Wirtschaftsexperten stellen jenen deutschen und österreichischen Kommunen und Landkreisen düstere Prognosen aus, die vor Jahren ihre defizitären Haushalte statt durch Sparen (oder unpopuläre Einnahmenerhöhungen) lieber mittels Cross Border Leasing (CBL) sanieren wollten. Die riskanten Geschäfte kommen „mit mehr als 50 Millionen Euro noch teurer als befürchtet. Für Millionen Baden-Württemberger steigt der Preis für Trinkwasser“, warnte vorige Woche beispielsweise die Stuttgarter Zeitung. So überließ etwa die Bodenseewasserversorgung (BWV) vor sechs Jahren ein Wasserwerk und 1.700 Kilometer Leitungsnetz für 841 Millionen US-Dollar der First Union Bank. Bei der Landeswasserversorgung (LW) waren es 2001 sogar drei Wasserwerke und 735 Kilometer Wasserleitungen. Dafür erhielten die südwestdeutschen Zweckverbände zunächst 35,2 Millionen bzw. 24,7 Millionen Euro. Für diesen warmen Geldregen aus den USA mußten sie die verscherbelte öffentliche Infrastruktur „zurückmieten“. Doch das Austricksen des US-Fiskus ging nicht lange gut. „Wir haben nicht absehen können, daß wir einmal einen solchen Finanz-Tsunami erleben“, jammert nun Wolfgang Schuster (CDU), LW-Verbandschef und Stuttgarter Oberbürgermeister. Dabei gab es CBL-Warner wie Werner Rügemer, die frühzeitig auf die Gefahren hingewiesen haben. Der Kölner Dozent sieht den „Privatisierungswahn der Neunziger“ gar als einen der Hauptauslöser der weltweiten Finanzmarktkrise und unterstellt, daß „das ein oder andere Stadtoberhaupt gar nicht so recht verstanden hat, was er da unterschrieben hat“. Denn, so Rügemer: „Die Realität der CBL-Verträge ist in Wirklichkeit viel komplizierter, als sie in der Öffentlichkeit dargestellt wurde.“ Unbedarfte Ökonomen und Städte sahen eine Goldgrube Um das kollektive Unwohlsein in deutschen Amtsstuben zu verstehen, lohnt sich ein Blick zurück: Zwischen 1994 und 2004 sahen unbedarfte Ökonomen und Städte noch eine wahre Goldgrube in den Geschäften, die von US-Wirtschaftsjuristen konzipiert wurden (JF 21/03). Nicht selten umfaßte ein Vertragswerk mehrere hundert Seiten. Auf den ersten Blick liest sich das Konzept schlüssig — zumal angesichts der chronisch leeren Kassen bei Kommunen und öffentlichen Unternehmen. Städte und Gemeinden haben einen Teil ihrer Infrastruktur für 25 bis 99 Jahre an einen ausländischen Investor vermietet und umgehend wieder zurückgemietet. Nach amerikanischem Recht erhält ein Mieter, der ein Objekt über einen längeren Zeitraum mietet, dieselben Rechte wie ein Käufer. Bis zu einer Gesetzesänderung im Jahr 2004 konnten die vorrangig in den USA ansässigen Investoren mit diesem Finanzierungsmodell Steuern sparen. Einen Teil davon traten sie an den ursprünglichen deutschen Eigentümer ab — den sogenannten Barwertvorteil. Dem kurzfristigen Vorteil steht ein langfristiger Nachteil wesentlich größeren Ausmaßes gegenüber — doch statt in Generationen denken immer mehr Politiker und Wirtschaftsführer in Wahlperioden bzw. Quartalszahlen, frei nach dem Motto: Nach mir die Sintflut. So hat Köln seine Kanalisation veräußert, Ulm sein Klär- und Müllheizkraftwerk, Gelsenkirchen zahlreiche Schulen und öffentliche Gebäude. In Bochum wurde ebenfalls die Kanalisation veräußert, in Berlin waren es Messegebäude und Fahrzeuge der stadteigenen Verkehrsbetriebe und in Düsseldorf unter anderem die Rheinbahn. Der in diesem Jahr verstorbene Oberbürgermeister Joachim Erwin (CDU) konnte sich stolz als Stadtoberhaupt mit „Schwarzer Null“ feiern lassen — seit dem 12. September 2007 war Düsseldorf neben Dresden (das städtische Wohnungen an einen US-Investor verkaufte, JF 44/05) die einzige deutsche Großstadt, die formal keine Schulden mehr hatte. Erwins Nachfolgern ist heute mulmig zumute. Denn hinter den US-Investoren, so sickerte inzwischen durch, standen unter anderem jetzt kriselnde Banken oder Versicherer wie der vorerst mit einem milliardenschweren US-Rettungspaket aufgefangene (einst weltgrößte) Versicherungskonzern American International Group (AIG). CBL-Experte Rügemer, der schon 2004 in seinem vielbeachteten Buch „Cross Border Leasing“ vor der jetzt eingetretenen Situation warnte, kritisiert vor allem, „daß in Bereich dieser Geschäfte so gut wie keine Transparenz herrscht. Unter Androhung von horrenden Vertragsstrafen mußten sich die deutschen Kommunen verpflichten, über Vertragsinhalte und Vertragspartner Stillschweigen zu bewahren.