlich in Auftrag gegeben wurde und die nicht dazu bestimmt war, die Mauern des Parteisitzes in der Rue de Vaugirard im 15. Bezirk zu verlassen.“ Republikaner-Chef Eric Ciotti bestätigte inzwischen die Echtheit der Umfrage.
Daß die brisanten Ergebnisse an die Presse durchgestochen wurden, ist sowohl für die Republikaner als auch für das Macron-Lager sehr peinlich. Laut L‘Obs fand die Ipsos-Befragung von 4.000 Bürgern fand schon im Dezember statt, während des Streits um das verschärfte Einwanderungsgesetz.
Le Pens Partei RN feierte dabei einen Sieg, der von Beobachtern als Durchbruch gewertet wurde, weil das schärfere Immigrationsgesetz erstmals die „nationale Präferenz“ bei Sozialleistungen für Franzosen anerkannte und nur dank der RN-Stimmen in der Nationalversammlung durchkam. Macrons Regierung geriet durch den Streit in Bedrängnis, die unpopuläre Ministerpräsidentin Elisabeth Borne erklärte im Januar ihren Rücktritt.
Jordan Bardella: Die „Geheimwaffe“ des RN
In öffentlichen Umfragen liegt Le Pens Partei schon seit längerem deutlich vor der Präsidentenpartei „Renaissance“ auf Platz ein. Im Januar hat Präsident Emmanuel Macron den erst 35-jährigen Gabriel Attal zum neuen Ministerpräsidenten berufen. Im Elysee-Palast hofft man, daß Attal als „Geheimwaffe“ gegen den populären und noch jüngeren RN-Parteipräsidenten Jordan Bardella wirken werde.
Der erst 28-jährige Bardella gilt als „Wunderkind“ des RN. Doch die Umfragewerte für Macrons Lager haben sich seitdem nicht gebessert. Die jüngste Ispsos-Umfrage zur Europawahl von Mitte März gibt dem RN 31 Prozent, das Bündnis „Besoin d’Europe“ von Macron liegt nur bei 18 Prozent.
Macron bemüht sich in Frankreich um konservativeres Profil
Die nächsten Wahlen zur französischen Nationalversammlung und die nächste Präsidentschaftswahl finden zwar erst 2027 statt. Doch die hohen Umfragewerte des RN sorgen im linksliberalen Macron-Lager und in der Presse für große Beunruhigung. Auch internationale Medien sehen es zunehmend als wahrscheinlich an, daß Le Pen 2027 die Wahl gewinnen könnte. Die einflußreiche amerikanische Agentur Bloomberg schrieb vor wenigen Tagen: Macrons Erbe könnte eine Präsidentschaft von Le Pen sein. Dies wäre ein politisches Erdbeben in Europa.
Macron hat jüngst versucht, durch etwas konservativere Akzente bürgerliche und rechte Wähler zurückzugewinnen. Beispielsweise versprach er die Aufnahme der Nationalhymne in den Grundschullehrplan des Landes und die Einführung von Schuluniformen. Macron sprach von einer „moralischen Wiederbewaffnung“ des Landes. Die Linke reagierte darauf erbost.