Deutsche Schüler können schlecht rechnen, OECD-Bildungsapostel auch. Sonst würde Pisa-Koordinator Andreas Schleicher nicht nach jeder internationalen Schulvergleichsstudie Äpfel mit Birnen vergleichen und das vergleichsweise dürftige Abschneiden der deutschen Schüler mit dem angeblich ungerechten dreigliedrigen Schulsystem erklären. Die ideologisch geführte Strukturdebatte wird nach jeder Pisa-Studie von neuem wie auf Knopfdruck ausgelöst. Von den Ergebnissen der Erhebung selbst wird der einseitige Feldzug für die Gesamtschule nicht gedeckt.
Das Ritual ist bekannt. "Das dreigliedrige Schulsystem ist gescheitert", verkündete Schleicher noch vor der offiziellen Freigabe von "Pisa II", kaum daß die ersten Zahlen durchgesickert waren. Die Kritik: Das Aufteilen der Kinder nach dem vierten Schuljahr auf Gymnasium, Realschulen und Hauptschulen "führt dazu, daß schwache Schüler abgeschoben statt individuell gefördert werden". Die Lehrerlobby von der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) stößt umgehend ins selbe Horn. Kaum verwunderlich, daß Bildungspolitiker aus Bayern und Baden-Württemberg sich über dieses ideologische Pingpong-Spiel ärgern: Sie können schließlich darauf verweisen, daß gerade ihre Länder, in denen das dreigliedrige Schulsystem am ausgeprägtesten ist, bei der ersten Vergleichsstudie auch am besten abgeschnitten haben.
Der Widerspruch zieht sich durch das ganze Pisa-Zahlenwerk: Es gibt keine direkte Relation zwischen der Struktur des Schulsystems und seiner Leistungsfähigkeit. Finnland erzielt Spitzenergebnisse mit einem integrierten Schulsystem, die Niederlande mit einem gegliederten ähnlich dem deutschen; andere Länder wiederum schneiden trotz des vielgepriesenen Gesamtschulsystems miserabel ab.
Der Irrtum liegt in der isolierten Betrachtung des Schulsystems als ausschlaggebendem Faktor. Er entspringt dem sozialistisch-gleichmacherischen Glauben an die Allmacht der öffentlicher Institutionen, dem ein ebenso tiefes Mißtrauen gegenüber der traditionellen "bürgerlichen" Familie entspricht. Daß der Koordinator der OECD selbst diese ideologische Voreingenommenheit augenscheinlich teilt, spricht nicht gerade für seine fachliche Kompetenz.
Diese Betrachtungsweise widerspricht nämlich dem Grundansatz der Pisa-Studien selbst, die sich bewußt vornehmen, in den Leistungsvergleich möglichst umfassend die gesellschaftlichen und sozialen Rahmenbedingungen der jeweiligen Länder einzubeziehen. Die aber sind von der Schule nur zum geringen Teil zu beeinflussen. Sie betreffen nämlich "weiche" Standortfaktoren wie die Wertschätzung von Bildung, Leistung, Technik und Wissenschaft im öffentlichen Bewußtsein, den Einfluß der Elternhäuser auf die Kinder als Instanzen, die den Lebensweg eines jungen Menschen am nachhaltigsten prägen, und nicht zuletzt die soziale und kulturelle Homogenität der Bevölkerung. Im Klartext: Wo Eltern gleichgültig, leistungsfeindlich und wenig engagiert sind und wo Kinder in Klassen unterrichtet werden, in denen bisweilen nur noch der Lehrer Deutsch spricht, kann Schule nur Erfolg haben, wenn sie gegen die Lebensstile und "Kulturen" ganzer Bevölkerungsgruppen arbeitet und erzieht.
Deutsche Gymnasien liegen über dem Durchschnitt
Die Ergebnisse der zweiten, im Jahr 2003 erhobenen Pisa-Studie bestätigen, daß das deutsche Problem eines der demographischen Struktur und sozialen Schichtung ist, das vom Schulsystem nicht etwa verursacht, sondern abgebildet wird. So schneiden die deutschen Gymnasien mit Spitzenergebnissen weit über dem Durchschnitt ab, die Realschulen genau im Durchschnitt und die Gesamtschulen deutlich darunter. Alle drei Schularten können immerhin im Vergleich zur ersten Bildungsstudie aus dem Jahr 2000 deutliche Leistungssprünge verzeichnen. Abgeschlagenes Schlußlicht sind die Hauptschulen – hier stagnieren die Leistungen weit unter dem Durchschnitt, in Mathematik sind sie sogar rückläufig.
Es gehört schon eine ordentliche Portion Dreistigkeit dazu, als Reaktion auf diesen Befund – wie von Bundesbildungsministerin Edelgard Bulmahn (SPD) ins Spiel gebracht – die Abschaffung der Hauptschulen als Lösung vorzuschlagen. Als würden die schlechten und chancenlosen Schüler dadurch verschwinden, daß man ihren Aufbewahrungsort beseitigt.
Der Bulmahn-Plan wäre zweifellos im Sinne der traditionell Rot-Grün nahestehenden GEW-Lobby, die bekanntlich seit Jahrzehnten das Ziel verfolgt, die gesamte Lehrerklientel besoldungs- und absicherungsmäßig "gleichzustellen" – und dies auf dem komfortablen Niveau des Studienrates. Dem Bildungsstand der Bevölkerung hülfe diese Therapie nicht weiter. Soll die Leistungsverweigerung der Unterschicht – der deutschen wie der eingewanderten, bei der die oft totale Verweigerung der Unterrichtssprache noch verschärfend hinzutritt – durch das Schulwesen kuriert werden, ist es mit der bloßen Zusammenlegung in einer Schulart nicht getan. Die logische Konsequenz wäre die weitgehende Enteignung der Kindererziehung und die Marginalisierung der Familie.
Mit solcherart Sozialarbeit ließe sich vielleicht das ein oder andere Einwanderer- und Unterschichtskind aus dem Sumpf der häuslichen Verdummung durch TV oder Islamismus retten. Leidtragende wären die intakten und engagierten Elternhäuser, die als letzte unabhängige Bildungsbastion geschleift würden, und die dort geborgenen und geförderten Kinder. Das ist der Preis, den die Gesamtschul-Fanatiker gern zu nennen vergessen. Das Versprechen der Herstellung totaler sozialer Gleichheit durch das Schulwesen hat seine Risiken und Nebenwirkungen.
Wer dagegen dem Wegbrechen der breiten Bildungsbasis in der Bevölkerung, die dereinst zu den deutschen Wettbewerbsvorteilen zählte, entgegenwirken will, muß nicht am Schulwesen, sondern an den fundamentalen gesellschaftlichen Weichenstellungen ansetzen: an der Einwanderungspolitik, die sich gleichgültiges Laissez-faire und passives Hinnehmen der multikulturellen Anarchie nicht länger leisten kann; und an der Rehabilitierung von Elite und Leistungsdenken. Zur Weltspitze gelangte die deutsche Wissenschaft in einer Zeit, als Jungs noch davon träumten, berühmte Ingenieure und Entdecker zu werden und nicht Greenpeace-Aktivisten, Börsenmanager oder Selbstmordattentäter. Mit kulturell homogener und leistungswilliger Schülerklientel ist ein nach Begabungen differenziertes Schulsystem unschlagbar.