BERLIN. Der Arabien-Experte Peter Scholl-Latour glaubt nicht daran, daß sich in Tunesien, Ägypten und anderen Staaten nach der arabischen Revolution des Frühjahrs Demokratien westlichen Vorbilds entwickeln werden. Diese Vorstellung sei eine Utopie, sagte Scholl-Latour im Gespräch mit der JUNGEN FREIHEIT. „Nicht weil die Araber nicht zur Demokratie fähig wären, sondern weil unser Begriff von Demokratie nicht auf die dortigen Verhältnisse paßt.“
Vielmehr müsse in den arabischen Ländern erst ein Modell für den Aufbau eines erträglichen Regimes gefunden werden. Ein System wie etwa die deutsche parlamentarische Demokratie würde dort dagegen aufgrund mangelnder Handlungsfähigkeit scheitern, prophezeite Scholl-Latour.
Die revolutionären Blogger und jungen Demonstranten, die im Frühjahr zu Tausenden auf dem Tahir-Platz in Ägypten protestierten, bezeichnete der Journalist als politische „Illusionäre und Dilettanten“. Diese seien zwar sympathische und gebildete Leute, politisch betrachtet aber „unreife Schwärmer, die weder über ein Programm noch über eine solide Führung verfügen“.
Islamische Parteien als Wahlsieger
Die maßgeblichen Kräfte hätten sich dagegen bei den Kundgebungen auf dem Tahir Platz im Hintergrund gehalten. Dies seien zum einen die Armee, die Ägypten weiterhin regiere und das möglicherweise noch strammer als zu Zeiten Mubaraks, und zum anderen die islamischen Kräfte.
Letztere würden sich vermutlich auch bei den Wahlen durchsetzen, allen voran die Moslembrüder, die sich nach Ansicht Scholl-Latours aber durchaus zu einer gemäßigten und vernünftigen Partei entwickeln könnten. Sorgen bereite ihm vielmehr die salafistische Al-Nur-Partei, die von Saudi-Arabien finanziert werde und ihren religiösen Fanatismus auch auf Ägypten übertragen wolle, warnte Scholl-Latour. (JF)
Das gesamte Gespräch mit Peter Scholl-Latour über sein neues Buch „Arabiens Stunde der Wahrheit“ ist in der aktuellen Ausgabe (Nr. 51/11) der JUNGEN FREIHEIT erschienen.