BENGASI. In Libyen hat trotz der Flugverbotszone und der Anerkennung der Rebellenregierung durch Italien nach wie vor Gaddafi die Oberhand. Im Westen des Landes ist Misrata schwer umkämpft. In Bengasi dagegen, deren Belagerung die Regierungstruppen abgebrochen haben, normalisiert sich die Lage. Die Libyer beginnen mit dem Wiederaufbau. Der Bürgerkrieg in anderen Teilen des Landes geht einstweilen weiter. Von der Cyrenaika und aus Bengasi berichtet Billy Six:
31.03.2011 Jagbub, Al Bayda, Schahaad, Salantah
In den Grünen Bergen (Cyrenaika) sorgt eine freiwillige Polizei für Ordnung. Die Menschen sitzen in Straßencafés und schauen Fernsehnachrichten von der Front. Die außerhalb gelegene Militäranlage Machal wird immer noch ausgeräumt. Auch nach sechs Wochen Kampf befinden sich in einigen der vierzig Armee-Lagerhallen Raketengeschosse unterschiedlicher Größen. Ein Spediteur hat seine Lkw’s zur Verfügung gestellt, um mit Freiwilligen die Waffen nach Bengasi zu fahren. Die völlig zerschossene Anlage bei Schahaad ist aber bereits seit Wochen leer. Hier starben nach Angaben der Ortsansäßigen 36 Demonstranten
Folgendes soll sich abgespielt haben: Zum Beginn der Demonstration waren die meisten noch unbewaffnet und haben friedlich demonstriert. Als dann Schüsse fielen, sind sie alle durch den Eingang gerannt – direkt ins Feuer. Die Söldner ergriffen nach dem Blutbad jedoch die Flucht, als die libyschen Truppen die Seite wechselten.
Am Abend herzlicher Empfang in der Billal-Moschee. Hunderte beten für einen Sieg der Revolution und auch für meine Sicherheit. Es folgen Radio- und Fernseh-Interview mit Al Hurrah, dem Sender Freies Libyen. Die Anwesenheit von Ausländern bedeutet für die aufständischen Libyer eine psychologische Stärkung.
Auf der Farm eines Libyers sind zehn Männer aus Aschdabija untergekommen. Sie haben ihre Frauen und Kinder nach Al Bayda gebracht und erholen sich von den Strapazen der letzten Tage. „Es gibt permanent Explosionen, wir können nicht schlafen, Gaddafi hat Minen gelegt – womit haben wir das verdient?“ So beschreiben sie die Lage in der Frontstadt. Morgen wollen sie zurück, „um unsere Stadt zu verteidigen“.
02. April 2011 Bengasi
Die Lage hat sich normalisiert. Der Müll wird beseitigt. Die Angst vor Gaddafi-Agenten ist zurückgegangen. Dutzende ausländische Journalisten sind an der Mittelmeerpromenade unterwegs. Erstmals treffe ich auch auf Leute, die angeben, für europäische Regierungen Kontakte mit den Rebellen aufbauen zu wollen.
Hunderte Kinder führen den ganzen Tag über musikalische Darbietungen auf. Es wehen überall Fahnen der Revolution und Frankreichs. Die „Khatiba“, jenem Ort der Revolutions-Armee in Bengasi, der im Februar gestürmt wurde, ist jetzt ein Ausflugsort für Familien. Dutzende Menschen starben hier, Vieles ist zerschossen. Jetzt werden Fotos in den einstigen Armee- und Gefängnisanlagen gemacht, denen sich früher niemand nähern durfte.
Im Süden von Bengasi sind noch immer große Einschußlöcher in Wohnhäusern und Geschäften vom Angriff der regimetreuen Truppen des 19. März zu sehen. Anwohner zeigen Mobiltelefon-Aufnahmen von einem eroberten Flugabwehr-Panzer. Zwischen 20 und 40 Männer haben den Schilderungen zufolge im Quartier den Truppen Gaddafis Widerstand geleistet, der Rest sei geflohen. Mit Panzer- und Flugabwehrgeschossen haben sie den ersten Angriff abwehren können. Ohne den französischen Luftangriff jedoch hätten sie den Angreifern nicht länger standhalten können, sagen die Anwohner.
Nachts sind 20 Kampfflugzeuge am Himmel zu sehen, die vermutlich von einem Einsatz bei Brega zurückkehren.