Liebe Kollegen der FAZ,
eigentlich wollte ich Euch zum 75. Geburtstag Eurer ehrwürdigen Zeitung gratulieren. Gestern war die FAZ mit einer opulenten Beilage erschienen, wo sie sich eindrucksvoll als „Zeitung der Freiheit“ gefeiert hat.
Heute morgen schlage ich die Ausgabe vom 9. November auf. In vielen Beiträgen geht es um die Regierungskrise nach dem Platzen der Ampel und die weltpolitischen Folgen nach dem Sieg von Donald Trump. Erst nach einigen Seiten fällt mir auf. Es fehlt etwas. Ich blättere noch einmal durch. Nichts.
Liebe @faznet, ist das Euer Ernst? Wir haben heute den 35. Jahrestag des Mauerfalls – und Ihr habt keinen einzigen Beitrag dazu im Blatt? Ihr wollt die Zeitung der Freiheit, die „Zeitung für Deutschland“ sein? #mauerfall35 pic.twitter.com/jQ0twxywYq
— Dieter Stein (@Dieter_Stein) November 9, 2024
Sinnbild alarmierender Geschichtsvergessenheit
Sie haben es fertiggebracht, in der Ausgabe zum 9. November keinen einzigen Beitrag unterzubringen, der den 35. Jahrestag des Mauerfalls in Berlin würdigt. Das ist ein Armutszeugnis. Erschütternd. Es ist ein Sinnbild alarmierender Geschichtsvergessenheit, die unsere Zeit prägt.
Als die Mauer vor 35 Jahren fiel, war die FAZ eine der letzten Zeitungen, die noch wahrnehmbar am Ziel der Wiedervereinigung, der Einheit der Nation festhielt. Jedenfalls verfügte sie über eine Reihe markanter Journalisten, die das Verdienst hatten, eisern den in der Präambel des Grundgesetzes festgehaltenen politischen Kernauftrag immer wieder wachzuhalten.
Der Historiker Peter Hoeres hat in seinem zum 70. Geburtstag der FAZ veröffentlichten Werk „Zeitung für Deutschland“ daran erinnert, daß sich Ende der achtziger Jahre große Teile des westdeutschen geistigen Milieus mit der „Zweistaatlichkeit abgefunden, sich in ihr eingerichtet“ hatten.
Was ist von diesem Geist übriggeblieben?
Die FAZ hingegen trat, so Hoeres, stets „programmatisch für die Wiedervereinigung ein und hielt daran auch in den 1980er Jahren fest“. Er zählte zu den besonders Prägenden vor allem den aus Böhmen vertriebenen Johann Georg Reißmüller, den Dresdner Friedrich Karl Fromme, den Leipziger Fritz Ulrich Fack und den Görlitzer Ernst-Otto Maetzke. Auch Karl Feldmeyer zählte dazu, der später für die JF schreiben sollte.
Scharf griff beispielsweise Maetzke in der FAZ den damaligen CDU-Generalsekretär Heiner Geißler an, als dieser 1988 Abschied vom Ziel der Wiedervereinigung nehmen wollte – heute völlig vergessen! Ob die CDU die Präambel des Grundgesetzes „dann zu einem unanständigen Text erkläre?“ fragte Maetzke höhnisch. Was ist von diesem Geist übriggeblieben, der einmal die „Zeitung für Deutschland“ prägte?
Gerade jetzt, angesichts wachsender politischer Polarisierung und einer schweren nicht nur politischen Krise Deutschlands wäre eine Besinnung auf den Patriotismus, den Freiheitswillen unserer Nation wichtig, um Aufbruchsgeist und Zuversicht zu wecken. Der 9. November 1989 war Triumph der Freiheit über die Diktatur und ein Symbol des selbstverständlichen Willens zur Einheit unserer Nation.
Diesen Willen müssen wir wachhalten. Es lebe die Freiheit!
Herzlichst
Ihr
Dieter Stein