Im politischen Alttag wird oft von einer Amerikanisierung der Verhältnisse gesprochen. Und die Vorzeichen des aufziehenden Wahlkampfmarathons mit 15 Urnengängen bestätigen diese Vermutung. Die erfolgreiche Kampagne des neuen amerikanischen Präsidenten Barack Obama beschäftigt die Strategen der bundesdeutschen Parteien. Der Demokrat hatte etwas geschafft, was bisher noch keinem vor ihm gelungen war. Er gewann die Wahl vermutlich durch Aktivitäten im Internet.
Wahlkampagnen im Deutschland liefen bisher dagegen immer nach dem „Schema F“ ab. Die Partei scharten ihre Anhänger bei Veranstaltungen um sich, versandten Postwurfsendungen und plakatieren das Konterfei der jeweiligen Spitzenkandidaten. Dies alles kostete Geld. Geld, welches womöglich gespart und durch sinnhafte Aktionen im weltweiten Netz ersetzt werden kann.
Vorarbeiter der amerikanischen Kampagne war übrigens der Demokrat Howard Dean, der vor knapp sechs Jahren die Vorwahlen gegen den haushohen Favoriten John Kerry nur denkbar knapp verlor, aber einen Meilenstein in Sachen Neue Medien setzte. Konsequent bediente sich Dean des Mediums Internet, verbuchte Rekordzuwächse beim Sammeln von Online-Spenden und ließ Hunderttausende von jungen Sympathisanten seine Botschaften in Foren, und Internetgemeinschaften verbreiten. Barack Obama konnte sich im vergangenen Herbst quasi ins gemachte Nest setzen und die verfeinerten technischen Möglichkeiten perfekt für seinen Siegeszug nutzen.
So wundert es nicht, daß sich auch deutsche Parteien für das Superwahljahr rüsten. Der SPD-Bundesgeschäftsführer Kajo Wasserhövel hat die Netz-Aktivitäten seiner Partei und des Kanzlerkandidaten Frank-Walter Steinmeier als „zentralen Baustein der Wahlkampagne“ ausgerufen und angekündigt, deutlich mehr Mittel für den Internet-auftritt zu verwenden als bisher.
„Wenn man eines aus dem Rennen um das Weiße Haus im letzten Jahr lernen kann, dann ist es, daß nicht so sehr die Plattformen der Kandidaten im Zentrum der Kampagnen standen, sondern die Mobilisierung von freiwilligen, kreativen Unterstützern und deren Aktivitäten im Internet“, sagt Wasserhövel. Nach seinen Vorstellungen soll auch Steinmeier in Internetplattformen wie www.facebook.com oder www.twitter.com präsent sein.
Auch Bündnis 90/Die Grünen wollen im Wahlkampf verstärkt auf Aktionen im Netz setzen. Die Strategie ist einfach: So schwierig es ist, Sympathisanten bei Wind und Wetter zu Verteilaktionen oder Veranstaltungen zu mobilisieren, so einfach ist es, in Online-Netzwerken werbewirksame Botschaften zu verbreiten. Zumal die Zahl der Internet-Nutzer in Deutschland stetig steigt und auch in den älteren Generationen zunehmend meßbar wird. Und in Zeiten, in denen Überweisungen bequem vom heimischen Rechner aus durchgeführt werden können, haben die Parteien ihre Spendensammel-Aktivitäten längst in ihre Internet-auftritte integriert.
Das weltweite Netz bietet zudem einen weiteren, nicht zu unterschätzenden Vorteil. Auf den Internetseiten der Parteien und der Kandidaten können die Akteure ihre Botschaften unzensiert und unkommentiert veröffentlichen. Das Problem: Sie müssen die Nutzer zum Besuch der Seite bewegen. „Einbinden heiß das Gebot der Stunde“, sagt SPD-Geschäftsführer Wasserhövel und präsentierte stolz die Netzgemeinschaft „meinespd“.
Die anderen Bundestagsparteien ziehen nach. Und nicht nur die: Auch für kleinere Parteien bieten die neue Medien Chancen, welche nach Experten-Ansicht bisher sträflich ungenutzt blieben. So wundert sich eine Arbeitsgruppe der Universität München darüber, daß während des bayerischen Wahlkampfs 2008 nur wenige Wahlkampffilme im Netz angeboten wurden. Ein Manko, welches offenbar auch die rechtskonservativen Republikaner erkannt haben. So hat die Partei auf Youtube „Rep-TV“ ins Leben gerufen. Stellungnahmen von Funktionsträgern sowie Werbefilme können online abgerufen werden. Wie die Partei glaubt, sei dies „eine wirksame Möglichkeit, um die Medienblockade zu umgehen“.
Foto: Die Parteien haben das Internet für sich entdeckt: Wahlkampf vom heimischen Rechner aus