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Schattenseiten des Wirtschaftswunders

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Seit dem Erwachen des „Keltischen Tigers“ vor 15 Jahren hat Irland eine Zeit beispielloser Veränderungen durchlaufen. Eine geschickte Wirtschaftspolitik verbunden mit den höchsten Pro-Kopf-EU-Transferleistungen haben der einst armen grünen Insel ein Wirtschaftswunder beschert, mit dem die Arbeitslosigkeit von 14 auf vier Prozent gedrückt werden konnte – und das Einwanderer aus aller Herren Länder angelockt hat. Zahlreiche Straßenbauprojekte versuchen die Motorisierungswelle aufzunehmen. Ambitionierte Bauvorhaben werden vor allem in der prosperierenden Hauptstadt Dublin auf den Weg gebracht. Überall im Land machen zahlreiche Neubausiedlungen von Eigenheimen den gestiegenen Wohlstand sichtbar. Selbstsüchtig, ungeduldig und arrogant geworden Doch die ökonomische Modernisierung hat auch Schattenseiten: Die zunehmende Spaltung zwischen Arm und Reich, der Zerfall traditioneller Familienstrukturen, wachsende Jugend- und Bandenkriminalität und nicht zuletzt die Zuwanderung sorgen für ein nervöses Unbehagen unter den 4,2 Millionen katholischen Iren. Ihr „altes Irland“ ist durch den Wertewandel abgetreten, ohne daß bislang ein neues an seine Stelle getreten ist. Der Ruf nach einer Wiedererfindung der irischen Nationalidentität, um die entstandene Leerstelle zu füllen, wird lauter. Doch am schärfsten diagnostizierte der irische Sozialminister Séamus Brennan den mentalen Wandel der Iren, als er seinen Landsleuten im März 2006 bescheinigte, sie seien durch den wirtschaftlichen Aufschwung selbstsüchtig, ungeduldig und arrogant geworden. Er prophezeite, daß künftige Generationen auf sie als ein Volk zurückblicken würden, das einen Zugriff auf den „Heiligen Gral“ von ökonomischem Erfolg, Wohlstand, Vollbeschäftigung und endlosen Möglichkeiten hatte. Sie würden danach beurteilt werden, wie sie diesen wertvollen Besitz genutzt hätten. Nun kämpft sein Chef Bertie Ahern, der seit 1997 als irischer Ministerpräsident einen Großteil dieses Zeitenwechsels begleitete, bei der für den 24. Mai angesetzten Wahl zum Dáil Éireann (irisches Unterhaus) um eine weitere Amtszeit. Aherns nationalkonservative Fianna Fáil (FF/“Soldaten des Schicksals“) ist mit 79 Sitzen (von 166) stärkste Kraft und eine der am längsten regierenden Parteien in Europa. In Deutschland würde sie wahrscheinlich – obwohl eigentlich eine katholische Partei der Mitte – unter Beobachtung des Verfassungsschutzes stehen, denn im Europaparlament gehört die FF zur rechten Union für ein Europa der Nationen (UEN) – zusammen mit der postfaschistischen italienischen Alleanza Nazionale (AN), der rechtspopulistischen Dänischen Volkspartei (DF) oder der sozialkonservativen Regierungspartei PiS des polnischen Premiers Jarosław Kaczyński. Hauptgrund ist, daß man nicht mit den britischen Tories zusammensitzen muß. Aherns Koalitionspartner sind seit 1997 die wirtschaftsliberalen Demokraten (PD/An Páirtí Daonlathach, 8 Sitze). Die stärkste Oppositionspartei ist die bürgerliche Fine Gael (FG/“Familie der Iren“, 32 Sitze), die mit CDU und CSU in der Europäischen Volkspartei (EVP) verbündet ist. Die Sozialdemokraten (PLO/Páirtí an Lucht Oibre, 21 Sitze) sind drittstärkste Partei. Die irischen Grünen erreichten 2002 sechs Sitze, die linksnationalistische Sinn Féin (SF/“Wir selbst“) fünf und die Sozialisten einen Sitz. Hinzu kommen noch 14 unabhängige Abgeordnete. FF und FG sind die beiden „Volksparteien“ Irlands. Historisch leiten sie sich jeweils aus den Befürwortern und Gegnern des Freistaatsvertrages ab, mit dem Irland 1921 von London in die