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Konstruierte bürgerliche Einheitspartei

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Cato, Palmer, Exklusiv

Die Union pour la majorité présidentielle (UMP) bildete sich vor der französischen Präsident-schafts- und Parlamentswahlen im Frühling dieses Jahres als Sammelbewegung, um die Wiederwahl von Staatspräsident Jacques Chirac zu sichern und ihm eine Regierungsmehrheit in der Nationalversammlung zu verschaffen. Am 17. November, zwölf Tage vor Chiracs 70. Geburtstag, findet in Bourget ihr erster Parteitag statt. Die Mitglieder sind aufgerufen, ihren Parteivorstand zu wählen, sich für einen Namen zu entscheiden und eine Satzung festzulegen. Tausende Teilnehmer werden im nahe Paris gelegenen Bourget erwartet, das hauptsächlich für seinen Militärflughafen bekannt ist. Wurde dieser Schauplatz absichtlich als Startbahn für einen schwierigen Abflug gewählt, der das Volk indes weitgehend kalt läßt? Bei einer vor kurzem durchgeführten Meinungsumfrage sagten 44 Prozent der Franzosen, die Gründung der UMP sei ihnen „gleichgültig“. Schon seit fast zwei Jahren wurde die Bildung einer bürgerlichen „Einheitspartei“, die zunächst „Union en mouvement“ (UEM) hieß, von Chirac-Getreuen wie Alain Juppé, Philippe Douste-Blazy, Jerôme Monod und anderen vorbereitet. Als schließlich die UMP kurz vor der Präsidentschaftswahl im April 2002 ins Leben gerufen wurde, schien die Bezeichnung „Union de la majorité pour le progrès“ („Mehrheitsbündnis für den Fortschritt“) zunächst für einen Anschein des Zusammenhalts zwischen den unterschiedlichen Elementen zu stehen, die Jacques Chiracs Kandidatur unterstützten. Nach Chiracs klarem Sieg in der zweiten Wahlrunde wurde daraus mehr als nur ein Etikett: das Werkzeug einer Sammlungsstrategie. Damit verbindet sich der Anspruch, „eine große Partei der Rechten und der Mitte“ zu schaffen. In Wirklichkeit geht es immer nur darum, Chirac strategisch zu unterstützen, und dessen Anliegen ist kein geringeres als eine Hegemonie seiner Getreuen. Nun soll die Maschinerie, die in aller Eile für den Wahlkampf konstruiert worden war, in eine dauerhafte politische Kraft umgewandelt werden. In diesem Zusammenhang kam der Begriff der „Einheitspartei“ auf. Dieser Vorwurf wiederum veranlaßte die Gegenseite, die Vorteile einer politischen „Modernisierung“ hervorzuheben, wie sie sich im Zwei-Parteien-System ausdrücke. Seither werden dessen Befürworter nicht müde, Großbritannien (das wie Frankreich ein Mehrheitswahlrecht hat) und Deutschland als Vorbilder anzuführen. Alain Juppé strebt „eine Art CDU auf französisch“ an, während der ehemalige Liberaldemokrat Claude Goasguen die bisherige bürgerliche Parteienvielfalt als Wurzel allen Übels – vom „Wuchern des Staates“ bis zur „Unmöglichkeit, Reformen durchzuführen“ – verdammt. Zweifelsohne ist die Gründung der UMP ein Ereignis von historischer Bedeutung. Zum einen besiegelt sie den Untergang des Gaullismus. Die Mitglieder des 1976 gegründeten neogaullistischen Rassemblement pour la République (RPR) begingen Ende dieses Sommers als erste Harakiri. Chirac richtete eine Beileidsbekundung an seine „Kameraden“, als er die Todesurkunde der Partei unterschrieb. Gewiß ist es schon lange her, daß der Gaullismus, dieser Wiedergänger des Bonapartismus, mehr war als ein Andenken oder ein politisches Feigenblatt. Mit der Selbstauflösung der kleinen rechtsliberalen Démocratie Libérale (LD), die Alain Madelin auf den Trümmern von Ex-Präsident Valéry Giscard d’Estaings Républicains Indépendants (Unabhängige Republikaner/RI) gegründet