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Ausdruck geistiger Unfreiheit

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Der Skandal um die von der Bundeszentrale für politische Bildung und dem W. Bertelsmann Verlag verfügte Einstampfung der aktuellen Ausgabe der Zeitschrift Deutschland Archiv wegen eines Beitrags des Bayreuther Politikwissenschaftlers Konrad Löw über „Deutsche Identität in Verfassung und Geschichte“ weitet sich aus. Wie erst jetzt bekannt wurde, hat sich auch der verantwortliche Redakteur, Marc-Dietrich Ohse, in einer Stellungnahme von dem Löw-Aufsatz distanziert – obwohl er selbst ihn in Abstimmung mit dem Autor ins Heft genommen und redigiert hat. Nach Angaben von Konrad Löw gegenüber dieser Zeitung hat er seinen Aufsatz auf Wunsch der von renommierten Wissenschaftlern begründeten Gesellschaft für Deutschlandforschung ausgearbeitet und auf der Jahreshauptversammlung am 5. März im Roten Rathaus in Berlin vorgetragen. Anschließend bot er ihn von sich aus dem Deutschland Archiv an, für das er früher schon als Autor tätig war. Die Redaktion habe den Text umstandslos akzeptiert. Einige Zeit später seien ihm die Druckfahnen seines Beitrages zugeschickt worden. Mit den darin vorgenommenen Kürzungen habe er sich einverstanden erklärt, letzte Änderungen seien dann in einem Telefonat mit dem Redakteur Ohse einvernehmlich besprochen worden. Daran will sich Marc-Dietrich Ohse heute nicht mehr erinnern. Offenbar auf Druck der Herausgeber des Deutschland Archivs erklärte Ohse in seiner Stellungnahme vom 5. April, durch die Veröffentlichung des Artikels von Konrad Löw in Heft 2/2004 sei der Eindruck erweckt worden, die Redaktion teile Löws „relativierende Geschichtsbetrachtung“. Der Beitrag sei geeignet, die deutschen Verbrechen während der nationalsozialistischen Diktatur „zu verharmlosen“. Die Redaktion distanziere sich „in aller Schärfe“ von jedem Versuch, die Verbrechen des Nationalsozialismus zu relativieren, „wie auch von jedem Unterfangen, deren deutsche Urheberschaft und die deutsche Schuld daran abzustreiten“. Der Vorgang, so Ohse weiter, sei geeignet, die Bemühungen von Herausgeber, Beirat und Verlag zur historisch-politischen Aufklärung zu konterkarieren. „Dies war weder beabsichtigt noch entspricht es den Intentionen der Redaktion (…) Als verantwortlicher Redakteur distanziere ich mich mit aller Deutlichkeit von dem Artikel Konrad Löws, bedauere dessen Abdruck und bitte dafür alle Betroffenen um Entschuldigung.“ Wer den Aufsatz des emeritierten Politikprofessors und Marxismus-Kritikers Konrad Löw kennt – die JUNGE FREIHEIT hat ihn in ihrer vorigen Ausgabe vollständig dokumentiert -, muß über die Wucht dieser Distanzierungs- und Entschuldigungsarie in höchstem Maße erstaunt sein. Tatsächlich findet sich in dem Löw-Artikel nichts von dem, was ihm vorgeworfen wird; von einer Verharmlosung der Verbrechen des NS-Regimes kann überhaupt keine Rede sein. Im Gegenteil, an einer Stelle schreibt Löw wörtlich: „Die zwölf Jahre Nationalsozialismus bilden also ein wesentliches Element deutscher Identität, und es gibt, wenn ich recht sehe, niemanden, der dies bestreitet, der diese zwölf Jahre verschweigt, auch wenn wir sie noch so gerne ungeschehen machen möchten.“ Trotzdem brach unmittelbar nach Erscheinen des Deutschland Archivs ein Sturm der Entrüstung los, dessen Urgrund noch immer nicht aufgeklärt ist. Jedenfalls sahen sich die Bundeszentrale für politische Bildung in Bonn und der W. Bertelsmann Verlag in Bielefeld als Herausgeber der Zeitschrift veranlaßt, sich in einem Brief an alle Abonnenten von dem Löw-Beitrag „aufs Schärfste“ zu distanzieren. Zugleich erklärten sie, daß die Restauflage des Heftes makuliert werde (JF 17/04). Mit anderen Worten: Kein Mensch kann das Heft mehr bestellen und den Beitrag lesen, noch vorhandene Exemplare werden eingestampft, vernichtet. Dagegen regt sich nun in offenen Protestschreiben und Briefen an die Bundeszentrale für politische Bildung berechtigter Widerspruch. Übereinstimmend wird darin die Zensur des Löw-Artikels als Ausdruck geistiger Unfreiheit kritisiert. „Derartige administrative Eingriffe erinnern fatal an längst überwundene Zeiten, an Zensur und Bücherverbrennung“, schreibt der Ehrenvorsitzende der Sektion Berlin-Brandenburg des Bundes Freiheit der Wissenschaft, Hans-Eberhard Zahn. „Sie sind ein Indiz dafür, daß der wissenschaftliche Diskurs nun auch schon vom Virus der Political Correctness infiziert worden ist.“ Die Freiheit der Wissenschaft sei „akut gefährdet“, so Zahn in seinem Brief an Jürgen Faulenbach und Manfred Eigemeier. Die beiden Mitglieder des Redaktionsbeirats des Deutschland Archivs hatten den Brandbrief der Bundeszentrale an alle Abonnenten unterzeichnet. Weiter heißt es bei Hans-Eberhard Zahn, der sieben Jahre in DDR-Zuchthäusern zubrachte und später nach seiner Entlassung in den Westen dem Vorstand der Notgemeinschaft für eine freie Universität angehörte, es möge zwar nachvollziehbar sein, daß die Ansichten von Konrad Löw mit dem Selbstverständnis von Bundeszentrale und Verlag unvereinbar seien. In der Wissenschaft dürfe es darauf jedoch keinesfalls ankommen. Löw selber wehrt sich in einem Brief an die Süddeutsche Zeitung, die ihn des „unverhohlenen Antisemitismus“ bezichtigt hatte, gegen die verleumderischen Behauptungen. Was der SZ-Autor in seinen Aufsatz hineingelesen habe, „steht in schärfstem Widerspruch zu dem, was ich denke und schreibe“. Zu Recht weist Löw den Vorwurf zurück, die Deutschen für kollektiv unschuldig zu erklären. Tatsächlich kommt er in seinem inkriminierten Aufsatz zu einer wesentlich differenzierteren Schlußfolgerung: „Wir dürfen nicht zögern, die Verbrechen des NS-Regimes als wichtigen Teil der deutschen Geschichte, der deutschen Identität zu bekennen. Aber“, schreibt Löw weiter, „wir sollten jenen entgegentreten, die allgemein von deutscher Schuld sprechen, wenn damit gemeint ist, daß die große Mehrheit der damals lebenden Deutschen mitschuldig gewesen sei an einem der größten Verbrechen in der Menschheitsgeschichte.“ Ein solcher Vorwurf sei ungeheuerlich, wenn er nicht bewiesen werde. „Dieser Nachweis wurde bis heute nicht erbracht“, so Löw. Die Aufregung um seinen Beitrag kann er bis heute nicht verstehen. Foto: Papierfabrik im sächsischen Eilenburg: Die Restauflage des „Deutschland Archivs“ wird eingestampft

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