Unabhängigkeit entlassen wurde. Bei FF versammelten sich die antibritischen Vertragsgegner, bei FG die Kompromiß-Befürworter. In ihren Wahlversprechen sind beide inzwischen kaum zu unterscheiden: Steuersenkungen, mehr Polizisten und Lehrer, verbesserte Krankenhäuser und Hilfen für Eltern, die für ihre Kinder zu Hause bleiben. Von den FG-Steuervorschlägen kalt erwischt leitete die FF auf dem Parteitag im März eine Kehrtwende ein: Sie beschloß unter anderem die Senkung der Einkommenssteuer und eine Halbierung der Sozialversicherungsbeiträge für den Fall ihrer Wiederwahl. Möglicherweise läuft sie mit diesem Schwenk ins Leere: Der signifikante Rückgang im Immobilienmarkt im ersten Quartal dieses Jahres könnte die Vorwegnahme eines FG-Wahlsieges bedeuten, die in ihrem Wahlprogramm die Reform der Dokumentensteuer verspricht, um gezielt erstmalige Eigenheimbauer- und Käufer zu unterstützen. Angst vor den Stimmen der Modernisierungsverlierer Die Stimmung für die Regierung ist schlecht. Steigende Lebenshaltungskosten und abflauendes Wirtschaftswachstum belasten das Verbrauchervertrauen. Zusätzlich muß sich Ahern Korruptionsvorwürfen stellen, die die PD auf Distanz gehen lassen. Meinungsumfragen deuten ein Ende der Ära Ahern an. Die Option FG/PLO hat (eventuell zusammen mit den Grünen) gute Chancen, die nächste Regierung zu stellen. Im Aufwind scheint auch die SF, die älteste und einzige auf der gesamten Insel vertretene Partei. Unter Führung des populären Gerry Adams hat sie es im Zuge des nordirischen Friedensprozesses mit Erfolg geschafft, sich von ihrer Rolle als politischer Arm der Untergrundorganisation IRA (Irisch-Republikanische Armee) als eigenständige Partei zu emanzipieren. Linkspopulistisch auftretend, hat die SF mit ihren Forderungen nach Kostenfreiheit in Gesundheitsfürsorge und Bildung sowie gezielter Umverteilung durch ein neues Steuersystem gezielt irische Modernisierungsverlierer angesprochen. Mit ihrer EU-Skepsis und ihrer Ablehnung der indirekten Unterstützung des Irak-Krieges durch die umstrittene Erlaubnis der Regierung an die US-Luftwaffe, ihre Maschinen auf dem Weg in den Irak auf dem Flughafen Shannon (An tSionna) aufzutanken, hält sie konsequent am irischen Neutralitätsgebot fest. Damit erweist sie sich als konservativer als fast jede andere irische Partei, gehört doch dieses in der Verfassung verankerte Gebot zum festen Bestandteil der irischen Identität und des republikanischen Ethos. In der Frage der Zuwanderung aus fremden Ländern besteht eine tiefe Kluft zwischen den Wählern und der multikulturellen Rhetorik der SF-Parteiführung: So stimmten 2004 in einer Volksabstimmung entgegen dem Parteivotum über die Hälfte der SF-Wähler für eine Verschärfung des bis dahin sehr laxen Staatsbürgerschaftsrechts. Die beiden SF-Europaparlamentarier sitzen übrigens in der Konföderalen Fraktion der Vereinigten Europäischen Linken – zusammen mit der Linkspartei/PDS. Inzwischen wird sogar darüber spekuliert, daß die SF Ahern Unterstützung anbieten könnte, sollte dessen Wahlergebnis nicht zum Weiterregieren reichen. Ahern hat diese Möglichkeit zwar bislang kategorisch ausgeschlossen, aber besorgte Stimmen fragen schon, ob Irland wirklich bereit sei für eine Regierung, die vom „politischen Paria“ Sinn Féin abhängt. Sie verweisen dabei auch auf eine SF-Kampagne für die Amnestierung jener fünf IRA-Mitglieder in irischen Gefängnissen, die 1996 bei einem auf eigene Rechnung verübten brutalen Banküberfall einen Polizisten ermordet haben. Foto: Sinn-Féin-Osterparade in Dublin: Soziale Versprechen und konsequentes Festhalten an der Neutralität, Ahern: Im Ausland bewundert

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