“ Mit Verweis auf ihre Schweigepflicht äußern sich nur wenige Städte zu aktuellen Risiken. Bochums Stadtkämmerer Manfred Busch gab aber kürzlich zu: „Das Rating unserer Vertragsfirmen wurde herabgesetzt. Wir müssen innerhalb von 90 Tagen zusätzliche Sicherheiten stellen.“ Denn der Pferdefuß der ganzen Angelegenheit ist nunmehr offen zutage getreten: Für Ausfälle im Finanzierungssystem der US-Investoren haften die Städte. Rügemer erklärt, daß die Investoren nur in seltenen Fällen Eigenmittel aufgebracht haben. „Im Endeffekt sind es fünf Banken, die Kredite zur Verfügung gestellt haben. Wenn der Kreditnehmer, wie es jetzt der Fall ist, nicht mehr zahlen kann, wird es problematisch. Teilweise müssen deutsche Städte jetzt mit US-Banken verhandeln, teilweise auch neue Banken zur Kreditübernahme finden.“ Die kaufmännische Vorsicht im Renditewahn mißachtet Dies gestaltet sich enorm schwierig, da fast alle Banken mit Problemen zu kämpfen haben. Prominentestes Beispiel für den „Cross-Border-Bumerang“, der derzeit auf die deutschen Städte zukommt, ist das Finanzdrama um die Berliner Verkehrsbetriebe (BVG). Diese müssen eine Risikovorsorge von 157 Millionen Euro in ihre Bilanz einstellen. Die „kaufmännische Vorsicht“ mache dies notwendig, sagte die Sprecherin des Unternehmens, Petra Reetz. Von 1997 bis 2002 hatte die BVG 427 U-Bahn- und 511 Straßenbahnwagen an US-Investoren vermietet und sofort wieder zurückgemietet. „Das waren alles Investoren von höchster Bonität, aber einige sind im Zuge der Finanzmarktkrise doch ausgefallen“, sagte Reetz. Doch nicht nur die CBL-Geschäfte bereiten derzeit Sorgen. Mehrere österreichische Gemeinden haben vor einigen Jahren finanzielle Rücklagen in damals zinsgünstige Fremd-Wertpapierdepots angelegt oder anfallende Sanierungen durch Fremdwährungskredite finanziert. Die Verluste, die durch diese „Zins-Swap-Geschäfte“ entstanden sind, sind enorm. Berühmt-berüchtigt sind mittlerweile die „Kreditausfall-Swaps“. Mit diesem Versicherungstitel sollten eben die durch die aufgeführten Geschäfte verbundenen Risiken abgesichert werden. Doch allzuviele dieser Kreditderivate entpuppten sich als Luftnummern. So ging der Versicherungsgigant AIG wohl nur deshalb in die Knie, weil er Ausfall-Swaps weiterveräußern wollte, die völlig überbewertet waren. Mangelnde Transparenz und die vertraglich erzwungene Geheimhaltungspflicht bei Geschäften mit dem US-Finanzmarkt verschärften die Krise. Für Rügemer ist dies alles nur logisch. „Jeder hat sich von jedem Geld geliehen und die Sicherheiten weiterkauft. Wenn aber alle von dem Finanzchaos betroffen sind, sind die Sicherheiten nichts mehr wert.“ Die deutschen und österreichischen Kommunen seien einer Fehleinschätzung aufgesessen. „Man ist eben davon ausgegangen, daß die Finanzwelt ein Wachstumsmarkt bleiben wird. Das war eben nicht der Fall.“ Dennoch sollen die fragwürdigen Steuerspargeschäfte munter weitergehen. Und anstelle der AIG solle nun die Deutsche Bank für die restlichen 22 Jahre in das verantwortungslose Geschäft von BWV und LW einsteigen. Aber „da in Deutschland für das Geschäft eine Zinsbesteuerung in Millionenhöhe anfallen würde, gründen beide Verbände eine Stiftung in Amsterdam“, schrieb die Stuttgarter Zeitung. „Abwickeln soll den Handel die Deutsche-Bank-Tochter in Luxemburg.“ Werner Rügemer: Cross Border Leasing. Ein Lehrstück zur globalen Enteignung der Städte. Verlag Westfälisches Dampfboot, Münster, broschiert, 201 Seiten, 19,90 Euro