Doppelt aufschlußreich war der Seminartag der Staats- und Wirtschaftspolitischen Gesellschaft in Hamburg am vergangenen Sonnabend. Die rund 120 Gäste erwarteten ein neuer Vorsitzender und Antworten auf die Eingangsfrage: „Wie kann Deutschland die Zukunft meistern?“ Unter der Leitung von Oberst a. D. Manfred Backerra wurde der Blick zunächst nach Brüssel gerichtet. Der Staatsrechtler Karl Albrecht Schachtschneider verwies auf das Demokratiedefizit der Europäischen Union. Er sei nicht gegen den europäischen Gedanken an sich, unter den jetzigen Umständen jedoch für einen Austritt Deutschlands aus der EU. Ziel sei es, neue Verträge für ein Europa der Vaterländer zu verhandeln. Frontal griff er die Lissabon-Verträge an. Gegenüber der JF kündigte Schachtschneider an, neben der schon avisierten Verfassungsbeschwerde (JF 01/08) bereits eine Minute nach der voraussichtlich am 23. Mai erfolgenden Zustimmung des Bundesrates zu den Lissabon-Verträgen eine Einstweilige Anordnung beim Bundesverfassungsgericht erwirken zu wollen, die dem Bundespräsidenten die Unterschrift unter das Vertragswerk untersagen soll. Kämpferisch gab sich der parteilose Bundestagsabgeordnete Henry Nitzsche, der momentan mit seiner Wählervereinigung „Arbeit, Familie, Vaterland“ im sächsischen Landkreis Bautzen Furore macht. Mittlerweile seien 70 Mitglieder aufgenommen worden, und jeden Tag erreichten ihn neue Aufnahmeanträge. Sollte seine Liste bei den Kreistagswahlen am 8. Juni Fraktionsstärke erreichen, will er sich auch an den Landtagswahlen beteiligen. „Die letzte Rache Honeckers erobert den Westen“, sagte Nitzsche zu den Erfolgen der Linkspartei bei westdeutschen Landtagswahlen. Zwar hätte er für die Linkspartei nichts übrig, doch stelle sie Fragen, mit denen man sich auseinandersetzen müsse. Mit Blick auf die NPD forderte er, Themen wie Patriotismus nicht den Extremisten zu überlassen. Der CDU warf er vor, sich rückgratlos der politischen Korrektheit zu unterwerfen. Mit vielen seiner ehemaligen Kollegen aus der Fraktion sei er sich unter vier Augen oft einig, doch wenn es darauf ankomme, sei die Angst davor, von der Partei nicht mehr aufgestellt zu werden, oft größer als der Mut, sich für eigene Überzeugungen auch gegen die Parteioberen einzusetzen. Mit Spannung wurde die Rede des neuen SWG-Vorsitzenden Menno Aden erwartet. Der Professor für Wirtschaftsrecht an der Universität Dortmund hat durch seine Gastprofessuren in Afghanistan, Pakistan und Rumänien sowie seine Tätigkeit als ehemaliger Deutscher Vertreter im Amt des Hohen Repräsentanten für Bosnien-Herzegowina einen internationalen Blick auf Deutschland. Er vermisse eine Debatte über die nationalen Interessen Deutschlands. Als primäres Interesse sieht er die Bewahrung der Identität. „Man braucht ein Gefühl und Wissen für das, was man selbst ist“, so Aden. Auf die selbstgestellte Frage, „wer wir sind und wie wir heute zum Gelingen der Welt beitragen können“, habe er noch keine eindeutige Antwort, jedoch sei gerade „die Prozeßhaftigkeit dieser Fragestellung“ das für die SWG anzugehende Thema. Er stehe für einen „aufgeklärten Patriotismus“ und will damit die SWG noch attraktiver für ein jüngeres Publikum machen. In der Laudatio auf seinen Vorgänger General a. D. Reinhard Uhle-Wettler, der nach 13 Jahren an der Spitze den Stab weitergab, hob er insbesondere dessen Offenheit für andere Blickwinkel hervor. Vor allem aber sei es Uhle-Wettler zu verdanken, daß es die SWG überhaupt noch gebe. Zwar verortete sich Aden als „ein bißchen liberaler“, doch wolle er auch die Kontinuität Uhle-Wettlers fortsetzen. Daß Aden bei dieser Aufgabe noch einiges vor sich haben wird, wurde an den heftigen Reaktionen eines Teils des Publikums deutlich, als er sich für eine „faire“ Einordnung der Verdienste Helmut Kohls und Hans-Dietrich Genschers um die deutsche Einheit aussprach. Manche wird er für diesen neuen Kurs erst noch gewinnen müssen. Die SWG im Internet: www.swg-hamburg.de