Es ist ein Korruptionsskandal, der das EU Viertel in Brüssel aufgescheucht hat. Die Angelegenheit trägt einen Namen: „Katargate“. Im Raum steht der Verdacht, eine Gruppe von aktiven und früheren EU Abgeordneten habe gemeinsam mit Mitarbeitern einer Menschenrechts- NGO große Summen an Bargeld in verschiedene Büros der EU geleitet, um dort politisch Stimmung für das Emirat zu generieren.
Seit der Verhaftung einiger Verdächtiger im Dezember vergangenen Jahres beherrscht „Katargate“ die Gerüchteküche der EU-Hauptstadt, das liegt auch am prominentesten Gesicht der Affäre: Eva Kaili. Die griechische EU-Abgeordnete der sozialdemokratischen Fraktion (SD) hat alles, was einen Skandal erst richtig interessant macht. Sie ist attraktiv, groß gewachsen und hat einen schnellen Aufstieg in ihrer griechischen Heimat hinter sich, der sie bis an die Spitze des europäischen Parlaments trug.
Als Vizepräsidentin des Parlaments verfügte Kaili über alle Annehmlichkeiten, die das Haus zu bieten hat, darunter einen Fahrer und eine etwas aufgebesserte Abgeordnetendiät. Glaubt man den Presseberichten der vergangenen Monate, so waren all diese Privilegien für Kaili nicht genug. Sie und ihre Mitverschwörer hätten „Bündel an Geldscheinen“ in privaten Wohnungen gehortet, „unverschlüsselte Telefonanrufe“ geführt und sich in gut überwachten Hotels mit ausländischen Diplomaten getroffen.
Freispruch wegen juristischer Feinheiten denkbar
Am Ende, kurz vor der Verhaftung Kailis im Dezember 2022, sollen neben Katar auch Marokko und weitere außereuropäische Staaten in den Korruptionsskandal verwickelt gewesen sein. Im Zentrum immer wieder: Kaili. So zumindest die Erzählung. Um so überraschender für viele erfolgte im Mai dieses Jahres jedoch die Aufhebung des Hausarrests, der während der andauernden Ermittlungen über die Sozialdemokratin verhängt worden war. Seitdem geht Kaili im Europäischen Parlament wieder ein und aus – ihren Posten als Vizepräsidentin hat sie allerdings zwischenzeitlich verloren.
Nun, so scheint es, geht die Mittvierzigerin in die Gegenoffensive. Ihre Anwälte erklärten kürzlich, im Rahmen der Untersuchungen seien „rechtsstaatliche Standards verletzt“ und gegen die „parlamentarische Immunität“ von Kaili verstoßen worden. Ein Vorwurf, der auch von ihren Mitangeklagten erhoben wird und tatsächlich die gesamte Ermittlungsarbeit zu Fall bringen könnte.
Eine Entscheidung über die Angelegenheit wird in Belgien nicht vor 2024 erwartet, tatsächliche Ungereimtheiten tauchen allerdings tatsächlich sukzessive bei Journalisten und externen Beobachtern auf. Im Juni erklärte sich der zuständige Richter, Michel Claise, für befangen. Ein Etappenerfolg für Kaili und ihre Mitangeklagten, denn tatsächlich hatte Claise persönliche Kontakte zu der Abgeordneten Maria Arena. Ihr Sohn betreibt gemeinsam mit Nicolas Claise, dem Sohn von Michel, ein Unternehmen.
Das Vertrauen in die Justiz bröckelt
Brisant dabei: Arenas Name stand ursprünglich auf demselben Haftbefehl, der Kaili einstweilen hinter Gitter brachte. Doch der belgischen Sozialistin Arena passierte nichts, sie bestreitet jede Verwicklung in den Fall. Gerüchteweise verbindet Claise und Arena mehr als nur die von ihr behauptete „professionelle Freundschaft“, jedenfalls wurde pikanterweise Claise wenige Tage nach seinem Rücktritt in Straßburg in bester Gesellschaft und in angetrunkener Stimmung von Journalisten aufgespürt. Er sei in Straßburg, um an der „Universität zu lehren“, daß gleichzeitig das Parlament in Straßburg tage sei ein reiner Zufall“. Eine Quelle aus der belgischen Justiz sagte gegenüber der JUNGEN FREIHEIT, daß bis heute Arena nicht ernsthaft vernommen worden sei.
Es sind Ungereimtheiten wie diese, die dafür sorgen, daß Kaili und ihre Anwälte guter Hoffnung sind, das gesamte Verfahren zum Einsturz zu bringen – wegen formeller Mängel. In Brüsseler Kneipen munkeln einige bereits, „Katargate“ würde sich zu einem weiteren belgischen Justizskandal auswachsen. Das Land ist berüchtigt für seine vielen dunklen Geheimnisse, die zwischen Justizpalast, Regierung und EU-Parlament begraben liegen; seit den Dutroux-Jahren hat das Vertrauen der belgischen Öffentlichkeit in die eigene Justiz schweren Schaden genommen.
Ein EU-Abgeordneter als Kronzeuge
Der Hauptangeklagte im Prozeß, der ehemalige EU-Abgeordnete Pier Antonio Panzeri hatte sich zwar zwischenzeitlich zum Kronzeugen der Anklage entwickelt und dafür vermutlich eine geringere Strafe zugesichert bekommen, kommt aber nun durch die Entwicklungen der vergangenen Monate selbst unter Druck. Panzeri habe versucht „seinen Kopf aus der Schlinge zu ziehen, indem er die Schlinge weitergebe“, aber „andere hätten wenig Lust, den Sündenbock zu spielen“. So eine Quelle aus dem Umfeld der Angeklagten zur JF.
Eins ist bereits jetzt sicher, für Journalisten, Drehbuchautoren und neugierige Bürger ist der Fall ein gefundenes Fressen. Neben einer Femme fatale verfügt „Katargate“ über Ungereimtheiten, verstrickte und persönlich verbandelte Richter und viele hundert Geldbündel in der Asservatenkammer. Doch für die ohnehin angeschlagene belgische Justiz wird „Katargate“ zunehmend zu einer Belastung. Von einem ergebnislosen Prozeß würde sich das verlorene Vertrauen in den belgischen Rechtsstaat wohl nie mehr erholen.