In der EU macht sich Unsicherheit breit. Hat Marine Le Pen eine realistische Chance, Amtsinhaber Emmanuel Macron in der Stichwahl um das Präsidentenamt zu schlagen? Luxemburgs Außenminister Jean Asselborn attestiert seinem Nachbarland bereits, sich „in einer Art politischem Bürgerkrieg“ zu befinden. Ein Sieg Le Pens? „Das würde die Europäische Union total auf eine andere Schiene setzen. Das müssen die Franzosen verhindern“, warnt Asselborn.
Der EU-Abgeordnete Guy Verhofstadt warnte, es blieben nun noch zwei Wochen, um „Putins Verbündete“ vom Elysée-Palast fernzuhalten. „Zwei Wochen zur Stärkung von Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit gegen Autoritarismus und Haß!“ Die „Schlacht“ habe erst begonnen.
In Frankreich selbst zeigte sich der Grünen-Kandidat Yannick Jadot, der mit 4,6 Prozent deutlich scheiterte, besorgt: „Niemand sollte die fundamentale Bedrohung, die die extreme Rechte für die Demokratie, den zivilen Frieden, die Ökologie und die Werte der Republik darstellt, herunterspielen.“
Umfrage sieht knappes Rennen voraus
Doch warum die Aufregung? Macron erreichte in der ersten Runde mit 27,6 Prozent ein besseres Ergebnis als 2017 und lag mehr als vier Prozentpunkte vor Le Pen. Zumal der drittplatzierte Jean-Luc Mélenchon, der mit 21,9 Prozent nur knapp hinter der Frontfrau des „Rassemblement National“ (RN) lag, dazu aufrief, sie nicht zu wählen. Kommen noch die Wähler der abgeschlagenen Kandidaten der Mitte- und Linksparteien dazu, müßte es für Macron reichen. Auf dem Papier könnte Le Pen wohl nur mit den Stimmen des überraschend schwachen Éric Zemmour rechnen, der sieben Prozent erhielt. Doch so einfach ist es nicht.
Eine jüngste Umfrage sieht ein knappes Kopf-an-Kopf-Rennen für die Stichwahl voraus. Macron liegt bei 51 Prozent, Le Pen bei 49.
🗳️🇫🇷 Election #presidentielle2022
Sondage pour le 2nd tour
(Réalisé après publication des résultats du 1er tour)E. Macron 51%
M. Le Pen 49%@IfopOpinion @Fiducial pour @TF1 @LCI pic.twitter.com/0RzQcALj8D— Ifop Opinion (@IfopOpinion) April 10, 2022
Offensichtlich gelingt es der RN-Chefin, weit über ihr bisheriges Wählermilieu hinaus zu mobilisieren. Dazu gehören auch die unzufriedenen Wähler der politischen Linken. 2017 ging das Duell noch deutlich 66 zu 34 Prozent für Macron aus, nun muß er aber zittern. Insbesondere die gestiegenen Lebenshaltungskosten, eine restriktive Corona-Politik und eine, bei vielen als unsozial wahrgenommene Wirtschaftspolitik, machen dem Amtsinhaber zu schaffen.
Neuer Name, neues Image
Le Pen dagegen hat ihrer Partei nicht nur einen neuen Namen spendiert und radikale Querschläger rausgeworfen, sie hat sich auch erfolgreich als Frau präsentiert, die Probleme anpackt. Mit einer Zweidrittel-Mehrheit kann Macron aller Voraussicht nach nicht rechnen, auch wenn er versucht, sich im Krieg der Ukraine als Macher zu inszenieren und seiner Konkurrentin die „Putin-Karte“ unterzujubeln.
Klar ist aber auch: Macron und seine Freunde in Brüssel werden in den kommenden zwei Wochen alles dafür tun, um Le Pen als Gefahr für Frankreich und Europa dazustellen. Wie schon beim letzten Urnengang vor fünf Jahren. Ob die Inszenierung als „kleineres Übel“ noch einmal zieht, ist nach dem ersten Wahlgang jedenfalls unwahrscheinlicher denn je.