Die CDU entfernt sich unter ihrer Vorsitzenden Angela Merkel immer schneller von klassischen bürgerlichen Positionen. Auch in der Großen Koalition hat Merkel ihr Ziel nicht aufgegeben, aus der einstigen Kohl-Partei die „modernste Partei Europas“ zu machen. Was mit dem Elterngeld begann, soll jetzt die Fortsetzung im Steuerrecht finden. „Familiensplitting“ heißt der Zauberbegriff, der Anfang der Woche unter den CDU-Bundestagsabgeordneten zu einem Aufstand geführt hat. Zunächst, so scheint es, ist das Thema daher vom Tisch – aber die Idee bleibt. Die CDU, so liest man im Entwurf für das neue Grundsatzprogramm, trete dafür ein, „das Ehegattensplitting zu einem Familiensplitting zu erweitern, damit die besonderen Belastungen von Familien mit Kindern besser ausgeglichen werden“. Zur Finanzierung soll ein Teil der bisherigen Vorteile für Eheleute aus dem Ehegattensplitting auf Familien mit Kindern umgeschichtet werden. Was sich zunächst gut anhört, enttarnt sich beim näheren Hinschauen als Neuauflage des offiziellen DDR-Familienbildes, nach dem jeder berufstätig zu sein hat. Das Ehegattensplitting geht zurück auf das Grundgesetz, das Ehe und Familie unter den besonderen Schutz des Staates stellt. Das Splitting funktioniert einfach: Das Einkommen der Eheleute wird durch zwei geteilt, und danach wird von dem Ergebnis der Steuersatz (der bei einem linear-progressiven Tarif dann niedriger ist) abgelesen und mit zwei multipliziert. Im Ergebnis zahlen Ehegatten weniger Steuern als Singles mit gleich hohem Einkommen. Der Steuervorteil kann sich auf bis zu 8.349 Euro im Jahr belaufen. Damit wird sichergestellt, daß Ehepartner selbst festlegen können, wer für das Einkommen und wer für andere Aufgaben sorgt, zum Beispiel Kindererziehung. In der beileibe nicht neuen Diskussion um das Ehegattensplitting wird regelmäßig verschwiegen, daß der Splittingvorteil nur dann besonders hoch ist, wenn ein Ehegatte gar nicht arbeitet und der andere Alleinverdiener ist. Verdienen beide Ehegatten gleich viel, beträgt der Splittingvorteil null Euro. In den allermeisten Fällen, in denen ein Ehepartner nur halbtags arbeiten kann, weil er sich um die Kinder kümmert, liegt der Splittingvorteil zwischen 1.000 und 2.000 Euro im Jahr. Das Splitting ist also eine klassische Familienförderungsmaßnahme. Der maximale Steuervorteil tritt in den Fällen ein, in denen ein Zahnarzt seine Helferin aus der Praxis heiratet, die dann nicht mehr arbeitet und auch keine Kinder bekommt, sondern mit dem Porsche des Gatten die Düsseldorfer Königsallee leerkauft. Sehr realistisch ist dieses Bild nicht. CDU-Generalsekretär Ronald Pofalla hat den Begriff Familiensplitting mit neuen Inhalten gefüllt. Ursprünglich wurde darunter eine Erweiterung des Ehegattensplittings verstanden. Danach wäre bei einer Familie mit einem Kind das Einkommen durch drei geteilt worden, der niedrige Steuersatz errechnet und wieder mit drei multipliziert worden. Bei zwei Kindern hätte die Rechnung mit dem Faktor vier, bei drei Kindern mit dem Faktor fünf und so weiter stattgefunden. Aber schon Helmut Kohl verwarf dieses Familiensplitting aus Kostengründen. Würde die CDU-Zentrale mit ihrem Vorschlag durchkommen, müßten Eltern, die sich stark für ihre Kinder engagieren und dafür auf Berufstätigkeit verzichten, dafür bluten, um neue Instrumente einer Familienförderung zu bezahlen, deren Wirkung nicht sicher ist. Die stellvertretende SPD-Fraktionsvorsitzende Nicolette Kressl kündigte bereits an, die beim Ehegattensplitting eingesparten Gelder sollten dafür verwendet werden, den Besuch von Kindertagesstätten kostenlos zu stellen. Der Erfolg solcher Milliardenprogramme ist in Zweifel zu ziehen. Es gibt in Deutschland interessante Statistiken. Danach ist die Geburtenrate ausgerechnet dort am höchsten, wo es die geringste Dichte an Kinderbetreuungseinrichtungen gibt, zum Beispiel in dem katholischen Teil Nordwest-Niedersachsens. Am niedrigsten ist die Geburtenrate in Berlin und in den neuen Ländern, wo das dichte Netz der Kindertagesstätten aus DDR-Zeiten größtenteils weiter existiert. Geburtenhäufigkeit und Geburtenarmut haben andere Gründe als staatliches Einwirken auf den Familienalltag. Hinter dem CDU-Vorschlag steckt eine andere gesellschaftliche Idee. Danach beginnt sich jetzt auch in der Union der Gedanke durchzusetzen, dass die Bürger im wesentlichen unmündig sind und vom Staat an die Hand genommen werden müssen, und sei es, um mehr Kinder zu bekommen. Daß es Bereiche in Deutschland gibt, die von staatlichen Einwirkungen verschont bleiben sollen, ist Politikern wie Ronald Pofalla eine ungeheuerliche Vorstellung. Die Entwicklung ist viel weiter fortgeschritten, als viele ahnen. Der Anfang wurde im Strafrecht gemacht, als der Tatbestand „Vergewaltigung in der Ehe“ eingeführt wurde, womit Staatsanwälte und Gerichte freien Weg in die ehelichen Schlafzimmer bekamen. Mit der Einführung des Rechtsinstituts der gleichgeschlechtlichen Lebenspartnerschaft wurde die Ehe, die sich angesichts der hohen Scheidungszahlen als Rechtsinstitut nicht im allerbesten Zustand befindet, weiter entwertet. Beim Elterngeld wird bereits vom Grundsatz ausgegangen, daß stets beide Eltern berufstätig sind. Und jetzt kommt ausgerechnet von den Bürgerlichen der Frontalangriff im Steuerrecht. Es ist schon erstaunlich, welchen „Ballast“ die CDU auf dem Weg zu einer anderen Partei abwirft und wie sie wichtige Wählerschichten aufgibt. Doch auch in der Politik gilt ein Gesetz aus der Physik: Ein Vakuum gibt es nicht. Es wird sich schnell mit neuen Kräften füllen.