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Coole Konservative

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Das Politikmagazin Cicero wirbt damit, daß 71Prozent seiner Leser Führungskräfte aus der Wirtschaft sind. Das erklärt einiges. Mitteljunge Berater und Vorstandsmenschen, kaum mit der Muße gesegnet, sich neben der obligatorischen Handelsblatt-Lektüre alltäglich den Feuilletonthemen hinzugeben, werden, wenn sie unterwegs sind zum nächsten Termin in einer entfernten Metropole, am Flughafenkiosk gern zu einem Blatt greifen, das kulturelle Debatten der vergangenen Zeit aufgreift und noch einmal komprimiert aufs Tapet bringt. Die aktuelle Ausgabe führt die Frage „Wie konservativ ist der Zeitgeist?“ im Titel und ruft anhand von Günther Jauch als telegenem Prototypen eine „Neue Bürgerlichkeit“ aus. Ewigkeiten, nachdem „Trendforscher“ Heimeligkeit („Cocooning“) und wiedererstarkendes Wertebewußtsein als neue Mode beschworen, Jahre nach der Diskussion um eine Renaissance von Anstand und Manieren, Monate, nachdem taz, Spiegel, Focus und Zeit jene „Neue Bürgerlichkeit“ konstatiert haben, stellt sich nun Cicero dieser hochstrapazierten Themenstellung. Eine geistig-kulturelle Kehrtwende verlangt mehr Längst haben kluge Köpfe wie Meinhard Miegel, Paul Kirchhof und Wolf Jobst Siedler all dies erläutert und auf den Punkt gebracht, was bei Cicero-Autor Jürgen Busche terminologisch etwas vereinfacht gerät – in der Hoffnung vielleicht, daß es für Gelegenheitsleser aus der Wirtschaftsbranche gerade so eben reicht: „Es gibt eine konservative Stimmung im Land. Soeben hat dies die Fußballweltmeisterschaft farbenfroh gezeigt. So viele Deutsche wie vielleicht noch nie sind mit ihrem Leben in diesem Land zufrieden.“ Konservativismus, Bürgerlichkeit und Bürgertum, CDU, „Religionshappenings“, Vaterlandsliebe, Sportbegeisterung und am Ende auch noch Günther Jauch: vom Cicero gemeinsam mit den Herren Matussek, Schirrmacher und di Fabio („Konservative Sirenen“) in einen Sack gepackt, wird daraus ein Trend. Damit liegt das Magazin dann gar nicht falsch, auch nicht mit Busches weiterer Analyse, daß die CDU diese Stimmung genausowenig wie ihre angestammte altkonservative Klientel bedienen kann oder überhaupt nur möchte. Man könne „bei einer Bevölkerung, die mehrere Generationen umfaßt, kaum eine konservative Stimmung einheitlich in eine Liste mit Begriffen fassen“, schreibt Busche. Konservativ sein sei „mehr eine Geneigtheit des Temperaments, ein Lebensgefühl“. Ob nun gerade der Moderatorenwechsel innerhalb einer Polit-Talkshow geeignet ist, eine tatsächliche Zäsur im Meinungsklima anzuzeigen, mag dahingestellt sein. Daß die habituell nur halbsouveräne Nachrichtenverleserin Sabine Christiansen den Stuhl freimacht für einen seit jeher kulturell und politisch engagierten Journalisten wie Günther Jauch, sollte nicht vorschnell als Wendemarke eines „konservativen Zeitgeistes“ verstanden werden. Ja, Jauchs Großvater Hans schlug 1920 als hochdekorierter Hauptmann und Freikorpsführer den Ruhraufstand nieder, und ja, der junge Jauch war Ministrant, schickt seine Töchter auf ein altsprachliches Gymnasium, erzieht sie zum Konsumverzicht und fördert als Mäzen die Restaurierung historischer Gebäude in Potsdam. Linke Affekte, wie sie noch in seiner Zeit als Moderator von „Live aus dem Alabama“ und „Stern TV“ gelegentlich zum Tragen kamen, gehören für Jauch der Vergangenheit an. Sein heutiges Engagement ist das eines zivilcouragierten Weltbürgers: den Regenwald retten, „Gesicht zeigen“ gegen Rechts, den annefrankguide.net präsentieren, bei der Suspendierung des rechtslastigen Steglitzer Gymnasiallehrers Karl-Heinz Schmick tatkräftig mithelfen. Man sieht: Konservativismus ist ein weites Feld, und die Unterscheidung in wert- und politkonservativ hilft kaum weiter, wo letzteres inexistent ist. Bemerkenswert allein bleibt die Rückkehr der Bürgerlichkeit als beinahe coole Selbstbezeichnung; Jahrzehnte, nachdem dieser Begriff zum Schmähwort der geistig-kulturellen Topographie geworden war. Jene Neobürgerlichen kommen ohne Bürgertum aus, sie bewohnen bloß dessen stilvolle Altbauwohnungen mit stuckverzierten hohen Wänden und finden sich als „Menschen in diesem Land“ ganz gut zurecht, solange exklusive Club-Lounges, Privatschulen und Abonnementkonzerte als Residuen gewährleistet sind. Viel ist derzeit die Rede vom unausweichlichen Verantwortungsrückgewinn des Einzelnen angesichts der Überlastung unseres Wohlfahrtsstaates. Dies und die Rückbesinnung auf familiäre, gar auf nationale Werte, die damit einhergeht, ist begrüßenswert. Einem Trend jedoch ist zu eigen, daß er Anstrengungen scheut und daher kaum von Dauer ist: Zeitgeist eben. Daraus eine anhaltende geistig-kulturelle Kehrtwende zu zimmern, würde eine mühevolle Generationenarbeit abverlangen. Das dürfte der Punkt sein, an dem sich unsere Neobürgerlichen messen lassen müssen -und zwar nicht im übernächsten Cicero-Heft.

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