1978 war es schon einmal so weit: Mit üppig ausgestattetem Werbebudget kam „Tod auf dem Nil“ in die Kinos. Den von Agatha Christie ersonnenen verschrobenen Meisterdetektiv verkörperte darin der unvergessene Peter Ustinov (1921-2004), der danach noch in zwei weiteren Spiel- sowie einer Reihe von Fernsehfilmen den Poirot gab und in der cineastischen Wahrnehmung nahezu mit der Romanfigur verschmolz. Kein leichtes Erbe also für den britischen Darsteller und Regisseur Kenneth Branagh, der 1989 mit seiner phänomenalen Shakespeare-Verfilmung „Henry V.“ katapultartig in den Olymp der großen Filmkünstler des jüngeren Kinos aufstieg.
Branagh, gerade für seinen autobiographischen Film „Belfast“ (JF 9/22) mit dem Oscar ausgezeichnet, besinnt sich auf seine Stärken und versucht gar nicht erst, Peter Ustinov nachzuahmen. Sein Poirot ist sensibler, seriöser, skrupulöser. Schon in „Mord im Orient-Express“ (2017) setzte der Brite diesen unerwarteten neuen Akzent, als er seinen Helden in einer Schlüsselszene im Schneetreiben neben dem haltenden Zug einem schwierigen moralischen Dilemma aussetzte und damit zugleich Schauwerte ermöglichte, die die ältere Verfilmung nicht zu bieten hatte. Diesen Ansatz verfolgt Branagh auch in „Tod auf dem Nil“.
Mondäner Nil-Dampfer
Da der Film von 1978 an Feiertagen regelmäßig im deutschen Fernsehen gezeigt wird (Karsamstag um 22.05 Uhr auf RBB) und eine ähnliche Ausstrahlungsfrequenz aufweist wie „Winnetou“ oder „Sissi“, ist es fast müßig, auf den Inhalt zu verweisen: Die Millionenerbin Linnet Ridgeway (Gal Gadot) hat sich zu einer Mésalliance mit dem Tunichtgut Simon Doyle (Armie Hammer) entschieden, worüber ihre Freundin Jacqueline de Bellefort (Emma Mackey) nur mäßig begeistert ist, denn er war ihr Verlobter.
Die Verlassene stellt den beiden daher verbissen nach und weicht dem trauten Paar auch auf dessen Hochzeitsreise zu Ägyptens Touri-Hochburgen nicht von der Seite. Die Verfolgte bittet Meisterdetektiv Hercule Poirot (Kenneth Branagh) um Hilfe: Kann er nicht ein Auge auf sie haben?
Daß auf dem mondänen Nildampfer, mit dem die Reiseziele angesteuert werden, schließlich doch ein Mord geschieht, kann der sonst so wachsame Belgier zwar nicht verhindern; da ihm jedoch dank seiner legendären kleinen grauen Zellen (gemeint sind Gehirnzellen) selbst das allerkleinste Detail nicht entgeht – und wenn doch, dann nur vorübergehend –, ist auch diesmal klar, wie die ganze Sache ausgeht.
Schwer zu übertreffender Klassiker
Nämlich so, wie man es von der berühmten Erfinderin von Miss Marple und ihrem männlichen Pendant Poirot gewohnt ist: In einer finalen Zusammenkunft der Verdächtigen werden noch einmal sämtliche falschen Fährten aufgearbeitet, ehe schließlich der Fall verblüffend anders gelöst ist als von ungeübten Krimi-Guckern erwartet.
Mehr als auf die verzwickte Handlung, die vor allem der Präsentation der Verdächtigenriege vor dem eigentlichen Mord dient, kommt es wie schon vor fünf Jahren im Zug durch Osteuropa auf das Wie an. Branaghs Film übertrifft den Klassiker von 1978 in puncto Opulenz, bringt die exotischen Schauplätze mit moderner Filmästhetik zur Geltung.
Und das ist dann wohl auch der Hauptgrund für alle, die sich noch erinnern können, wer am Ende der Mörder oder die Mörderin war, sich auch diesen visuell üppigen Neuaufguß anzuschauen, der freilich das Niveau an nostalgischem Charme des schwer übertreffbaren Klassikers mit Peter Ustinov nicht erreicht.