Über Friedbert Pflüger, den Außenpolitischen Sprecher der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, kann man nur im Jargon der Abwesenheit reden. Er ist weder Interessen-, Real- noch Machtpolitiker, er ist kein Machiavellist und auch kein religiöser oder moralischer Fundamentalist. Seine Bundestagsreden, Podiumsdiskussionen und Interviews, die Streitgespräche bei Gabi Bauer und anderswo erschöpfen sich in einem weinerlichen: „Nun lassen Sie mich doch ausreden! Ich habe Sie doch auch!“ Pflüger wirkt mit seinen 48 Jahren so hilflos wie die junge Aushilfskraft, die erst ihren Chef fragen muß, bevor sie Auskunft geben kann. Dabei könnte die Lage für einen Oppositionspolitiker kaum besser sein. Die Außenpolitik der rot-grünen Bundesregierung schwankt zwischen Größenwahn, Servilität und handwerklichem Unvermögen, in jedem Fall ist sie konzeptionslos. Eine Agenda deutscher Interessen hat sie nicht. Doch auch Pflüger hat keine. Die einzige Konstante in seinen Äußerungen ist die Devotheit gegenüber den USA. Pflüger, der selber nie Soldat war, trat für den Irak-Krieg ein, ohne dafür eine politische Begründung zu geben. Angeblich wußte er – von wem? -, „daß die Bundesregierung über Informationen verfügt, daß es Massenvernichtungswaffen im Irak gibt“. Die Waffen sind bis heute nicht gefunden. Wer ihn daran zu erinnern wagt, dem wirft er die „Verharmlosung des Themas“ vor. Anfang Juni räumte der stellvertretende US-Verteidigungsminister Paul Wolfowitz ein, die US-Regierung hätte die Waffen propagandistisch in den Vordergrund geschoben, in Wahrheit sei es um die Positionierung von US-Truppen im Nahen und Mittleren Osten gegangen. Als internationale Empörung losbrach, verlangte Pflüger, die Bundestagsfraktion der Union solle sich mit Wolfowitz solidarisch erklären. Das ging sogar dem „Atlantiker“ Volker Rühe zu weit. Hohn und Spott brachen über Pflüger herein, der – laut Teilnehmern – dastand „wie ein Waisenkind“. Dieses Waisenkind träumt davon, deutscher Außenminister, wenigstens aber Staatssekretär zu werden! Brockenweise würgt er die Worte hervor Was treibt Friedbert Pflüger? Der Hinweis auf die frühere Tätigkeit seiner Frau, der Politikwissenschaftlerin Margarita Mathiopoulos, die beim Rüstungskonzern British Aeroplane für die Geschäftsplanung in Europa und Nordamerika zuständig war, führt nicht weiter. So blöde ist Pflüger nicht! Deshalb kann ihm auch nicht entgangen sein, was die Berliner Zeitung so ausdrückte: „Unter dem Krieg gegen den Terrorismus verstehen die Israelis und die Amerikaner, die sich in diesem Ziel inzwischen fest miteinander verbunden haben, die Herrschaft über die ganze arabische Welt.“ Will Pflüger das auch? Pflüger ist intelligent, auslandserfahren, sieht manierlich aus. Er hat unter anderem in Harvard studiert und ist als langjähriger Pressesprecher im Bundespräsidialamt ein Medienprofi. Doch merkwürdig, sobald er Position beziehen soll, wird es peinlich. Der Hals verschwindet zwischen den nach vorn gerollten Schultern und stößt dann ruckartig wieder vor. Der Kopf wackelt aufgeregt wie bei einer Gänsemutter, und die geschürzte Unterlippe berührt die Nasenspitze. Brockenweise würgt er die Worte heraus. Er möchte etwas Bedeutungsvolles sagen und produziert nur