Das Vorhaben klingt hochbürokratisch. Dem Achten Buch des Sozialgesetzbuches soll ein kleiner Satz zugefügt werden, so will es zumindest die hessische Sozialministerin Silke Lautenschläger (CDU). Jugend- und Kinderbetreuungseinrichtungen sollen künftig nicht nur dem „Kindeswohl“ verpflichtet sein, sondern künftig auch der „Integration“. Fehlt der Integrationsgedanke, erlischt künftig die Betriebserlaubnis. Lautenschlägers Vorstoß wird rein praktisch begründet. Denn bisher konnte die Betriebserlaubnis für Kinder- und Jugendeinrichtungen nur dann versagt werden, wenn das Wohl der Kinder nicht gewährleistet sei. Die mangelnde Bereitschaft eines Einrichtungsträgers zur Integration könne momentan nur schwer mit dem Begriff des Kindeswohls erfaßt werden. Die Maßnahme richtet sich vor allem gegen muslimische Betreuungseinrichtungen. „Es sind in letzter Zeit verstärkt Aktivitäten islamisch geprägter Gruppierungen festzustellen, die internatsähnliche Betreuungseinrichtungen, aber auch Kindertagesstätten aufbauen“, so die Sozialministerin. Es gebe sogar Hinweise, „daß diese Einrichtungen die Abgrenzung von der deutschen Gesellschaft und Parallelkulturen fördern“. Vor allem ein Verein gerät dadurch ins Visier der Behörden, der türkische Verband der Islamischen Kulturzentren (VIKZ). Der in Köln ansässige VIKZ ist der Betreiber mehrerer „islamischer Schülerwohnheime“ bundesweit – der Generalsekretär Erol Pürlü spricht gegenüber der JUNGEN FREIHEIT von „ungefähr zehn“ solchen Wohnheimen. Nach der halbstaatlichen türkischen Ditib und der fundamentalistischen Islamischen Gemeinschaft Milli Görüs (IGMG) ist der VIKZ der drittgrößte islamische Verband in Deutschland. Bereits im August des Jahres 2002 gab es einen Zusammenstoß zwischen dem VIKZ und dem hessischen Sozialministerium. Der Verband hat in dem Odenwald-Städtchen Reinheim ein Mädchen-Internat betrieben, ohne es von den Behörden genehmigen zu lassen. Der Verband habe laut Medienberichten bestritten, daß sich in dem Gebäude überhaupt Personen aufhielten. Beamte entdeckten dort allerdings die unterrichteten Mädchen und einen Imam. Das Sozialministerium sorgte prompt für die sofortige Schließung des Internats. Debatte nur auf Nebenkriegsschauplätzen Auch der Soziologe und Chef des Essener Zentrums für Türkeistudien, Faruk Sen bestätigte gegenüber der JF, daß es „immer wieder Probleme“ mit solchen Einrichtungen gebe. Sen hält solche Wohnheime für „wenig sinnvoll“. Der VIKZ sei zwar nicht politisch in seiner Ausrichtung, aber sehr orthodox in der Auslegung des Islam. „So wird die Integration in die deutsche Gesellschaft nicht gerade erleichtert“, sagt Sen. Allerdings verlören Verbände wie der VIKZ „immer mehr an Bedeutung“. Andere in Deutschland lebende Muslime sehen in der hessischen Gesetzesinitiative hingegen einen weiteren Angriff auf den Islam in Deutschland. Der in Delmenhorst lebende Betreiber der in der Vergangenheit unter anderem wegen eines Israel-Boykott-Aufrufs in die Kritik geratenen Internet-Plattform www.muslim-markt.de , Yavuz Özoguz ist wenig überrascht von dem Gesetzentwurf. Er sieht darin „nur mal wieder ein Ablenkungsmanöver“ von den eigentlich drängenden Problemen. In Zeiten von heftigen sozialen Einschnitten und der Debatte um die Einführung einer „50-Stunden-Woche“ werde versucht, die Aufmerksamkeit auf einen Nebenkriegsschauplatz zu lenken, so Özoguz im Gespräch mit der JF. Er glaube im übrigen kaum, daß man mit solchen Gesetzen tatsächlich integrativ wirke. Kritiker sehen in Özoguz Internetpräsenz bereits so etwas wie eine Online-Parallelgesellschaft. Muslime bieten dort Dienstleistungen für Muslime an, egal ob Rechtsanwälte, Sportvereine, Frisöre, Ärzte oder Bestatter. Darüber hinaus gibt es auch ein Verzeichnis islamischer Tagesmütter, Kindergärten, Jugendeinrichtungen und Schulen. „Wo ist das Problem“, fragt der promovierte Ingenieur Özuguz. „Es gibt auch konfessionelle christliche Kindergärten und Schulen – dort sieht niemand ein Integrationsproblem.“ Das wichtigste Kriterium für Integrationswillen sei, ob die Einrichtung auch für Kinder anderer Religionszugehörigkeit oder Nationalität offenstehe, so die Pressesprecherin des hessischen Sozialministeriums, Petra Müller-Klepper. Dies sei beispielsweise bei Einrichtungen mit christlicher Trägerschaft der Fall. Insgesamt seien derzeit in Südhessen, der Rhein-Main-Region und Mittelhessen Anträge für Schülerwohnheime gestellt worden, so Müller-Klepper. Aus Datenschutzgründen darf sie die Träger nicht nennen, da es sich um laufende Verfahren handelt. Eines steht fest, mindestens ein Antrag wurde vom umstrittenen VIKZ gestellt. Generalsekretär Pürlü räumte gegenüber der JF ein, daß ein Genehmigungsverfahren in Hessen im Gange sei und er sich daher nicht zur geplanten Gesetzesreform äußern wolle. Momentan steht die Aufnahme des Integrationsgebots in das Sozialgesetzbuch lediglich zur Diskussion. Der hessische Vorschlag ist allerdings nach Auskunft des Sozialministeriums bereits dem Bundesrat zur Beratung und Beschlußfassung zugeleitet worden. Foto: Türkische Mädchen mit Kopftüchern: „Verstärkte Aktivitäten“
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