Werter Chris Kuhn,

Wenn Putin am 69. Jahrestag des Sieges über Deutschland sagt "Der Tag des Sieges der Roten Armee sei und bleibe der wichtigste Feiertag in Rußland", dann meint er genau das, was ich oben sagte. Alles andere ist semantische Umdeutungsakrobatik.

Dabei ist es irrelevant, für wen er das sagte oder diese anachronistische Militärparade abhielt. Ich glaube sogar, dass Putin für Russland der richtige Präsident ist. Anders ist dieses Vielvölkerreich mit seinen Problemen an den Außengrenzen sowie einer bis auf Rohstofflieferungen nicht konkurrenzfähigen Industrie nicht zu regieren. Dass er dabei zweifelhafte rechtsstaatliche Prinzipien anwendet und Ressentiments gegenüber Minderheiten oder dem Westen schürt, findet nicht umsonst Zustimmung in einem gebeutelten Volk, das die eigenen Probleme ansonsten im Alkohol zu ertränken sucht. Hier eignen sich Feindbilder, um vom Versagen Russlands abzulenken, das nach dem Zusammenbruch der UdSSR zurückblieb und den sich erfolgreich neu orientierenden ehemaligen Ostblockstaaten nur hinterherblicken kann.

Entscheidend ist aber, was das für Deutschland bedeutet. Hier ist nüchterne Analyse angesagt, kein sehnsüchtiges Anschmachten.

2) So gesehen ist Putins Homophobie in Rede und Gesetzgebung wohl weitaus relevanter für Sie und andere hier Versammelte als sie das für mich ist.

Kaum lässt Putin ein paar markige Sprüche gegen die allseits hier so verhassten Homosexuellen ab und schiebt noch ein anachronistisches Gesetz hinterher, das dem Substantiv im Titel dieser Zeitung Hohn spricht, schon fallen Sie und andere hier schmachtend auf die Knie, alles obige Historische vergessend, inklusive Putins Karriere als KGB-Agent in Deutschland, applaudieren auch noch Putins Patriotismus und vergessen in Ihrer kopflosen Bewunderung dabei glatt, dass er Russland damit meinte, nicht Deutschland.

Nein, ich muss mich korrigieren: Das ist nicht lächerlich wie ich oben schrieb, das ist erbärmlich.

Kuhn,

Bleiben Sie doch mal beim Punkt – und widerlegen Sie mich, wenn Sie können.

Oder aber schweigen am besten bzw. denken mal über den "Flachsinn" nach, den Sie da verbreiten.

Natürlich haben alle sowjetischen bzw. russischen Präsidenten den 9. Mai so gefeiert, wie er auch heuer gefeiert wurde.

ABER: Früher hatten deutsche Konservative die Stirn, das zu kritisieren, wie auch den glorifizierenden Umgang Russlands mit der eigenen Historie, die Unterdrückung der Opposition und Minderheiten, die Nichtrückgabe von Beutekunst, die Machtbestrebungen gegenüber Nachbarländern usw usf.

Aber kaum lanciert Putin ein paar markige Sprüche und erlässt die konservative Seele hätschelnde Gesetze – allesamt vollkommen irrelevant für die sicherheitsstrategische Situation Deutschlands – und schon kippt die Stimmung und Konservative wollen auf einmal am liebsten mit Putin ins Bett.

Das ist – wie gesagt – lächerlich. Mitunter gar erbärmlich!