Gestammel. Er wirkt wie eine Marionette, die von ihren Strippen abgeschnitten ist. Friedbert Pflüger ist ein autoritärer Charakter, der nicht weiß, an welcher Autorität er sich gerade festhalten soll. Man kann ihn gar nicht politisch, man muß ihn psychologisch begreifen. Er legt Wert darauf, kein Schleppenträger Helmut Kohls gewesen zu sein. Er sei „gegen die Verführung von Macht und Anpassung im System Kohl“ immun gewesen. Doch so groß sind die Unterschiede gar nicht. Pflüger, Jahrgang 1955, trat mit 16 Jahren in die CDU ein und machte in der Jungen Union steil Karriere. Seine Studienfächer waren Politikwissenschaften, Staatsrecht und Volkswirtschaft. Er hat in seinem Leben fast nie etwas anderes gemacht als Politik. Was ihn von Politikern seiner Generation tatsächlich unterscheidet, ist zugleich sein größtes Problem. Es ist die verschämte Liebe zu einem 35 Jahre älteren Mann, die vor fast 26 Jahren, exakt am 7. November 1977, in einer Sitzung des CDU-Bundesvorstands, begonnen hatte. An diesem Tag nahm Pflüger als Vorsitzender des Rings Christlich-Demokratischer Studenten (RCDS) zufällig Platz neben dem Freiherrn Richard von Weizsäcker. In der Sitzung wurde über eine Dokumentation zu den geistigen Wurzeln des Terrorismus debattiert. Weizsäcker trat gegen die pauschale Schuldzuweisung an linke Intellektuelle auf. „Es ist still im Saal, niemand widerspricht“, erinnerte sich Pflüger. Von diesem Eindruck hat er sich nie wieder erholt. Als Weizsäcker 1981 Regierender Bürgermeister von Berlin wurde, schrieb er ihm einen Brief. Und Weizsäcker lud ihn ein, sein Mitarbeiter zu werden. Er entwarf für ihn Reden, begleitete ihn auf Reisen und führte beim Treffen mit der britischen Premierministerin Margaret Thatcher das Protokoll. Als Weizsäcker 1984 Bundespräsident wurde, widerstand er Helmut Kohl, der mit einem Posten im Adenauer-Haus lockte. Er folgte Weizsäcker „in die Gruft“, in die Villa Hammerschmidt. Pflüger wollte nicht zurück in das Milieu der kleinbürgerlichen Politik-Aufsteiger, zu denen er selber gehörte. Der Umgang bei Richard von Weizsäcker war von feinerer Art. Viele trugen ein „von“ im Namen und zählten seit Generationen zur Oberschicht. Pflüger lernte, keinen gestreiften Binder zum gestreiften Hemd mehr zu tragen, und er verstand den Wink des Chefs, sich in der Via Condotti, der Einkaufsstraße in Rom, endlich ein Paar neue Socken zu kaufen. Als er 1989, nach Ablauf von Weizsäckers erster Amtsperiode, aus dem Präsidialamt ausschied, um sich für eine Karriere im nächsten Bundestag zu präparieren, suchte er sich einen Übergangsjob, den auch Weizsäcker ausgeübt hatte: Er trat in eine Vermögensverwaltung ein. Den Inhaber Graf Matuschka hatte er in der Villa Hammerschmidt kennengelernt. Unermüdlich arbeitete er am Ruhm des Bundespräsidenten. Als sein Referent durfte er einen Beitrag für das Weizsäcker-Buch der Journalisten Werner Filmer und Heribert Schwan verfassen. Er schwärmte von dem Glück, unter diesem Chef arbeiten zu dürfen. 