hatte, wurde eine weitere politische Totgeburt zu Grabe getragen. Die LD schloß sich am 21. September der UMP an. Liberale und rechte Außenseiter in einer Partei Die Kleinstparteien, die unter dem Banner der UDF – einst als Gegengewicht zu der gaullistischen Partei gegründet – ein politisches Zuhause gefunden hatten, liefen mehrheitlich ebenfalls zur UMP über. Die einzige Gemeinsamkeit, die diese Gruppen miteinander verband, lag darin, daß sie allesamt Telefonzellenvereine mit exzentrischen Parteichefs waren. Unter den wachsamen Augen des UMP-Generalsekretärs Philippe Douste-Blazy forderten am 6. Oktober Hervé de Charette im Namen des PPDF, François Loos für die Parti Radical Valoisien, Renaud Donnedieu de Fabre im Namen des frühern RI, Jacques Barrot im Namen der Force Démocrate (Ex-CDS) und Pierre-André Wiltzer im Namen der UDF-Direktmitglieder, alle Mitglieder und Mandatsträger der UDF auf, der UMP beizutreten. Daß sich auch Charles Millon und seine rechte Droite Libérale Chrétienne (DLC) der Sammelpartei anschließen werden, scheint wahrscheinlich. Millon verspricht sich davon ein Ende der Höllenfahrt, die ihren Anfang nahm, als er sich am 20. März 1998 im Lyoner Vorort Charbonnières mit den Stimmen des rechten Front National von Jean-Marie Le Pen wieder zum Präsidenten der Region Rhône-Alpes wählen ließ. Nur der „Monarchist“ Philippe de Villiers aus der Vendée möchte mit seinem Mouvement pour la France offenbar außerhalb der UMP bleiben. Wie auch immer ihre Entscheidungen ausfallen, sie werden nicht weiter von Bedeutung sein. Anders verhält es sich mit François Bayrou, der sich weiterhin weigert, sich der UMP anzuschließen. Obwohl die Mehrheit seiner Parteifreunde zur UMP übergelaufen ist, will der eigensinnige Béarner die Autonomie der UDF bewahren. Von seinem vierten Platz bei den Präsidentschaftswahlen und den 28 Sitzen, die die Partei bei den Parlamentswahlen errang, fühlt er sich in seinem Ansinnen bestärkt. Seine ablehnende Haltung gegenüber der „Einheitspartei“ UMP zeugt von der Sorge um die Zukunft einer christlich inspirierten zentristischen Strömung. Die Presse quittiert seinen Widerstand mit Verständnislosigkeit, die aber durch den Respekt mehr als wettgemacht wird, den er bei der traditionellen bürgerlichen Rechten gewonnen hat. Auch anderswo stößt Bayrous Widerspenstigkeit auf Zustimmung. Ex-Minister Hervé de Charette unterstützt zwar die UMP, erklärte aber: „Wir wollen nicht für alle Ewigkeit zum Zentrismus verdammt sein“. Unweigerlich erinnert man sich an den Untergang der „Republikanischen Volksbewegung“ MRP (Mouvement républicain populaire), des Hauptträgers der französischen Christdemokratie, zu Beginn der seit 1958 bestehenden Fünften Republik. Doch Bayrou ist der einzige, der einen klaren Kopf behalten hat. Die UMP hat zwar 365 von 577 Nationalversammlungsmandaten, aber sie ähnelt einem riesigen Bauwerk ohne strukturellen Zusammenhalt, das beim ersten Windstoß auseinanderzufallen droht. Böse Zungen behaupten, statt der bürgerlichen Rechten als „Vordenker“ zu dienen, bestehe ihr Auftrag einzig darin, Präsident Chirac eine gehorsame Mehrheit zu sichern und seine Kriegsmaschine für den nächsten Wahlkampf in fünf Jahren einsatzbereit zu halten. Der UMP-Gründungsparteitag wird mit Sicherheit keine einzige ideologische Neuerung bringen. Die Charta, die das provisorische Exekutivkomitee aufgesetzt hat, ist von einer geradezu bestürzenden Banalität. Unter anderem heißt es dort: „Mit unserem Reichtum an Unterschieden wollen wir stark in unserer Einigkeit sein und eine neue politische Kraft schaffen, die allen Franzosen offensteht.