Mit der neuen UN-Resolution 1483 vom 22. Mai 2003 scheint der Weg in die Realität zurück gefunden zu sein. Doch was besagt die neue Irak-Resolution, die genauso einstimmig angenommen wurde wie die seinerzeitige Resolution 1441, die dann in der Auslegung so umstritten war? Der wesentliche Inhalt ist: – Den USA und Großbritannien wird im Irak eine ungewöhnliche Machtfülle zuerkannt: „Der Sicherheitsrat erkennt gemäß den völkerrechtlichen Bestimmungen die besonderen Befugnisse, Verantwortungen und Verpflichtungen dieser Staaten als Besatzungsmächte unter einem gemeinsamen Kommando (die ‚Autorität‘) an.“ – Die Besatzungsmächte kontrollieren den politischen Prozeß zur Bildung einer „allgemein akzeptablen und repräsentativen“ neuen Regierung. – Die Besatzungsmächte üben die volle Kontrolle über die irakischen Erdölquellen aus. Die Öleinnahmen sollen „zum alleinigen Nutzen des irakischen Volkes“ verwendet werden und in den Wiederaufbau fließen, aber auch für administrative Zwecke sowie für die Abrüstung verwendet werden. – Die bisher gültigen UN-Sanktionen gegen den Irak werden aufgehoben. – Das „Öl für Lebensmittel“-Programm der Uno soll in sechs Monaten auslaufen. – Der Uno-Generalsekretär wird einen Sonderbeauftragten benennen, der humanitäre und Aufbauprojekte koordinieren und im politischen Prozeß bei der Etablierung einer neuen Regierung mit den USA, Großbritannien und Vertretern des irakischen Volkes „intensiv zusammenarbeiten“ soll. – Über die Auslandschulden des Irak soll im „Pariser Club“ diskutiert werden. Die Umsetzung dieser Resolution ist innerhalb von 12 Monaten seit ihrer Annahme zu überprüfen. Die Zustimmung Frankreichs, Rußlands und Deutschlands zur Resolution 1483 sei das Ergebnis der Beratungen der drei Außenminister am Vorabend der Tagung des Sicherheitsrates – glauben manche Beobachter. Doch das Einlenken der drei kam keineswegs überraschend. Im Vordergrund standen wirtschaftliche Interessen Frankreichs und Rußlands. So hatte der russische Erdölkonzern „Lukoil“ schon vor längerer Zeit einen milliardenschweren Ölvertrag mit dem Irak abgeschlossen, der wegen der UN-Sanktionen auf Eis lag. Nun hofft Rußland auf grünes Licht, nachdem die Sanktionen aufgehoben sind. Ähnlich geht es dem französischen Konzern „Total-Fina-Elf“. Zwar hat Deutschland keine unmittelbaren Wirtschaftsinteressen im Irak, aber politisch wollte man sich „konstruktiv und pragmatisch“ zeigen. Eine große Rolle spielte die geschickte Diplomatie von US-Außenminister Colin Powell. Beobachter sprechen davon, daß es ein „genialer Schachzug“ war, die neue Irak-Resolution mit den Sanktionen zu verbinden. Seine Reisen nach Moskau und Berlin taten ein übriges. Schließlich schuf der militärische Erfolg der USA und ihrer Verbündeten im Irak Fakten, an denen auch die Kriegsgegner nicht vorbeikamen. Insgesamt ist die Resolution 1483 ein Erfolg der USA, aber doch auch ein Kompromiß, mit dem die Kriegsgegner und auch die Iraker leben können. In keinem Lande ist im Zusammenhang mit dem Irak-Krieg soviel über das Völkerrecht diskutiert worden wie in Deutschland. Die Gegner des Irak-Krieges argumentierten vor allem damit, daß das Gewaltmonopol ausschließlich beim UN-Sicherheitsrat liege. Da es keine Resolution gäbe, die eine Militäraktion gegenüber dem Irak vorsehe, sei die Militäraktion der USA und ihrer Verbündeten gegen den Irak schlicht völkerrechtswidrig. Dies war schon bisher tatsächlich und rechtlich falsch. Die Resolution 1441, die ebenfalls von allen Mitgliedern des Sicherheitsrates angenommen worden war, sah ausdrücklich „ernsthafte Konsequenzen“ vor, wenn der Irak weiterhin die Resolutionen des Sicherheitsrates verletzt. Es stand immer außer Zweifel, daß zu solchen „ernsthaften Konsequenzen“ auch militärische gehören. Strittig war nur, ob es für einen solchen Militäreinsatz noch einer weiteren Resolution des Sicherheitsrates bedürfe oder nicht. Zur Interpretation solcher Resolutionen sind alle Mitglieder des Sicherheitsrates befugt, die ihnen zugestimmt haben. Wenn also Staaten wie die USA oder Großbritannien die Resolution 1441 für ausreichend hielten, so war die Position genauso völkerrechtlich legitim wie die Position der Staaten, die eine weitere Resolution verlangten. (Dies konnte man bei dem künftigen Uno-Richter Bruno Simma schon im Spiegel Nr. 48/02 und am 1./2. Februar in der Süddeutschen Zeitung, S. 11 nachlesen). Selbst Außenminister Joschka Fischer antwortete dem Spiegel (1/03) auf die Frage, ob das Vorgehen der USA gegen den Irak völkerrechtswidrig sei: „Mit der Resolution 1441 gibt es keinen mandatsfreien Zustand mehr.