1990 legte er ein eigenes Werk vor: „Richard von Weizsäcker. Ein Portrait aus der Nähe“. Es geriet ihm zur Hagiographie: „Ausgesuchte Höflichkeit, hervorragende Manieren, vollendete Stilsicherheit, ausgeprägtes Bewußtsein für Hierarchie und Protokoll, gepflegte Konversation bei den Gesellschaftsabenden in der Villa Hammerschmidt, die Liebe zur Hausmusik, das traditionelle Rollenverständnis in der eigenen Familie und die im besten Sinne des Wortes patriarchalische Art der Zuwendung zu Mitarbeitern, in gewisser Weise auch zu den eigenen Kindern und Enkeln – dies alles weist Richard von Weizsäcker aus als einen Mann großbürgerlicher Herkunft, in den konservativ-liberalen Traditionen seiner Welt fest verankert.“ So geht das fast 500 Seiten lang. Die Anmutung, es handele sich um eine Auftragsarbeit Weizsäckers, wies Pflüger von sich. Das Buch sei „in Absicht und Ausführung unabhängig von ihm entstanden“. Sieben Jahre später fanden sich Passagen aus Pflügers Buch fast wortgleich in Weizsäckers Memoiren „Vier Zeiten“ wieder. Trotzdem hatte Pflüger nicht gelogen. Ihm war nur nicht bewußt gewesen, daß sein Chef ihn vollständig absorbiert und als Persönlichkeit ausgelöscht hatte. Friedbert Pflüger ist in der Villa Hammerschmidt nicht erwachsen, sondern als Hofschranze abgerichtet worden. Die ist er bis heute geblieben. Für Nuancen besitzt Pflüger kein Sensorium Damit das Bild von „König Richard“ und seiner Familie makellos erschien, mußten dunkle oder störende Flecken in der Familiengeschichte vertuscht werden. Dieser Aufgabe widmete Pflüger sich bis zur Selbstverleugnung. Er retuschierte Weizsäckers Desertion gegen Kriegsende zu einem „Genesungsurlaub“ um, machte seinen Vater Ernst von Weizsäcker, der brieflich von der „Meisterhand des Führers“ geschwärmt und als Staatssekretär im Auswärtigen Amt 1942 Papiere für Judendeportationen nach Auschwitz abgezeichnet hatte, zum Mann des Widerstands, und verzichtete auf Nachfragen zu dessen Bruder, einem Mediziner, der Gehirne von Euthanasie-Opfern entgegengenommen und seziert hatte. Nichts durfte den empfangenen Eindruck Weizsäckerscher Vollkommenheit stören. Pflüger war ihr verfallen, er wollte Anteil an ihr haben. Und das macht ihn zur peinlichen Figur. Seine verdruckste Sprache ist der Versuch, die Weizsäckersche Kunst des Sowohl-als-auch zu kopieren. Als er 1991 im Bundestag für Bonn als Regierungssitz plädierte, brachte er, um den Vorwurf privater Interessen zu entkräften, einen Hinweis auf seine Frau an, die in Berlin arbeite. Er wollte, wie er das von seinem Mentor gelernt hatte, das Gewicht seiner Persönlichkeit in die politischen Waagschale werfen. Doch dazu muß man erstmal eine Persönlichkeit haben! Er erntete Gelächter und Zoten. Die Tragik des Kopisten zeigt sich auch an den wenigen Inhalten, die er vertritt. Sein Koordinatensystem hat er an der deutschen Kollektivschuldrhetorik ausgerichtet, deren Präzeptor Weizsäcker war. Wieder mit fatalen Folgen, denn Pflüger war entgangen, daß man Weizsäckers Rhetorik nicht beim Wort nehmen durfte, weil darin der Versuch steckte, erstens die mit dem Familiennamen verbundene, konkrete Schuld zu externalisieren und zweitens „Verdienstwerke“ zu leisten, um seinem Vater, dem SS-Oberführer Ernst von Weizsäcker, „ein Grab zu bereiten“ (Henry-Bernard Levy). Als praktischer Politiker hat Weizsäcker dennoch meistens einen klaren Kopf behalten. Die deutsche Einheit war für ihn ein unverrückbares Ziel, er machte sich für Berlin als Regierungssitz stark, und zuletzt er hat sich