Wir alle erinnern uns noch an den Tag, an dem die Mauer fiel. Und an den 11. September. Aber wer wird sich noch an den 4. Oktober erinnern, den Tag, an dem „Anke Late Night“ abgesetzt wurde? Kaum jemand – außer den unmittelbar Betroffenen. Anke hatte nie die Quoten gebracht, von denen Senderchef Roger Schawinski geträumt hatte. Nach dem Start im Mai (JF 23/04) wurde bereits im Sommer darüber gemunkelt, die Sendung werde abgesetzt. Damals gab der Sat.1-Chef noch das Motto „Kämpf um deine Frau“ (übrigens auch so eine Sendung, die nicht läuft) aus: Engelke müsse Zeit gelassen werden, in diese Rolle hineinzuwachsen. Harald Schmidt habe auch Monate gebraucht, bis seine Sendung angenommen wurde. Doch 2004 ist nicht 1995. Das Fernsehen ist noch schnellebiger geworden. Sendeformate, die nicht laufen, werden schon nach der ersten Ausstrahlung abgesetzt. So geschehen im Falle „Hire and Fire“ bei ProSieben. „Kämpf um deine Frau“ ist der nächste Kandidat für das vorzeitige Aus, nachdem der Sendeplatz bereits verschoben worden ist. Am Schluß stiegen die Quoten noch einmal kurzfristig. Nachdem die Zuschauer erfahren haben, daß „Anke Late Night“ nur noch zwei Wochen läuft, schalteten sie abends noch mal zu Sat1. Die erste Sendung nach der Bekanntgabe der Absetzung schalteten mit 1,29 Millionen Zuschauern doppelt so viele ein wie sonst. Elendstourismus der besonderen Art. Die ersten Sendungen nach dem verkündeten Aus waren auch sehenswert. Engelke wurde angekündigt als „IM Abgesetzt“ und kommentierte das Klatschen des Publikums mit den Worten: „Das hättet ihr euch früher überlegen müssen …“ Mit dem Appell „Bitte aufhören!“ hatte die FAZ am 27. September das letzte Kapitel von „Anke Late Night“ eingeleitet. Das Argument: Sie muß aufhören, weil sie Tag für Tag ein Stück ihres Images verspielt. Da ist etwas dran. Denn Anke Engelke ist sicherlich Deutschlands größte TV-Komikerin. Aber sie ist in Schmidts Rolle nie hineingewachsen. Und sie oder der Sender haben nicht ernsthaft versucht, ein eigenes Anke-kompatibles Format zu entwickeln. Man sollte es nicht für möglich halten, aber sogar der Fall Engelke ist geeignet, Gutmenschen zu mobilisieren. So sah sich etwa Bazon Brock genötigt, Sat1 wegen dieser „Fernsehtragödie“ zu kritisieren. Brock ist Professor für Ästhetik und Kulturvermittlung an der Uni Wuppertal (was es so alles für Studienfächer gibt!) und sagte: „Da wird ein ungeheuer begabter Mensch durch ein Format, durch äußere Zwänge, die mit der Sache, die er vertritt, gar nichts zu tun haben, gnadenlos auf Format geschnitten.“ Das klingt dann ein wenig so, als habe der Sender die hochbezahlte Engelke im Tagebau in Workuta eingesetzt. Was bleibt von Anke E.? Zunächst einmal ein leerer Sendeplatz. Der gefüllt werden muß. Mit „Helicops“, einer Sat.1-Serie aus den Neunzigern. „Helicops“ als Lückenbüßer beweist auch, daß Sat.1 Anke um jeden Preis so schnell wie möglich loswerden wollte. Oder haben die etwa bei Sat.1 zusammengesessen und gedacht „Scheiß‘ auf Anke, wir haben doch ‚Helicops‘, die sind doch viel besser“? Wohl kaum. Anke Engelke definierte in einer ihrer Parade-Rollen („Die Engelkes“) einmal „Late Night Show“: „Da steht diese Frau Engelke auf der Bühne und erzählt – auf lustig -, was den ganzen Tag so passiert ist. Na ja, immer noch besser als ganz arbeitslos.“ In Wahrheit ist es eben Harald Schmidt und kein anderer, der in einer Late Night Show vorne steht und auf lustig das Tagesgeschehen Revue passieren läßt. Warum hat den eigentlich noch keiner von RTL angerufen und ihm eine Sendung angeboten? So gesehen muß Engelke sich auch nicht allzuviel vorwerfen. Wer hat sich nicht alles vor Schmidt bereits als Late-Night-Moderator versucht? Wir erinnern uns eher dunkel an die Herren Gottschalk und Koschwitz. Sat.1 hat angekündigt, weiter mit Anke Engelke zusammenzuarbeiten: „Ladykracher“ und dergleichen – das, was sie kann eben. Allerdings erhielt sie auch gleich ein Angebot von der Zeitung mit den großen Buchstaben. Weil sie die Titelseite der Bild mit der Überschrift „Das bittere Aus“ neben einer Nackten in ihrer Sendung hochhielt. Und dazu bemerkte: „Wenn’s mal nicht so gut läuft, tauche ich einfach hier wieder auf.“ Prompt bot ihr Bild an, sie hüllenlos abzulichten. Was macht Fernseh-Deutschland jetzt abends, wenn alte „Helicops“-Folgen bei Sat.1 flimmern? Sie können die drögen Gutmenschen-Quatschköpfe Beckmann oder Kerner verfolgen. Oder zu ProSieben zappen. Da sendet Stefan Raab seit Jahren gleichermaßen anspruchslos wie erfolgreich. Das Niveau sinkt weiter. Dumm gelaufen: Statt wie Harald Schmidt im Feuilleton landete Foto: Anke Engelke auf der Titelseite der „Bild“