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Corona-Krise an der Ostküste: Flucht aus dem Hotspot

Corona-Krise an der Ostküste: Flucht aus dem Hotspot

Corona-Krise an der Ostküste: Flucht aus dem Hotspot

Skyline von Manhattan
Skyline von Manhattan
Skyline von Manhattan: Es herrscht ungewöhnliche Ruhe Foto: imago images / UPI Photo
Corona-Krise an der Ostküste
 

Flucht aus dem Hotspot

Die Corona-Pandemie hat sich von China in die USA verlagert. Teilweise herrschen Katastrophenzustände. Vor allem vom Hotspot New York aus vollzieht sich ein wahrer Exodus in die umliegenden ländlicheren Gegenden. Thomas Kirchner berichtet von der Ostküste der Vereinigten Staaten.
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Die Corona-Pandemie hat sich von China in die USA verlagert. Zunächst waren die Westküstenstaaten Kalifornien und Washington mit dem Großraum Seattle betroffen, wo die meisten Flieger aus Ostasien landen und Microsoft, Boeing oder Starbucks zu Hause sind. Auch im Schmelztiegel New York ist das Coronavirus längst angekommen. Donald Trump nannte es anfangs „Chinese virus“, aber die Mehrheit Infektionsfälle sei „klar europäisch“ zu verorten, verkündete nun der Biologe Harm van Bakel von der am nördlichen Central Park gelegenen Icahn School of Medicine at Mount Sinai im US-Demokraten-Blatt New York Times.

Das überrascht wenig, weil die meisten transkontinentalen Flüge, die am JFK- oder am Newark-Airport landeten, in London, Paris, Amsterdam oder Frankfurt gestartet waren und nicht aus dem weiter entfernten Peking oder Shanghai kamen. Aber Sars-CoV-2 ist dennoch nicht auf dem Londoner Smithfield Market oder dem Münchner Viktualienmarkt erstmals vom Tier auf den Mensch übergesprungen. Bei insgesamt 328 Millionen Einwohnern gab es bis Gründonnerstag laut der Johns-Hopkins-University in Baltimore 466.000 bestätigte Corona-Infektionen – viermal so viele wie in Deutschland.

Errichtung von Lazarettzelten im Central Park

In New York City sind bislang offiziell 5.150 Menschen an Covid-19 gestorben – die Dunkelziffer läßt sich nur schätzen. Corona-Epizentrum im „Big Apple“ ist das Krankenhaus des Viertels Elmhurst im Stadtteil Queens. Die Gegend ist geprägt von Einwanderern, besonders aus Asien. Zwei Drittel der Bevölkerung wurde außerhalb der USA geboren. Chinesische Supermärkte, thailändische Süßwarenläden und authentische Restaurants jeder nur erdenklichen Regionalküche findet man hier.

Feldlazarett im Central Park Foto: imago images / ZUMA Wire

Die Errichtung von Lazarettzelten im Central Park mag der Welt den Ernst der Lage signalisiert haben – die knapp 90.000 Menschen in Elmhurst (dessen Nachbarkiez übrigens tatsächlich Corona heißt) sind Zelte schon länger gewöhnt. Anfang März war eines neben dem Krankenhaus zum Testen von Verdachtsfällen errichtet worden, nachdem sich Fälle grippeähnlicher Erkrankungen häuften, die sich später als Covid-19-Fälle erwiesen.

Die privaten schlossen vor den staatlichen Schulen

Jetzt herrschen wirklich Katastrophenzustände. Manche Patienten müssen 60 Stunden auf ein Bett warten. Erst ab 16. März schloß New Yorks demokratischer Bürgermeister und Ex-Präsidentschaftsanwärter Bill de Blasio nach langem Zögern endlich die staatlichen Schulen. Die privaten, von rund zehn Prozent der Schüler besucht, waren den öffentlichen einige Tage voraus, und viele Eltern behielten ihre Kinder sicherheitshalber daheim. Denn daß sich etwas Ernstes anbahnte ahnten die Bürger schon weit eher als es Politiker wie de Blasio oder Präsident Trump eingestehen wollten.

