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Grenzschutz am Hindukusch

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Cato, Palmer, Exklusiv

Wo er recht hat, hat er recht. Das gilt auch für Peter Struck, selbst wenn er Bundesverteidigungsminister ist, der SPD angehört und die Bundeswehr auf den Kopf stellt. „Die Sicherheitslage hat sich grundlegend gewandelt. Neue sicherheitspolitische Risiken und Chancen verlangen veränderte Fähigkeiten“, heißt es einleitend in den Verteidigungspolitischen Richtlinien (VPR), die Struck am Mittwoch vergangener Woche erlassen hat. Wer will da schon widersprechen, wo die Welt im furchtbaren Wechselspiel von islamistischen Anschlägen und globalem „Kampf gegen den Terror“ aus den Fugen zu geraten droht? In dem 22seitigen Grundsatzpapier bestimmt der Verteidigungsminister „im Rahmen der gesamtstaatlichen Fürsorgepflicht für die Sicherheit Deutschlands“ den Auftrag der Bundeswehr, gewichtet deren Aufgaben und macht Vorgaben für die Streitkräfte der Zukunft. Was die Bibel für die Christen ist, das sollen die VPR für deutsche Militärs sein – eine verpflichtende Wegweisung, Grundlage ihres Tuns. Die Bibel freilich ist zeitlos, Verteidigungspolitische Richtlinien hingegen vergänglich. Die letzten Vorläufer stammen aus dem Jahre 1992 und tragen die Handschrift des damaligen CDU-Verteidigungsministers Volker Rühe. Sozialdemokrat Struck schafft in seinen neuen VPR etwas Revolutionäres: Hier wird der Abschied von der reinen Landesverteidigung und damit der Wandel der Bundeswehr zur Armee im internationalen Einsatz festgeschrieben. Frei nach Struck: „Deutschlands Sicherheit wird zukünftig am Hindukusch verteidigt.“ Die VPR begründen den Paradigmenwechsel: „Eine Gefährdung deutschen Territoriums durch konventionelle Streitkräfte gibt es derzeit und auf absehbare Zeit nicht.“ Daher entspreche die herkömmliche Landesverteidigung als allein strukturbestimmende Aufgabe der Bundeswehr nicht mehr den aktuellen Erfordernissen. „Die nur für diesen Zweck bereitgehaltenen Fähigkeiten werden nicht länger benötigt.“ Für die Bundeswehr stünden vielmehr Einsätze zur Konfliktverhütung und Krisenbewältigung sowie zur Unterstützung von Bündnispartnern, auch über das Bündnisgebiet hinaus, im Vordergrund. „Künftige Einsätze lassen sich wegen des umfassenden Ansatzes zeitgemäßer Sicherheits- und Verteidigungspolitik und ihrer Erfordernisse weder hinsichtlich ihrer Intensität noch geographisch eingrenzen“, heißt es in den Richtlinien. Sicherheitsvorsorge ist etwas anderes Das klingt fast, als ob eine Gemeinde ihre Freiwillige Feuerwehr entweder abschaffen oder in die Welt schicken soll, weil es zu Hause jahrelang nicht mehr gebrannt hat. Verantwortungsvolle Sicherheitsvorsorge ist etwas anderes. So kritisiert Helmut Rauber als Präsident des Reservistenverbandes: „Solange uns niemand den immerwährenden Frieden garantieren kann, muß die Bundeswehr auch in der Lage sein, unsere Grenzen nach außen und unser Land gegen terroristische Angriffe im Innern zu schützen. Mit der Selbstverpflichtung, alle Konflikte in der Welt zu lösen, also Deutschland auch am Hindukusch zu verteidigen, ist die Bundeswehr überfordert.“ Galt früher der Satz „Jeder Bürger ist ein geborener Verteidiger seines Landes“ als einleuchtende Begründung für die allgemeine Wehrpflicht, so kommt man heute über die Berechtigung dieser Wehrform ins Grübeln, wenn die Hauptaufgabe der Bundeswehr im weltweiten Kriseninterventionseinsatz bestehen soll. Trotzdem hält Struck an der Wehrpflicht fest: „Die Wehrpflicht bleibt in angepaßter Form für Einsatzbereitschaft, Leistungsfähigkeit und Wirtschaftlichkeit der Bundeswehr unabdingbar.“ Die Landesverteidigung bleibe Aufgabe der Bundeswehr gegen eine derzeit zwar unwahrscheinliche, aber nicht auszuschließende bedrohliche Entwicklung. Sie könne den Einsatz deutlich umfangreicherer Streitkräfte erfordern. Die zusätzlichen Kräfte könnten zeitgerecht wieder aufgestellt werden. Diese Rekonstruktion werde vor allem durch die Wehrpflicht sichergestellt, heißt es in den VPR. Schon empört sich die Grünen-Chefin Angelika Beer über die „Festschreibung eines Dogmas“. Sie pocht auf die Einhaltung des rot-grünen Koalitionsvertrages, nach dem die Wehrform noch in dieser Legislaturperiode zu überprüfen ist. „Diese Diskussion ist noch lange nicht ausgestanden“, kündigt Beer an. Grüne und FDP fordern die Abschaffung der Wehrpflicht. Grünen-Verteidigungsexperte Winfried Nachtwei betont: „Die Wehrpflicht wird zur Blockade der Bundeswehrreform.“ Durch die Wehrpflicht würde ungefähr ein Drittel der Soldaten von Auslandseinsätzen abgehalten. Der FDP-Wehrexperten Jörg van Essen hält die Richtlinien für einen „Schritt in die richtige Richtung“, doch auch er beklagt das Festhalten an der Wehrpflicht: „Wenn der Schwerpunkt der Bundeswehraufträge die Auslandseinsätze sind, dann können wir die Wehrpflichtigen dabei nicht einsetzen.