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Selbstkritik

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Seit einiger Zeit vollzieht sich eine aufschlußreiche Entwicklung unserer vielzitierten politischen Kultur. Es mehren sich die Beispiele, daß Politiker, Publizisten, Professoren und sonstige „Mittler politischer Bildung“ wegen bestimmter Meinungsäußerungen nicht nur wie üblich kritisiert werden, sondern aufgrund dieser Kritik Selbstkritik üben und inzwischen geradezu ritualmäßig um „Entschuldigung“ bitten, was bisher nicht üblich war, jedenfalls nicht in den westlichen Demokratien. „Es war nicht meine Absicht, irgend jemanden zu beleidigen. Falls ich es doch getan habe, bedauere ich dies und bitte um Entschuldigung“. Doch geht es in den meisten Fällen nicht um persönliche Beleidigungen, sondern um Verstöße gegen die ideologisch diktierten Dogmen der multikulturellen Leitkultur in Deutschland. Selbst allgemein gehaltene Äußerungen zu bestimmten Themen, zum Beispiel zur Vergleichbarkeit von kommunistischen und faschistischen Herrschaftspraktiken, sind in zunehmendem Maße Anlaß zur Kritik mit der Erwartung von überzeugender Selbstkritik und Entschuldigung. Auch wenn keinerlei wissenschaftliche oder juristische Einwände gegen die kritisierte Äußerung erhoben werden können, besteht Anlaß zur Kritik, weil sie die notwendige „Sensibilität“ vermissen läßt. Dieses Allzweckargument trifft immer zu und läßt sich auch nicht widerlegen, weil in einer pluralistischen Gesellschaft prinzipiell widersprüchliche Meinungen den Prozeß der Urteilsbildung bestimmen. Bei allem Respekt vor der lyrischen Empfindsamkeit feinsinniger Seelen darf er die bewährten wissenschaftlichen und rechtlichen Maßstäbe nicht außer Kraft setzen. Dies um so weniger, als die Tugendwächter multikultureller Lebensart ihrerseits noch immer reichlich unsensibel reagieren und mit verbalen Verurteilungen sowie drastischen Vergleichen oder Gleichsetzungen schnell zur Hand sind. Sie lassen damit nur wenig Bereitschaft zu wirklicher Kommunikation erkennen, dafür um so mehr die Bereitschaft zur Exkommunikation Andersdenkender, sofern diese den Entschuldigungsritualen nicht nachkommen. Damit werden Erinnerungen an die Methoden sozialistischer Gesellschaften geweckt, in denen „Kritik und Selbstkritik“ als „wichtige Triebkraft der gesellschaftlichen Entwicklung“ eine maßgebende Rolle spielten. Wohin diese Entwicklung geführt und welche Opfer sie gefordert hat, sollte noch bekannt sein. Zur Vermeidung von Mißverständnissen – und möglichen Vergleichen oder gar Gleichsetzungen – sind einige Klarstellungen dringend geboten. Auf jeden Fall gilt auch hier: „Wehret den Anfängen!“ Prof. Dr. Klaus Motschmann lehrte Politikwissenschaften an der Hochschule der Künste in Berlin.

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