Es war mehr als nur eine anbiedernde Geste vor dem Gipfel der amerikanischen Staats- und Regierungschefs. US-Präsident George W. Bush hat vor dem Treffen im mexikanischen Monterrey eine Amnestie für illegale Einwanderer angekündigt. Diese kommen mehrheitlich aus Mexiko und sind eines der wohl größten innenpolitischen Probleme seiner Präsidentschaft. Aber die „Hispanics“ bilden in einigen US-Staaten auch eine einflußreiche Wählergruppe. Während Gouverneur Arnold Schwarzenegger seinen Wahlkampf mit einem Konfrontationskurs gegenüber Latinos gewann, setzt Bush offenbar auf Appeasement. In Mexiko wurde der faktischen Reconquista – das Gebiet von New Mexico bis Kalifornien gehörte bis 1848 zu Mexiko – heftigst applaudiert. Präsident Vincente Fox lobte Bush öffentlich für seine Einwandererpolitik. Beifall kam sogar aus Deutschland: „Die Bush-Initiative zur Integration illegaler Einwanderer ist ein positiver und nachahmenswerter Schritt. Traurig genug, daß die CDU/CSU seit über einem Jahr das moderne Zuwanderungsgesetz blockiert“, frohlockte Grünen-Chefin Angelika Beer. Betroffen sind schätzungsweise acht bis vierzehn Millionen Menschen, die bereits illegal eingereist sind und einer illegalen Beschäftigung nachgehen. Darüber hinaus soll es aber für jene gelten, die gerne in die USA einwandern möchten. Nach den Vorstellungen der Bush-Regierung soll jeder ein Aufenthaltsrecht und eine Arbeitsgenehmigung erhalten, für dessen Stelle sich kein US-Amerikaner hat finden lassen. Potentielle Arbeitgeber müssen beweisen, daß dies der Fall ist. Millionen Familien der oberen Mittelschicht dienen Mexikanerinnen als billige Hausmädchen. Angehörige der US-Unterschicht werden dadurch einem Lohndumping ausgesetzt, das die Armutssituation in den USA verschärfen wird. Der gesetzliche Mindestlohn von 5,15 Dollar (3,99 Euro) reicht nur fürs Überleben. Wer wöchentlich vierzig Stunden arbeitet, kommt auf ein Monatsgehalt von 1.250 Dollar (1.025 Euro) – für eine anständige Kranken-, Pflege- oder Rentenversicherung bleibt da kein Geld übrig, an Urlaub ist gar nicht zu denken. Für potentielle Einwanderer aus Lateinamerika oder Afrika jedoch ist es ein fürstliches Gehalt. Derzeit haben die USA etwa 285 Millionen Einwohner – 68,3 Prozent sind Weiße, 13,5 Prozent Hispanics, 12,2 Schwarze, der Rest Asiaten und Indianer. Wenn Bushs Pläne Wirklichkeit werden, dann sind die Nachfahren der Einwanderer aus Europa ab 2040 in der Minderheit. Das Gesicht der USA wird sich drastisch verändern. Der Regierungsplan sieht daher vor, den Aufenthalt zeitlich zu begrenzen. Ob diese Regelung später auch eingehalten wird, steht auf einem anderen Blatt. Dann regiert vielleicht Hillary Clinton das Land – und setzt ein noch „moderneres Zuwanderungsgesetz“ durch. Deswegen wird mit erbittertem Widerstand aus Bushs eigener Partei im Kongreß gerechnet – speziell in den betroffenen US-Südstaaten. Schon jetzt sind dort ganze Landkreise „übervölkert“ von Lateinamerikanern. In wenigen Jahren werden die europäisch-stämmigen Weißen in Kalifornien klar in der Minderheit sein. Sogar „Mainstream“-Demokraten hat Bush mit seinem Sinneswandel links überrascht und „überholt“. Mexiko liefert nämlich seine Staatsangehörigen nicht aus, wenn diese nach einem Verbrechen in ihre Heimat zurückkehren und ihnen eine lebenslange Haftstrafe oder gar die US-Todeszelle droht. Deswegen hat Senatorin Diane Feinstein aus Kalifornien eine Resolution eingebracht, die Bush zwingen soll, Mexiko dazu zu bringen, daß es seine Bürger ausliefert. Es geht um Hunderte von Schwerstverbrechern. „In manchen Fällen wissen wir sogar genau, wo sie sich aufhalten“, sagte die jüdische Senatorin der Washington Times. Bushs Motivation ist unklar. Entweder glaubt er, neue Wählergruppen anzusprechen. Oder er möchte sein Image als „mitfühlender Konservativer“ (compassionate conservative) aus dem letzten Präsidentschaftswahlkampf aufpolieren. Unter diesem Slogan ist es Bush 2000 gelungen, das negative Erscheinungsbild des knallharten Kapitalisten abzulegen. Es kann aber bezweifelt werden, daß jene Hispanics, die bereits „legalisiert“ sind, ins Lager der Republikaner überlaufen werden. Eher werden es ihm die weißen Amerikaner danken, die bisher Illegale bei sich auf der Farm oder im Haushalt beschäftigt hatten – Vertreter jener US-Oberschicht, der der Bush-Clan selbst angehört. Andererseits werden konservative Wähler wohl kaum ins Lager der Demokraten überlaufen, auch wenn sie Bushs Laissez-faire-Politik gegenüber der Einwanderung aus der Dritten Welt nicht zustimmen. Meinungsumfragen zeigen, daß eine Mehrheit der Amerikaner eine weitere Einwanderung und Legalisierung illegal Eingereister ablehnt. Im republikanischen Lager gibt es jedoch niemanden, der die Chance ergreift und gegen Bush antritt. In keinem Themenkomplex sind das US-amerikanische Volk und seine Politiker und Wirtschaftsführer weiter auseinander als bei der Einwanderung. Gerade sieben Prozent der US-Bürger befürworten ein Mehr an Einwanderung. Dagegen sprach sich bislang stets die Mehrheit für eine Reduzierung der Völkerwanderung über den Río Grande aus. 2002 verlangten 68 Prozent der Befragten den Einsatz des Militärs zum Schutz der Grenze. 65 Prozent lehnten schon damals die Amnestie ab, als die der Bush-Gesetzesvorschlag gewertet werden muß – auch wenn das Weiße Haus diesen Begriff nicht verwendet. Derzeit wird ein ausländischer Arbeitnehmer, der über keine Arbeitserlaubnis verfügt, unverzüglich abgeschoben. Steven A. Caramota, der Forschungsdirektor am Zentrum für Immigrationsstudien, nennt den Grund für die Differenzen zwischen Wählern und Gewählten: „In der kleinen Welt der Eliten dieses Landes gibt es nur eine einzige Auffassung, die hinsichtlich Einwanderung vertreten wird“, sagte er der Washington Times. Unter Durchschnittsbürgern sei die Zahl der Befürworter einer weiteren Einwandererwelle aber nur sehr klein. David Limbaugh, konservativer Kolumnist, brachte die Kritik auf den Punkt. Er verstehe die Motivation von Bush nicht, schrieb er. Bush, so Limbaugh weiter, habe die Geduld seiner konservativen Landsleute überstrapaziert: „Er sollte es überdenken.“