“ Man möchte nur den Zivildienst retten Als Kompromiß ist eine Verkürzung des Wehrdienstes von neun auf sechs Monate im Gespräch. Doch Militärs kritisieren, daß die Bundeswehr die Wehrpflichtigen dann teuer ausrüsten und ausbilden müßte, aber mangels Verwendungszeit keinen Nutzen mehr aus ihnen ziehen könnte. Wie so angesichts knapper Ressourcen die Wehrpflicht für die Wirtschaftlichkeit der Bundeswehr unabdingbar sein soll, das wissen wohl nur die Götter. Offensichtlich will man nur den „billigen“ Zivildienst retten. Doch das Argument taugt nicht zur Begründung der Wehrpflicht. Hatte man während des Irak-Kriegs den Eindruck, die Bundesregierung vertrete gegenüber den USA eine eigenständige deutsche bzw. europäische Rolle, so wird dies in den VPR deutlich korrigiert. Dort heißt es als erste Folgerung für deutsche Sicherheits- und Verteidigungspolitik wörtlich: „Die transatlantische Partnerschaft bleibt die Grundlage unserer Sicherheit. Ohne die Vereinigten Staaten von Amerika gibt es auch künftig keine Sicherheit in und für Europa. Deutschland wird weiterhin einen substantiellen Beitrag zur transatlantischen Partnerschaft leisten.“ Erst an zweiter Stelle wird die „Europäische Sicherheits- und Verteidigungspolitik“ (ESVP) genannt, aber umgehend klargestellt, daß diese auf der strategischen Partnerschaft mit der Nordatlantischen Allianz beruhe. Nur dies ermögliche selbständiges europäisches Handeln, wo die Nato nicht tätig sein müsse oder wolle. ESVP sei also kein Ersatz für die Nato, sondern eine notwendige Ergänzung. Schließlich findet auch rot-grünes „Gutmenschentum“ seinen Niederschlag in den VPR: „Deutschland beteiligt sich aktiv an der Arbeit von Vereinten Nationen und OSZE, um die eigene Sicherheit zu gewährleisten, der Achtung der Menschenrechte und des Völkerrechts weltweit Geltung zu verschaffen, Demokratie, wirtschaftlichen Fortschritt, soziale Entwicklung nachhaltig zu stärken, die natürlichen Lebensgrundlagen zu erhalten sowie die Kluft zwischen armen und reichen Weltregionen zu überwinden.“ Kommentar eines altgedienten Bundeswehroffiziers mit der Erfahrung vieler Auslandseinsätze: „Wenn sich die mit Masse ungedienten rot-grünen Regierungspolitiker mehr um den wirtschaftlichen Fortschritt im eigenen Land kümmern würden, als uns ohne richtiges politisches Konzept in alle Welt zu schicken, wäre das mir und den meisten meiner Kameraden entschieden lieber.“ Der Soldat möchte aus verständlichen Gründen ungenannt bleiben. Erstmals wird der Einsatz im Inland thematisiert Wenn deutsche Soldaten schon weltweit die Menschheit beglücken sollen, so darf dennoch nicht der Eindruck erweckt werden, daß die Welt am deutschen Wesen zu genesen habe. Das versuchen die VPR mit dem Hinweis auf multinationale Einbindung: Bewaffnete Einsätze der Bundeswehr mit Ausnahme von Evakuierungs- und Rettungsoperationen werden nur gemeinsam mit Verbündeten und Partnern im Rahmen der Vereinten Nationen, Nato und EU stattfinden. Keinen Eingang in die VPR fand die alte Landser-Weisheit: „Besser allein im Trockenen als gemeinsam im Regen!“ Kein Wunder: Landser hießen die Soldaten der Deutschen Wehrmacht – politisch also keinesfalls korrekt, mithin nicht traditionswürdig. Erstmals wird in den VPR der Einsatz der Bundeswehr im Inneren thematisiert. Wegen der gewachsenen Bedrohung Deutschlands durch Terror-Angriffe gewinne der Schutz von Bevölkerung und Territorium an Bedeutung und stelle zusätzliche Anforderungen an die Bundeswehr im Inland. Hier könnten etwa ABC-Abwehrkräfte hilfreich sein. Ausdrücklich erwähnt werden Grundwehrdienstleistende und Reservisten, die „dabei in ihrer klassischen Rolle, dem Schutz ihres Landes, zum Einsatz kommen“. Engagierte Reservisten empfinden es da wie Hohn, daß viele der zum Raum- und Objektschutz besonders befähigten nichtaktiven Heimatschutzbataillone ersatzlos aufgelöst wurden. Ehrlich sind Strucks VPR, wo sie einräumen, daß die strukturelle Neuausrichtung und die materielle Modernisierung der Bundeswehr aufgrund begrenzter Finanzmittel noch nicht in Übereinstimmung stünden. Andererseits wird anerkannt, daß eine leistungsfähige Truppe unabdingbar ist, wenn Sicherheits- und Verteidigungspolitik ihre Gestaltungsfunktion wahrnehmen sollen. Doch Struck zieht daraus nicht die richtige Konsequenz, die chronische Unterfinanzierung der Streitkräfte endlich zu beenden. Er ist gefangen in dem engen Korsett, in das Rot-Grün den Verteidigungsetat gezwängt hat. Sein Ausweg: Die Bundeswehr schließt in den kommenden Jahren insgesamt neun Standorte. Betroffen sind davon rund 6.000 Soldaten in den Bundesländern Hessen, Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen, Schleswig-Holstein und Bayern. Fazit: Mehr Aufgaben für weniger Soldaten. Daß sich die Truppe darüber freut, ist nicht bekannt.

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