Fassungslos blickt die Welt auf die Eskalation der Gewalt im Osten Europas. Das Problem dabei: Über die Hintergründe, die zum Sturz des damaligen Präsidenten Wiktor Janukowitsch führten, zerbricht sich kaum noch jemand den Kopf. JF-Reporter Billy Six hat sich auf Spurensuche begeben.
Was hat es mit dem mysteriösen Brand des Maidan-Hauptquartiers im Februar 2014 auf sich? Schnell wurden Präsident Wiktor Janukowitsch und seine Anhänger dafür verantwortlich gemacht. Was passierte wirklich? Anfang Dezember 2013 begannen Regierungsgegner mit der Beschlagnahme des neungeschossigen Gewerkschaftshauses am Maidan und bauten es schrittweise zur Kommandozentrale aus. Neben Feldküche, Pressezentrum und Notlazarett gab es im oberen Bereich Unterkünfte für „Selbstverteidigungskräfte“ und den „Rechten Sektor“.
„Unsere Jungs haben angefangen“
In der Nacht zum 19. Februar: das Fanal. Kiews umkämpfte Innenstadt wird von einem Flammenmeer erleuchtet – die Maidan-Zentrale brennt lichterloh. Die Öffentlichkeit ist aufgewühlt, ähnlich wie bei der Ägyptischen Revolution 2011, als ein medial inszeniertes Feuer im Hauptgebäude der Regierungspartei NDP die Stimmung zum Überkochen brachte.
„Endlich“, sagt die 22jährige Jana, „war die unerträgliche Zeit des Wartens vorbei.“ Unter den Protestlern habe Depression über den Stillstand geherrscht, so das quasi hauptberufliche „Selbstverteidigung“-Mitglied in Tarnuniform: „Besser als Mensch sterben, denn als Tier zu leben.“ Die blonde Amazone ist noch Monate später vor Ort und bewacht das neue Pressezentrum.
Als Freiwillige, ohne jede Perspektive. Rückblickend stellt sie fest: „Unsere Jungs haben angefangen.“ Die Räumungsaktion gegen den Maidan – eine Reaktion auf den teils gewalttätigen Aufmarsch beim Parlament. Die Staatsmacht rückte in der Nacht dem Widerstandsnest auf den Pelz. Der ukrainische Inlandsgeheimdienst SBU bestätigt sogar den Vormarsch einer hochgerüsteten „Alfa“-Mannschaft auf das Dach.
Kontrollierte Evakuierung
Nur eine Aufklärungsmission für die Einheiten am Boden? Nein, sagte Einsatzleiter Wladimir Chowganjuk vor dem „Moskal-Ausschuß“ des Parlaments: 238 Spezialkräfte seien in das Gebäude eingedrungen, um es zu erobern – eine Zahl, die unglaubwürdig hoch angesetzt ist. Die Opposition behauptete von Beginn an, die Eindringlinge hätten mit Brandmunition die Revolutionäre ausräuchern wollen.
Die Sieger des Maidan sperrten das ausgebrannte Gebäude schon wenige Tage später ab – „aus Sicherheitsgründen“. Investigative Recherchen sind auf dem Maidan generell ohne Sicherheitsrisiken machbar. Doch auf Hilfe kann nicht gesetzt werden, wenn es darum geht, die Brandursache der ersten Februarkampfnacht zu hinterfragen. Vier Versuche einer heimlichen Besichtigung fliegen auf – und stoßen auf wenig Gegenliebe von Maidan-Kräften, Sicherheitsdienst und Polizei, welche die Aufräumarbeiten seit Monaten gemeinsam überwachen.
Seltsam: Am anderen Ende, in einem abgeschlossenen, zum Hinterhof weisenden Raum des ersten Obergeschosses, scheint es einen isolierten Brand gegeben zu haben. Vom Nachbarhaus bietet sich ein voller Blick auf die Ruine. Und weitere Klarheit. Dunkle Brandschlieren an der Außenwand sind sonst nur für den oberen Bereich auszumachen – im fünften bis neunten Obergeschoß der zum Maidan zeigenden Seite. Hier, da stimmen alle Quellen überein, lag auch „der Brandherd“.