“ Mit der neuen Resolution 1483 wird dies noch deutlicher, weshalb die Neue Zürcher Zeitung am 23. Mai schrieb, mit dieser Resolution werde der „ursprünglich von der Uno nicht autorisierte Krieg im nachhinein sanktioniert“. Doch dies ist erneut falsch, weil sich die USA und ihre Verbündeten zur Rechtfertigung ihrer Militäraktion gegen den Irak bereits auf die Resolution 1441 berufen konnten. Deshalb liegt auch der russische Außenminister Igor Iwanow neben der Sache, wenn er darauf hinweist, die Resolution 1483 gelte „nicht rückwirkend“. Man kann nicht die USA und Großbritannien als Besatzungsmächte anerkennen, wenn sie zuvor Aggressoren gewesen sein sollen. Wenn Fischer nun meint, die Zustimmung zur Resolution 1483 sei „keine nachträgliche Legitimierung des Krieges“, die deutsche Haltung sei „unverändert“, so widerspricht er nicht nur seiner eigenen Aussage, daß es mit der Resolution 1441 keinen mandatsfreien Zustand mehr gäbe, er ist auch wieder einmal völkerrechtlich schlecht beraten. Denn er hat natürlich recht, daß die Zustimmung zur Resolution 1483 nicht die Aufgabe der bisherigen Position Deutschlands gegen den Krieg voraussetzt. Hätte man ihm das schon früher erklärt, wäre vielleicht manches einfacher gewesen. Natürlich stellt sich mit der neuen Irak-Resolution erneut die Frage, ob die USA nicht ihre Stärke als gegenwärtig einzige Weltmacht ausgespielt haben und so auf dem Wege zu einer neuen Weltordnung vorangekommen sind, die den USA genehm ist und dem Willen der anderen Staaten nach einer multipolaren Welt widerspricht. Mit anderen Worten: Erneut stellt sich die Frage nach dem Verhältnis von Macht und Recht. In der Tat sind die USA die einzige Weltmacht und wären durchaus in der Lage, eine Weltordnung zu etablieren, die sich nach ihrem Willen ausrichtet. Meinungen und Positionen, sie sollten dies tun, gibt es in den USA genügend. Alle, die solche Auffassungen vertreten, haben entweder mit der Uno überhaupt nichts am Hut oder möchten sie doch so neu strukturieren, daß sie mehr dem Willen und den Vorstellungen der USA entspricht. Es wäre daher sicher nicht sehr klug zu übersehen, daß die USA mit der neuen Irak-Resolution sich erneut zu den Vereinten Nationen und zum geltenden Völkerrecht bekannt haben. Sicher auch deshalb, weil dies in ihrem eigenen Interesse lag. Solange aber die Welt politisch so aussieht wie heute, ist das geltende Völkerrecht einschließlich der Uno ein unerläßliches Mittel, um die Macht der USA in Grenzen zu halten und nicht zur uneingeschränkten Allmacht werden zu lassen. Jeden Schritt in Richtung Achtung des Völkerrechts, den die USA unternehmen, sollten die anderen Staaten daher sorgfältig beobachten und fördern. Nur so werden alle Staaten auch auf die sicher kommende Weiterentwicklung des Völkerrechts einen erforderlichen Einfluß ausüben können. Es stimmt optimistisch, wenn sich erneut zeigt, daß alle, die versuchen, das Völkerrecht weiterhin für ihre Interessen zu nutzen, sich damit aber auch an die Normen des Völkerrechts binden: die USA mit der neuen Irak-Resolution, Rußland bei der Forderung nach Rückzahlung der Schulden des Iraks, die Uno selbst, wenn sie die USA und ihre Verbündeten an ihre Verpflichtungen als „Besatzungsmächte“ im Irak erinnert. Foto: Fischer, Chirac, Villepin, Iwanow: Legitimierung des Irak-Krieges? Prof. Dr. Wolfgang Seiffert war bis 1994 Direktor des Instituts für osteuropäisches Recht in Kiel. Heute lehrt er am Zentrum für deutsches Recht der Russischen Akademie der Wissenschaften in Moskau. Zum Irak schrieb er in der JF 14/03 über „Das Ende aller Illusionen“.