Als Angela Merkel und Silvio Berlusconi die militärische Ehrenformation auf der sonnigen Piazza dellUnità in Triest abschritten, schien die Welt zwischen Rom und Berlin in Ordnung. Beide Regierungschefs übten sich im Gleichschritt, die Nationalhymnen ertönten, die Flaggen wehten im Herbstwind. Sie vereinbarten eine verstärkte Zusammenarbeit im Umgang mit der internationalen Finanzkrise, dem Klimaschutz, der Europa-Politik im allgemeinen und dem Verhältnis zu Rußland im besonderen und natürlich der Pflege der deutsch-italienischen Beziehungen. Der Gipfel schien eine Routineangelegenheit — dennoch lastete diesmal ein dunkler Schatten der Vergangenheit über der Zusammenkunft. Als Außenminister Frank-Walter Steinmeier mit seinem italienischen Amtskollegen Franco Frattini im früheren KZ Risiera di San Sabba bei Triest einen Kranz niederlegte, um der etwa 5.000 NS-Opfer zu gedenken, die von Oktober 1943 bis April 1945 hier ermordet wurden, spätestens da waren die Kriegsgreuel wieder allgegenwärtig. Steinmeier kündigte eine deutsch-italienische Konferenz von Historikern und die Gründung einer Kommission an, um die bilaterale Geschichte aufzuarbeiten. „Diese Erinnerung darf keine Kapitel unserer gemeinsamen Vergangenheit ausblenden, auch und gerade nicht die allerschmerzlichsten“, erklärte der SPD-Vize. Grund für die Trübung des bilateralen Verhältnisses sind zwei italienische Gerichtsentscheidungen. Im Oktober entschied das oberste Berufungsgericht (Corte Suprema di Cassazione), daß Deutschland die Angehörigen der 203 Zivilisten entschädigen müsse, die 1944 im toskanischen Dorf Civitella bei einem SS-Massaker umkamen. Die Kassation wies damit den Einspruch der Bundesrepublik Deutschland gegen ein Urteil des Militärgerichts in der Stadt La Spezia ab, das einen früheren deutschen SS-Soldaten wegen seiner Beteiligung am Massaker zu lebenslanger Haft und Deutschland als Rechtsnachfolgerin des Dritten Reiches zu einer Schadensersatzzahlung in Höhe von 800.000 Euro verurteilt hatte. Deutschland hatte argumentiert, diese Kompensationsforderung verletze die Staatenimmunität. Dieses jüngste Urteil kam völlig unerwartet und legt sich nun bleischwer auf die bisher guten Beziehungen zwischen den beiden Ländern. Der Anwalt, der die deutsche Seite vor dem Kassationsgericht vertrat, wies warnend darauf hin, daß dieses Urteil das Völkerrecht auf den Kopf zu stellen drohe. Auch könne damit eine Büchse der Pandora geöffnet werden, denn das Urteil mache in Italien den Weg für mindestens 10.000 weitere einzelne Schadensersatzklagen wegen NS-Verbrechen frei. Zwar hatte man schon einen Vorgeschmack erhalten, wie die italienischen Richter im Kassationsgericht derzeit „denken und handeln“. Denn bereits im Juni hatte ebendieses oberste Gericht entschieden, daß auch für die Zehntausende von italienischen Zwangsarbeitern im Dritten Reich Schadenersatzklagen zulässig seien. Ebenso wurden die Ansprüche für die Überlebenden aus dem griechische Dorf Distomo anerkannt, wo im Sommer 1944 eine deutsche SS-Einheit während der Besatzungszeit wütete. Um diese Entschädigungszahlungen zu erzwingen, sollte deutsches Staatseigentum nicht nur in Griechenland, sondern auch in Italien gepfändet werden. Allerdings dürfte sich auch dies als schwierig erweisen, weil die italienische Regierung bereits in einem früheren Fall entschieden hat, daß alle deutschen Güter in Italien funktionalen Charakter hätten und entsprechend nicht beschlagnahmt werden könnten. Bei den Urteilen hatte sich Berlin immer wieder auf die Staatenimmunität berufen und dabei geltend gemacht, daß die Entschädigungsfrage mit dem Friedensvertrag von 1947 und dem Bonner Abkommen von 1961, aufgrund dessen Italien 40 Milliarden Lire erhalten hatte, abgeschlossen sei. Dieses jüngste Urteilsspruch der Kassation könnte sich auch als schwerer Bumerang für Italien erweisen. Dementsprechend wurde der Urteilspruch auch in den italienischen Medien kritisiert. Diplomaten sprechen schon von einem „Horrorszenario“. Der Mailänder Historiker Roberto Chiarini warnte, daß nun auch die Republik Italien als Rechtsnachfolgerin des Königreiches für die faschistischen Missetaten in Libyen, Albanien oder Äthiopien zur Kasse gebeten werden könnte. Ruinöse Forderungen könnten auf Rom zukommen. Deshalb ist die italienische Regierung durchaus damit einverstanden, daß Deutschland nun beim Internationalen Gerichtshof in Den Haag klagt. Die Bundesregierung versucht, auf die Forderungen der italienischen NS-Opfer mit einer Doppelstrategie zu reagieren. Juristisch weist sie alle Ansprüche unter Berufung auf die Staatsimmunität und die völkerrechtlichen Verträge ab; politisch-moralisch betont man, Deutschland stehe zu seiner Verantwortung. Das erste Treffen der neuen Historiker-Kommission soll in der Villa Vigoni am Comer See stattfinden. Doch ausgerechnet auf diese deutsch-italienische Kulturinstitution ließ das Berufsgericht in Florenz eine Hypothek von 25.000 Euro zur Entschädigungssicherung eintragen (JF 25/08).
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