“ Der neuen Partei fehlt noch ein Name, der diesen Pathos adäquat zum Ausdruck bringt. Nachdem „Maison bleue“ (Blaues Haus) verworfen wurde, stehen noch zwei Namen zur Auswahl: „Union populaire“ (Volksbündnis) oder „Union pour un mouvement populaire“ (Bündnis für eine Volksbewegung). Außerdem muß ein Vorstand gewählt werden. Der vorläufige Vorsitzende Alain Juppé – Premier von 1995 bis 1997 – wird bei der Wahl des Parteivorsitzenden mühelos über seine drei Gegenkandidaten triumphieren, deren Aufstellung eher Symbolcharakter hat: Nicolas Dupont-Aignan, Abgeordneter für Essonne und Chef der innerparteilichen Strömung Debout la République, der junge RPR-Kader Mourad Ghazli aus der Region Val-de-Marne, und Rachid Kaci, DL-Abgeordneter für Sannois im Val-d’Oise. Der amtierende Bürgermeister von Toulouse, Douste-Blazy, wird mit Sicherheit als Generalsekretär bestätigt werden. Er erregt nirgends Anstoß, dafür ist er um so leichter zu durchschauen. Heikler dürfte sich dagegen die Einigung auf eine Satzung gestalten, denn sie berührt die Frage der Autonomie der verschiedenen Gruppen und Strömungen, aus denen sich die UMP zusammensetzt. Nach dem Willen der Parteigründer wird die UMP „einig“ sein. Juppé, der für seine Dickköpfigkeit bekannt ist, soll dafür Sorge tragen. Gerade deshalb gibt es allen Anlaß zur Sorge. „Strömungen“ sprießen wie Pilze aus dem Boden und wollen sich Gehör verschaffen. François Fillon, Minister für Soziales, Souveränist, widerwilliger Liberaler und Ex-RPR-Mann, verkündet, er habe „nicht den Ehrgeiz, in der UMP eine Minderheit zu bilden“, sondern beabsichtige, die mehrheitliche Strömung der Partei mit Hilfe seines Clubs „France.9“ zu beeinflussen. Für viele ist das der Beweis, daß die Gaullisten nicht in einem riesigen Mitte-Rechts-Gebilde aufzugehen wollen. Der europhile Liberale Alain Madelin verfolgt dieselbe Taktik. Die von ihm angeregten „Cercles libéraux“ sollen unter der Leitung François d’Auberts stehen. Der UMP-Abgeordnete Pierre Lellouche, der einst Ex-Innenminister Charles Pasqua nahestand, plant die Gründung einer liberalen Strömung, die „der Stachel der Reform“ sein soll. Am 16. Oktober kam in der Nationalversammlung der Club Giscardisme et Modernité zusammen, der von Premierminister Jean-Pierre Raffarin (Ex-DL) höchstselbst gegründet wurde. Die Wochenzeitung Valeurs Actuelles schrieb dazu: „Von hier ist es nur ein Schritt zu der Vorstellung, daß dieser ‚Club der Reflexion‘ mit Blick auf die Präsidentschaftswahlen sich diskret daranmachen wird, die Sendboten des ‚Raffarinismus‘ zusammenzutrommeln: ein Schritt, den gewisse rastlose Geister auf der Rechten innerlich bereits gegangen sind …“ Die Einigkeit, die man am 17. November vorzugaukeln hofft, dürfte nicht von langer Dauer sein. Neben persönlichen Rivalitäten – Innenminister Nicolas Sarkozy ist nicht der einzige, der ungeduldig auf seinen Platz an der Sonne wartet – werden sich früher oder später auch politische Dissonanzen bemerkbar machen. Die bürgerliche Rechte versucht die Linke nachzuäffen. Ihr fehlt aber jegliche Erfahrung mit ideologischen Debatten und Konfrontationen. Gewiß profitiert die UMP von dem Schockzustand, aus dem sich die Linke nach ihren Wahlniederlagen noch nicht erholt hat (siehe JF 39/02). Dennoch behält letztere an den empfindlichsten Stellen der nationalen Psyche die ideologische Oberhand. Nichts hat das besser zur Schau gestellt als der Antrag eines UMP-Abgeordneten, der vor kurzem vorschlug, Einwanderern das Wahlrecht zu erteilen.

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