Friedrich Tschirner fuhr am Tag nach der Wahl nach Dresden, um einen neuen Anzug zu kaufen. „Als Bürgermeister kann ich schließlich nicht mehr in Jeans rumlaufen“, sagte das frischgebackene Stadtoberhaupt von Ostritz an der Neiße, einer 3.200-Einwohnerstadt zwischen dem niederschlesischen Görlitz und dem ostsächsischen Zittau. Dabei hatte der 50jährige Ingenieur gar nicht damit gerechnet, gewählt zu werden. Aber 62,3 Prozent der Ostritzer gaben dem Arbeitslosen ihre Stimme, der sich bisher kaum um Kommunalpolitik geschert hatte: „Ich wollte lediglich nicht mehr dauernd beim Arbeitsamt als Bittsteller vorsprechen müssen und habe es deshalb gewagt.“ Die Bürgermeisterwahlen in Sachsen am vergangenen Sonntag waren die große Chance für Männer wie Tschirner. In vielen Gemeinden des Freistaates erteilten die Wähler den drei Landtagsparteien eine Abfuhr und entschieden sich für Personen, die als Einzelkandidaten oder für Wählervereinigungen angetreten waren – darunter einige DSU-Mitglieder. In insgesamt 87 Fällen gewannen die von den Wählervereinigungen nominierten Bürgermeisterkandidaten, in 153 die der CDU und in 19 bzw. 13 die Bewerber der FDP bzw. SPD. Die PDS wird wie bisher drei Bürgermeister stellen. Im niederschlesischen Hoyerswerda erreichte der seit 1994 regierende PDS-Bürgermeister Dieter Brähmig 48,6 Prozent und wird sich in einem zweiten Wahlgang stellen müssen. Zu einem zweiten Wahlgang kommt es unter anderem auch in Dresden und Zwickau. In Zukunft wird die CDU auch nicht mehr alle Landräte stellen. Lediglich in 14 von 18 Landkreisen konnte sie den von ihr vorgeschlagenen Kandidaten durchsetzen. In den Landkreisen Annaberg, Freiberg und Leipziger Land gibt es Neuwahlen. In Torgau-Oschatz setzte sich der nicht mehr von den Christdemokraten aufgestellte Amtsinhaber gegen den CDU-Kandidaten durch. Den größten Schock für die regierenden Christdemokraten gab es aber in der Landeshauptstadt. Hier konnte Herausforderer Ingolf Roßberg (FDP) den Amtsinhaber Herbert Wagner (CDU) in der ersten Runde nach Punkten schlagen. Der Linksliberale, der für die Wählervereinigung „OB für Dresden“ angetreten war und nach viel internem Gezänk von SPD, Grünen, PDS und schließlich auch der FDP unterstützt wurde, holte dabei in der Dresdner Neu- und Altstadt sogar die absolute Mehrheit. Lediglich die kürzlich eingemeindeten Orte an der Peripherie Dresdens stimmten mehrheitlich für Wagner. Zwar reichten die von Roßberg erzielten 47,04 Prozent noch nicht für den Sieg aus, aber die Neuwahlen am 24. Juni dürften spannend werden. Viele Christdemokraten sehen die Schuld an dem Fiasko bei Ministerpräsident Kurt Biedenkopf. Der hatte noch kurz vor der Wahl Ingolf Roßberg, der einst vier Jahre Stadtentwicklungs-Dezernent unter Wagner war, dann Erster Bürgermeister in Radebeul bei Dresden und im Herbst 2000 als Bau-Dezernent nach Wuppertal wechselte, als „Schrott aus Wuppertal“ bezeichnet. Damit habe sich Biedenkopf „sehr weit aus dem üblichen Rahmen herausgelehnt“ und sei vielleicht „eine Komponente des schlechten Ergebnisses“, kritisiert der Dresdner CDU-Kreischef Dieter Reinfried. Vielleicht habe aber auch der Amtsinhaber, der auf seinen Plakaten mit dem Slogan „Erfolgreich und ehrlich“ warb, nach elf Amtsjahren ausgezehrt gewirkt. Die CDU habe das bürgerliche Lager katastrophal mobilisiert, konstatiert Wagners Wahlkampfmanager Walter Hannot. Man werde jetzt auf die Widersprüche in Roßbergs Politikversprechen aufmerksam machen. Der Herausforderer hofft dagegen auf die Wähler, die für die unabhängige Kandidatin Friederike Beier gestimmt hatten. Da aber Wolfgang Berghofer, das letzte SED-Stadtoberhaupt Dresdens, im zweiten Wahlgang antritt, wird es noch einmal spannend. Nachdem sich der heutige Unternehmensberater wochenlang wegen der Kandidatur geziert hatte, solle er nun „bleiben, wo der Pfeffer wächst“, so die
PDS-Bundestagsabgeordnete Christine Ostrowski. Sollte Amtsinhaber Wagner scheitern, stellt die CDU in keiner der drei sächsischen Großstädte mehr den OB: Leipzig und Chemnitz haben ein SPD-Stadtoberhaupt. „Wir haben bayerische Verhältnisse in Sachsen“, meinte CDU-Fraktionschef Fritz Hähle – ja, denn auch in München regiert die SPD. Während für Biedenkopf die CDU auch nach den Wahlergebnissen die uneingeschränkt bestimmende kommunalpolitische Kraft in Sachsen bleibt und er in den Abstimmungsergebnissen ein Desaster für PDS und SPD sieht, zeigt sich SPD-Landeschefin Constanze Krehl mit den erzielten Resultaten zufrieden. Die Selbstverständlichkeit der großen CDU-Mehrheiten gehe in Sachsen zu Ende, konstatiert PDS-Landeschef Peter Porsch. Enttäuscht zeigten sich alle Parteien über die niedrige Wahlbeteiligung. Lag diese vor sieben Jahren noch um die 70 Prozent, ging diesmal nicht einmal jeder zweite Wahlberechtigte ins Wahllokal.