Anne Will hatte Glück. Mit dem Zusammenbruch der schwarz-blauen Koalition in Österreich gab es endlich mal wieder ein großes aktuelles politisches Ereignis, das nicht in eine ihrer ausgedehnten Sommer-, Oster- oder Winterpausen gefallen ist. Vielleicht auch deshalb schien ihr die Verzücktheit über das Aus für die ungeliebte rechtskonservative Regierung förmlich ins Gesicht und die Moderationskarten geschrieben zu sein. So war die ARD-Frau einmal mehr eher Mit-Diskutantin als neutrale Talkmasterin.
Immer wieder machte die öffentlich-rechtliche Journalistin deutlich, daß sie es sowieso überhaupt nie verstehen konnte, wie jemand mit Leuten wie Strache und seiner FPÖ überhaupt zusammenarbeiten könne. Auch in ihrer Sendung gab es keinen Vertreter der Freiheitlichen. Die Debatte über den österreichischen Polit-Skandal und darüber, was dieser für die gesamte europäische Rechte bedeutet, mußte ohne jegliche Beteiligung aus Österreich und nur mit einem einzigen „Rechten“ (Jörg Meuthen) auskommen.
Meuthen verweist auf SPD-Medienbeteiligungen
Diesen versuchte Will auch direkt mit dem gefallenen Star der FPÖ in einen Sack zu packen. Die Einstellungen, die Strache in dem heimlich gedrehten Video offenbarte, würden doch wohl stellvertretend für die Haltung aller Rechten in der ganzen EU stehen, glaubte sie zu wissen. Als Beispiel nannte die Moderatorin unter anderem die Verachtung gegenüber den Medien, die man, wie Strache, auf Linie bringen wolle.
Meuthen konterte mit einem Hinweis auf die zahlreichen Medienbeteiligungen der SPD. Eine allgemeine Medienverachtung innerhalb seiner Partei bestritt der AfD-Mann. Ausgenommen die Verachtung gegenüber dem öffentlich-rechtlichen System. Dieses sei „faul bis ins Mark“, so der Oppositionspolitiker.
Überhaupt trat Meuthen für viele, angesichts der Situation sicherlich überraschend, sehr offensiv auf und machte dabei eine äußerst gute Figur. Auch als Verteidiger der FPÖ, die, wie er sagte, die österreichische Schwesterpartei der AfD sei und dies auch bleibe. Die Verfehlungen von Strache und seines Kollegen, Johann Gudenus, seien ein „singulärer Vorgang“, den man nicht auf die ganze Partei übertragen dürfe. Man würde ja schließlich auch nicht die ganze SPD für die Taten von Sebastian Edathy verantwortlich machen.
Böhmermann war kein Thema
Apropos SPD: Bundesjustizministerin Katarina Barley war auch eingeladen. Inhaltlich hatte sie zu der gesamten Diskussion allerdings fast nur eine einzige Aussage beizutragen, die sie immer und immer wieder wiederholte. Die deutschen Sozialdemokraten würden, anders als die CSU, niemals einen Rechtspopulisten wie Viktor Orban bei ihren Parteiveranstaltungen auftreten lassen.
Das brachte Manfred Weber auf den Plan, der den schwarzen Peter ein ums andere Mal routiniert nach rechts weiterschob. Dabei war ihm kein politischer Taschenspieler-Trick zu billig und kein Vorwurf zu absurd. Meuthen wolle nur das „nette Gesicht“ der AfD sein, hinter dem sich längst die NPD und andere Rechtsextremisten verbergen würden; und sämtliche Rechtspopulisten in Europa wären in Wahrheit keine Patrioten, sondern käufliche Verräter, die ihr eigenes Land verschachern würden. Nur zwei der hanebüchenen Thesen des EVP-Spitzenkandidaten. Im EU-Parlament will sich der Niederbayer nach eigener Aussage nicht mit den Stimmen der Rechten wählen lassen.
Über Jan Böhmermann wurde nicht gesprochen. Auch nicht über das „Zentrum für Politische Schönheit“. Obgleich beide schon frühzeitig von dem mutmaßlich illegal entstandenen Video gewußt haben sollen. Aber an der Entstehung des Videos gibt es, wie der Zuschauer in der ARD-Sendung erfahren konnte, eigentlich sowieso rein gar nichts auszusetzen. Zumindest die Gäste bei Anne Will waren sich da, mit Ausnahme von Meuthen, weitgehend einig. Datenschützer sehen das allerdings etwas anders.
Kein reines Gewissen beim Spiegel-Journalisten
Der Debattenpart um die Legitimität der Methoden und den Anbieter des Videos war dann auch der Teil, in dem die anwesende politisch-mediale Klasse am deutlichsten ihre Doppelmoral offenbarte. Solche heimlichen Filmaufnahmen seinen zwar verboten, aber für Journalisten würden eben andere Regeln gelten, meinte ausgerechnet die Justizministerin. Ska Keller von den Grünen, einer Partei in der man sonst auch schon mal Probleme mit der Veröffentlichung von Fotos zu Fahndungszwecken hat, war hier der Meinung: Wenn Journalisten ein Video zugespielt bekämen, in dem eine Straftat begangen oder vorbereitet werde, müßten sie es selbstverständlich veröffentlichen.
Der Leiter des Spiegel-Hauptstadtbüros und Mit-Initiator der Veröffentlichungen, Martin Knobbe, mußte sich bei so viel Rückhalt aus der Politik gar nicht mehr groß selbst verteidigen. Was ihm sehr gelegen gekommen sein dürfte. Knobbe wirkte stellenweise ziemlich nervös und dünnhäutig. Nicht unbedingt wie jemand, der ein völlig reines Gewissen hat. Sollte dieser Eindruck nicht getäuscht haben, könnte er von den Vertretern der etablierten Politik in der gestrigen Runde in Sachen Selbstgerechtigkeit noch jede Menge lernen.