Bundeskanzler Gerhard Schröders politische Uhr ist abgelaufen. Daran zweifelt in Deutschland niemand mehr, nur er selber scheint das nicht zu fühlen. Aber politisches Gefühl, besonders das in den Fingerspitzen, hat er nie gehabt. Wäre ihm das gegeben, hätte er sich am Sonntagabend nach der Wahl mit Größe verabschieden können. Nur eine Feststellung wäre dazu nötig gewesen: „Mein Ziel war es, eine größere Mehrheit als 2002 zu erreichen. Das ist mir nicht gelungen. Ich habe die Wahl verloren. An den anderen Vertretern dieser Runde liegt es nun, eine für unser Land handlungsfähige Regierung zu bilden. Ich stehe dafür nicht mehr zur Verfügung.“ Da hätte man Schröder nicht einmal sein abschließendes „Basta“ krumm genommen. Dazu war der Bundeskanzler, und ist er noch immer, nicht fähig. Auch aus der schlimmen Abfuhr will er noch einen Sieg machen. Und so tüftelt er an kleinkarierten Mätzchen wie dem Versuch, die Fraktionsgemeinschaft der Union zerlegen zu wollen. Das wird er wohl auch noch über den kommenden Sonntag fortführen. Wenn sich bei der Nachwahl in Dresden auch nur ein Sitz zugunsten der SPD verschöbe (was an der Unterlegenheit von SPD und Rot-Grün nichts änderte), triebe er sein Spielchen noch ein paar Tage weiter. Tage, denn länger ginge das nicht. Ab kommender Woche wird es wieder zur Sache gehen – und dann bald ohne ihn. Jetzt erst wird vielen deutlich, daß Schröder jedwedes staatsmännische Format abgeht. Er war immer nur Tagespolitiker, Einzelkämpfer für seine Interessen und als politischer Agitator Selbstdarsteller. Seine wesentlichste Gabe besteht im Reden, ohne etwas zu sagen. Damit hat er immer nur für sich und selten für eine Sache geworben. Er versteht das durch seine Gestik zu unterstreichen, die durchaus – und gerade dann – überzeugt, wenn er in der Sache Unsinn redet. Man erinnere sich an seine Körpersprache, wenn er mit sich überschlagender Stimme und Emphase davor warnte, daß Union und Liberale das Land „zurück in die soziale Kälte“ treiben wollten. Dabei weiß längst jeder, daß der Sozialstaat gerade durch die Überdehnungen der Politik Schröders in seine bisher größte Krise geraten ist, und ja überhaupt nur mit den notwendigen und unumgänglichen Reformen überlebensfähig gehalten werden kann. Sein Talent für Eigenwerbung war es übrigens, das ihn nach oben gebracht hat. Schröder war bereits in seinen Anfängen, in den bewegten Juso-Zeiten der sechziger Jahre, kein Wortführer der radikalen oder extremen Flügel. In die wirren ideologischen „Stamokap“- Debatten der Weltverbesserer hat er kaum eingegriffen. Da hat er Typen wie Johanno Strasser, Karsten Voigt oder Oskar Lafontaine den Vortritt gelassen und sich derweil seinen gesalbten Zeitgeiststil angeeignet, mit dem er sowohl die Revolutionäre wie jene zufriedenstellte, die es ein bißchen milder haben wollten. Jetzt sind er, seine Partei, aber vor allem auch Deutschland an einem Punkt angekommen, an dem endgültig nichts mehr schöngeredet werden kann. Die ab nächste Woche nach koalitionsfähigen Bündnissen und Lösungen suchen müssen, haben es nur mit dicken Brettern zu tun, die schnell gebohrt werden müssen. Was dann kommt, könnte auch ein Gerhard Schröder nicht mehr als Wohltat verkaufen. Einen bühnenreifen Abgang hat er sich allerdings vermasselt.