Ende Februar, auf einem Flug von Frankfurt nach New York, erlebte ich zum ersten Mal seit den Attentaten vom 11. September 2001 weniger als ein Drittel Belegung in der Economy- und sogar freie Plätze in der Businessklasse, für die es normalerweise Wartelisten gibt. Die Bürger hielten schon im Februar Abstand voneinander, doch es reichte wohl nicht, um die Ausbreitung zu verhindern. Bei einer Preisverleihung Anfang März in New York forderte der Veranstalter die Teilnehmer auf, den Preisträgern nicht die Hände zu schütteln, sondern mit Fäusten anzustoßen. Trotz der absurden Faustszenen lächelten dann doch alle auf den Erinnerungsfotos.

Exodus in die umliegenden US-Bundesstaaten

Auf Anraten meiner Frau verließen wir New York Mitte März und mieteten ein Ferienhaus mitten im Wald im Nachbarstaat New Jersey. Gerade noch rechtzeitig, bevor der Exodus begann und die Preise explodierten. Die Vermieterin, eine ältere Dame, traute sich nicht einmal auf zwei Meter an ihre Hochrisikogäste aus New York heran. Das Haus sei komplett desinfiziert worden, sagt sie. Glücklicherweise verlangte sie weder Risiko- noch Desinfektionsaufschlag.

Der nächste Nachbar wohnt mehrere Hundert Meter entfernt, nachts kommen Bären oder Rehe. New Jersey als Ort des Exils hat den Vorteil, daß viele New Yorker unterwegs sind. Im Gegensatz zu Rhode Island, dem kleinste Bundesstaat der USA, wäre es hier der Polizei nicht möglich, alle Fahrzeuge mit New Yorker Kennzeichen anzuhalten und zurückzuschicken – eine der absurderen Folgen der Panik in der Epidemie.

In New Jersey geht es bodenständig zu. Anders in den Hamptons, dem am Ende von Long Island gelegenen „Sylt von New York“. Dort herrscht in diesem Jahr schon im März Hochsaison. Mietpreise sollen sich verzehnfacht haben. Das heißt: Zwei Monate in einem Strandhaus kosten mehrere Hunderttausend Dollar. Der Exodus der New Yorker, die ein Wochenendhaus in der Luxusgegend besitzen oder noch schnell eines mieten konnten, sorgt in den betroffenen Seebädern für Unmut. Umgekehrt entsteht bei den Zurückgebliebenen Neid. Vergangene Woche ergab eine Umfrage, daß seit dem Shutdown 36 Prozent der Haushalte in New York mindestens einen Arbeitslosen verzeichnet.

Doch es sind nicht nur die oberen 0,1-Prozentler, die geflohen sind. Jeder, der vom Homeoffice aus arbeiten kann und bei Verwandten unterkommen kann, ist geflohen. Angesichts der hohen Dichte von Computerfirmen, Beratern und anderen Dienstleistern in New York sind das viele. Die Finanzbranche gilt als systemrelevant und bleibt im Betrieb, aber trotzdem arbeitet ein hoher Anteil der Beschäftigten vom Homeoffice aus, was bei einigen unserer Geschäftspartner anfangs zu Chaos führte.

Kaffee wird durch enge Fenster an die Kundschaft herausgereicht

Bei einem kurzen Zwischenbesuch letzte Woche in der Stadt, um noch ein paar Dinge aus der Wohnung zu holen, herrscht ungewöhnliche Ruhe. Zwar sind Spaziergänger und Jogger unterwegs, aber die sonst übliche Hektik und das Dauerhupen fehlen im Stadtbild, ebenso wie die berühmten gelben Taxis. Restaurants und Cafés sind geschlossen, Straßenverkauf ist aber erlaubt. Kaffee wird durch enge Fenster an die Kundschaft herausgereicht. Brav halten die Wartenden in der Schlange Abstand. Durch diesen reduzierten Betrieb werden viele ihre Miete für April zahlen können.

In New Jersey bietet ein erfinderischer Supermarkt Onlinebestellung mit Abholung am Seiteneingang an. Man braucht nicht auszusteigen, es reicht, den Kofferraum zu öffnen, und ein maskierter Angestellter verstaut die Bestellung. Einziger Schönheitsfehler: der Service ist auf einen Monat hinaus ausgebucht. Andere Lebensmittelgeschäfte bieten Zeitfenster an, zu denen nur Senioren Einlaß finden. Einziger Lichtblick: Winzer sowie Wein- und Spirituosenhändler gelten als Systemrelevant. So können sich die aufs Land geflohenen New Yorker wenigstens mit den lokalen Weingütern vertraut machen.

Skyline von Manhattan: Es herrscht ungewöhnliche Ruhe Foto: imago images / UPI Photo
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