BERLIN. Eine Aussage von Partei-Chefin Ricarda Lang gibt Rätsel auf, ob die Grünen im Angesicht der drohenden Winter-Blackouts die drei verbliebenen deutschen Atomkraftwerke doch länger laufen lassen wollen als bis zum 31. Dezember. In der ARD-Talkshow „Anne Will“ sagte sie: „Wir machen jetzt einen Streßtest, um zu schauen, ob wir einen Strommangel haben.“ Sollte dies der Fall sein, „werden wir alle Maßnahmen einmal prüfen, welche helfen können, durch den Winter, durch den Herbst zu kommen“.
Dies wird von der Bild-Zeitung als „Rückzugsgefecht“ interpretiert, und die Welt sieht darin eine „Offenheit für längere AKW-Laufzeiten“. Allerdings ist der Zusammenhang wichtig, in dem Lang den Satz gesagt hat. Der frühere Gesundheitsminister Jens Spahn hatte zuvor gemahnt, die Option, den Atomausstieg zu verschieben, um den Strompreis zu stabilisieren, müsse jetzt entschieden werden. Stattdessen sei die Regierung im Urlaub. Es passiere nichts.
Moderatorin Will fragte daraufhin Lang, ob sich die Haltung der Partei angesichts der Energiekrise ändere: „Wenn Sie es ernst meinen, müßten Sie für die Verlängerung der Laufzeiten sein?“ Doch die Grünen-Chefin wiegelte vollständig ab. Sie verwies auf zu hohe Kosten und ein zu hohes Risiko, das die Nutzung der Kernenergie beinhalte. Außerdem habe Deutschland ja kein Stromproblem, sondern ein Gasproblem.
Mit einer einfachen Tatsachenbeschreibung brachte Spahn Lang in Bedrängnis. Er sagte: „Wenn wir kein Stromproblem haben, warum fahren wir dann Kohlekraftwerke wieder hoch? Die Klimakiller in Deutschland. Das zeige, attackierte der CDU-Politiker in Richtung Grüne, „Sie sind mehr Anti-Atomkraft- als Klima-Partei“.
Ricarda Lang gerät unter Druck
Will fragte nun Lang noch einmal, ob es die Möglichkeit gebe, die Laufzeiten zu verlängern. Wieder antwortete Lang: „Nein.“ Und dann ergänzte sie: „Erstmal sage ich, daß wir im Moment das nicht tun werden. Dann sage ich, daß wir in jedem Moment innerhalb dieser Krise natürlich immer auf die aktuelle Situation reagieren müssen und dabei alle Maßnahmen prüfen werden.“
Weil die Grüne dann noch hinzufügte, ihre Partei habe nie etwas „kategorisch ausgeschlossen“, gehen nun die Spekulationen hoch. Sie ergänzte: „Wir haben immer aktuell geprüft, was macht in diesem Moment Sinn. Das werden wir auch weiter tun.“ Daß Lang „damit die Hintertür für die Atomstrom-Verlängerung offen“ ließ, wie die Welt interpretiert, scheint aber doch weit hergeholt. Dafür geriet sie im Moment ihrer Aussage zu sehr unter Druck, und mit ihren Worten schien sie sich aus der Position der Angegriffenen herausnehmen zu wollen.
Klar dagegen ist, daß die Diskussion Ende der Woche wieder hochkochen wird. Denn bis Donnerstag laufen die Wartungsarbeiten an der Pipeline Nord Stream 1. Sollte danach weniger oder gar kein Gas mehr nach Deutschland fließen, dürfte die Laufzeitverlängerung der drei letzten deutschen Atomkraftwerke wieder auf die Tagesordnung kommen. (fh)