Die Leute hatten nichts gehört
Um vom Dach ins Gebäude zu kommen, befindet sich ein Eingang an der gegenüberliegenden Flanke, 70 Meter entfernt. Daß „Alfa“ diesen Weg in die „Höhle des Löwen“ zurückgelegt haben soll, um unbemerkt ein Großfeuer zu legen, erscheint unwahrscheinlich. Es wäre Harakiri gewesen: In den oberen Stockwerken befanden sich Ruheräume und Materiallager für die „Verteidigungskräfte“ des Maidan, darunter der „Rechte Sektor“. Von einem Abwehrkampf auf den Fluren ist nichts bekannt.
Im Gegenteil: Über etwa zwei Stunden lief eine einigermaßen geordnete Evakuierungsaktion, bevor die ersten Flammen gegen Mitternacht zu sehen waren. Anastasia Rozlutska, persönliche Referentin des Parlamentsabgeordneten Oleksandr Donij, berichtet im Gespräch, was sie erlebt habe, als sie zwischen 21 und 22 Uhr vor Ort eingetroffen sei.
„Im ersten Obergeschoß war alles voller Wasser. Die Leute sagten, sie hätten einen Kurzschluß löschen wollen. Aber ich habe davon nichts gesehen.“ Dafür habe sie hautnah erlebt, wie der Befehl ergangen sei, alle Verletzten aus dem Spital herauszutragen. Begründung: Die anrückende Polizei – „Feindseite“. Rozlutska berichtet, wie sie Autos organisierte, um die Patienten vom Maidan wegzufahren. Und dann: „Viel dichter Rauch im oberen Bereich.“ Später Flammen.
„Vier Männer mit Benzinkanistern“
Die Feuerwehr sei zwei bis drei Stunden später gekommen. Die „Samooborona“ des Maidan habe die beiden Wagen passieren lassen und die Staatsmacht alle Operationen um das brennende Gebäude herum eingestellt. Die rechtzeitige Räumung erklärt, daß entgegen aller Schauermärchen nur zwei Menschen der Feuerfalle auf den weiträumigen Fluren zum Opfer fielen und nicht 38, wie später bei einem ähnlichen Fall am 2. Mai in Odessa.
US-Journalist Michael Hammerschlag berichtet: „Ich war bis zuletzt im Presseraum des ersten Obergeschosses. Schon zwei Stunden vorher hat man mir gesagt, zu gehen, aber ich blieb, bis es nicht mehr ging. Das Feuer kam sehr langsam von oben.“ Wie alle anderen bekennt auch er, keine Explosion im Gebäude gehört zu haben. Der Brand entstand lautlos.
„Kein Wunder“, meint „Samooborona“-Frontfrau Jana lässig. „Ich habe gesehen wie vier Männer am Abend mit Benzinkanistern durchs Eingangsportal nach oben gingen – und ein bis zwei Stunden später hat der Brand begonnen.“ Die Kämpferin glaubt, bei der furiosen Zerstörung des eigenen Hauptquartiers habe es sich um die einzige Möglichkeit gehandelt, die hauptsächlich defensive, mittlerweile lethargische Maidan-Bewegung zur Entscheidungsschlacht zu zwingen.
Die wirkliche Verschwörungstheorie
„Wir als Soldaten können nicht rumhocken.“ Für die Profi-Politberaterin Anastasia sieht die Sache anders aus: Zwar bestreitet sie nicht die Brandstiftung – allerdings sei sie „vermutlich aus Verteidigung gegen das anrückende Alfa-Kommando auf dem Dach“ erfolgt. Politaktivistin Maria Tomak, das offizielle Gesicht von „SOS Maidan“, mutmaßt, aus Angst vor der Übernahme seien Akten verbrannt worden – und das Feuer schließlich außer Kontrolle geraten.
Einzig US-Reporter Hammerschlag bleibt bei der offiziellen Maidan-Version und nennt ein intern gelegtes Feuer eine „weithergeholte Verschwörung“, da die Oppositionellen damit ihren Wohnsitz verloren hätten. Doch der Vorwurf, die Polizei habe das Kiewer Gewerkschaftshaus in Brand gesetzt, kann angesichts der Indizienlage als die eigentliche Verschwörungstheorie angesehen werden.
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In der JUNGEN FREIHEIT beschäftigte sich Billy Six zuletzt mit der Frage, wer für die Todesschüsse auf dem Maidan verantwortlich ist. Mehr dazu lesen Sie in den Ausgaben 34/14 und 35/14.