als „elder statesman“ gegen die US-Politik im Irak ausgesprochen. Für solche Nuancen besitzt Pflüger kein Sensorium. Er bemüht sich, die süßliche Rhetorik seines Mentors zu exekutieren, als steckten darin ewige Wahrheiten. Als 1993 der wertkonservative sächsische Justizminister Steffen Heitmann als neuer Bundespräsident im Gespräch war, läutete er in der Zeit die Alarmglocke: Mit Heitmann würden die Thesen Ernst Noltes die Villa Hammerschmidt erobern, der „Grundkonsens der Republik“ sei in Gefahr! Er schrieb ein Buch: „Deutschland driftet – Die Konservative Revolution entläßt ihre Kinder“ (1994), eine Art Manifest, in dem er vor einem Marsch nach rechts warnte. Die „Neue Rechte“ sei schon auf dem Wege, CDU und RCDS zu erobern. Kurzzeitig wurde er ein Medienstar und durfte Dummheiten verbreiten wie: „Die konservativen Revolutionäre (…) wie Ernst Jünger, Oswald Spengler und Carl Schmitt wollten die Weimarer Republik umstürzen. Sie waren Hitlers ideologische Wegbereiter, zum großen Teil antisemitisch …“ Die Sprache des Klassenpetzers, die ihm 1977 so degoutant gewesen war, erschien ihm jetzt angemessen. Nolte zählte er zu den „Sympathisanten, Steigbügelhaltern und Verharmlosern“. Er versuche, die „‚Auschwitzlüge‘ (…) für die Wissenschaft salonfähig zu machen“ und „die Schrecken der Nazi-Zeit im Vergleich zu anderen (zu) relativieren“. Dieser Gefahr setzte er das Bekenntnis entgegen: „Verfassungspatriotismus – das ist der Begriff der Zukunft.“ Fischer als Außenminister ist das kleinere Übel In einem 1993 von ihm herausgegebenen, repräsentativen Bildband über den Präsidenten behandelte er die Israel-Reise von 1985, mit der Weizsäcker den befleckten Familienschild symbolisch reinwusch, im letzten, im zwölften Kapitel. Im Mittelpunkt steht der Besuch in Jerusalem. Zwölf ist in der griechischen Mythologie und im christlich-jüdischen Religionskreis eine magische Zahl, die Zahl der Vollkommenheit. Das himmlische Jerusalem, das in der Offenbarung des Johannes auf die Apokalypse folgt, hat zwölf Tore, die die Namen von zwölf Engeln tragen. Die zwölf Grundsteine seiner Mauer sind aus zwölf verschiedenen Edelsteinen gefertigt, und sie tragen die Namen der zwölf Apostel des Lammes. Die Botschaft ist deutlich: Richard von Weizsäcker, ein Vollkommener und Gesegneter, weist dem deutschen Volk den Weg, um selber irgendwann einmal die Chance zu bekommen, das Licht der Gnade zu schauen. Pflüger mißverstand Weizsäckers geschickt verschleierte, private Schuldpassion als politischen Auftrag an das ganze Volk. Aus dieser Perspektive erscheint eine deutsche Unterstützung für die amerikanisch-israelische „Herrschaft über die ganze arabische Welt“ tatsächlich plausibel. Taktlosigkeiten wie der Vorschlag, eine Solidaritätsadresse für Wolfowitz zu beschließen, sind eine formale Konsequenz dieser Position. Der Freiherr, als er davon hörte, war gewiß angewidert! Pflüger, die Marionette, wirkt ohne die Meisterhand des Spielführers – das Wort stammt von Helmut Kohl – einfach nur „armselig“. Vor einiger Zeit war in der Presse zu lesen, Joschka Fischer kämpfe auch deshalb für den Erhalt von Rot-Grün, um Pflüger als Außenminister zu verhindern. Im Angesicht dieser Alternative erscheint Fischer tatsächlich als das kleinere Übel.