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Buchrezension: Thomas Müntzer – Theologe, Reformator, letztlich auch Revolutionär

Buchrezension: Thomas Müntzer – Theologe, Reformator, letztlich auch Revolutionär

Buchrezension: Thomas Müntzer – Theologe, Reformator, letztlich auch Revolutionär

Auf einem Bild im Stil eines mittelalterlichen Holzschnitts oder Kupferstichs sieht man Thomas Müntzer, der am 13. juli 1524 den Fürsten predigt
Auf einem Bild im Stil eines mittelalterlichen Holzschnitts oder Kupferstichs sieht man Thomas Müntzer, der am 13. juli 1524 den Fürsten predigt
Thomas Müntzer predigt am 13. Juli 1524 den Fürsten, Bild aus dem 19. Jahrhundert. Foto: IMAGO / H. Tschanz-Hofmann
Buchrezension
 

Thomas Müntzer – Theologe, Reformator, letztlich auch Revolutionär

Thomas Müntzer – Mystiker, Rebell, Revolutionär? Hans-Jürgen Goertz legt seine überarbeitete Biographie über den radikalen Gegenspieler Luthers vor. Mit feinem Gespür für theologische Tiefen und politische Sprengkraft rekonstruiert er Leben und Denken eines Mannes, dessen Ideen bis heute fortwirken.
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Ein zeitgenössisches Porträt von Thomas Müntzer ist nicht überliefert. Sein Geburtsjahr ist unbekannt. Der Müntzer-Biograph Hans-Jürgen Goertz hält 1488 oder 1489 für plausibel, unterstreicht aber, daß dies ein Rückschluß aus den wenigen anderen gesicherten Daten der ersten drei Lebensjahrzehnte des Reformators sei. Schmal sei die Quellenlage zu Müntzer, nur eine geringe Zahl von Schriften habe er hinterlassen. Der Historiker gibt sich immer wieder bescheiden-abwägend und betont, daß bei der Rekonstruktion des Lebens viele Stationen nur vermutet werden können, seine Arbeit will er als biographischen „Versuch“ verstanden wissen.

1989 hatte Hans-Jürgen Goertz, bis 2002 Professor für Sozial- und Wirtschaftsgeschichte an der Universität Hamburg, erstmals eine Müntzer-Monographie publiziert. Später wurde sie wesentlich erweitert und liegt nun noch einmal überarbeitet vor. Vor 500 Jahren, am 27. Mai 1525, wurde Müntzer hingerichtet, nach der für die Aufständischen äußerst blutigen Schlacht bei Frankenhausen am 15. Mai, dem Ende des Bauernkrieges in Thüringen.

Durch den Jahrestag fühlte sich offenbar niemand herausgefordert, eine neu erarbeitete Biographie über Müntzer mit wissenschaftlichem Anspruch vorzulegen. Neben dem Buch von Goertz wurde lediglich das Gemeinschaftswerk des Theologen Siegfried Bräuer und des marxistischen Historikers Günter Vogler („Thomas Müntzer. Neu Ordnung machen in der Welt“) 2024 noch einmal aufgelegt. Auch sie beklagen, Müntzer „verweigert sich geradezu einer biographischen Darstellung“.

Theologische Überlegungen führten in den sozialen Kampf

Ist Müntzer wirklich schon „ausgeforscht“? Als „heißeste und ideologischste Phase der Beschäftigung“ mit ihm gilt die Zeit des Kalten Krieges, aber schon in den 1980er Jahren haben sich, so Goertz, die Müntzer-Deutungen in Ost und West einander angenähert.

Polarisierend wirkt er allerdings bis heute. Goertz erklärt, eine Darstellung, die Müntzer gerecht werden solle, müsse sich „vom Zwang befreien, die Prinzipien der Deutung entweder nur in der Auseinandersetzung um soziale Ziele oder nur um die Bewegung des theologischen Gedankens zu suchen“.

Vielmehr haben „die theologischen Überlegungen Müntzers mit innerer Konsequenz in den sozialen Kampf seiner Zeit“ geführt. Und sie prägten die reformatorische sowie die revolutionäre – Goertz sieht Müntzer durchaus als Revolutionär – Bewegung. Zugleich sei er wiederum von der Gedankenwelt der frühen Reformationszeit geformt worden. Goertz ist zudem sehr daran gelegen, „Müntzer als eine Luther gegenüber selbständige reformatorische Kraft zu deuten“.

Auf dem Buchcover der Thomas Müntzer-Biographie von Hans-Jürgen Goertz ist Thomas Müntzer zu sehen
Hans-Jürgen Goertz: Thomas Müntzer. 352 Seiten, C.H.Beck, Jetzt im JF-Buchdienst bestellen

Zunächst war Müntzer ein Anhänger Luthers

Unstet, von häufigen Ortswechseln geprägt, war Müntzers Leben. Schon früh gegen den Klerus aufbegehrend, sah er sich immer wieder veranlaßt, sich ein neues Wirkungsumfeld zu suchen. Geboren in Stolberg am Harz, aufgewachsen in Quedlinburg, hat er in Leipzig und Frankfurt an der Oder studiert. 1513 soll er ein Bündnis gegen den Erzbischof von Magdeburg geschlossen haben, Näheres hierzu ist nicht bekannt.

In der Diözese Halberstadt wurde er zum Priester geweiht, in Braunschweig erhielt er ein Altarlehen. Am Kanonissenstift Frose war er angestellt, vertrat eine Predigerstelle in Jüterbog, hielt sich in Wittenberg auf und nahm 1519 wahrscheinlich an der Leipziger Disputation teil.

Zunächst Anhänger Luthers, der ihn auch empfahl, später war das Verhältnis von heftiger Feindschaft geprägt. In der damals bedeutenden Stadt Zwickau wirkte er als Prediger, in Prag brachte er mit dem „Prager Sendbrief“, auch bekannt als „Prager Manifest“, sein reformatorisches Programm zu Papier.

Aus dem Römerbrief leitete er das Widerstandsrecht ab

1523 wurde er Prediger in Allstedt, hier hielt er am 13. Juli 1524 seine „Fürstenpredigt“, in der er die Obrigkeit für seine Ideen zu gewinnen trachtete, zugleich aber auf deren biblisch gegründete Aufgaben hinwies. „Sollte die Obrigkeit ihre Pflicht verletzen, werde ihr das Schwert genommen werden.“

Das von Müntzer aus Römer 13 abgeleitete Widerstandsrecht gewann immer stärker an Konturen. Müntzer ging nach Mühlhausen, die „Elf Mühlhäuser Artikel“ zur Umgestaltung der städtischen Verhältnisse legte er gemeinsam mit Heinrich Pfeiffer vor. Nach der Ausweisung ging er nach Süddeutschland, zwei weitere Schriften, die „Ausgedrückte Entblößung“ und die „Hochverursachte Schutzrede“ erschienen.

Zurück in Mühlhausen wurde der „Ewige Bund“ neu formiert, als Schutz und Kampfbündnis gegen die Gottlosen. An die Spitze des Frankenhausener Bauernhaufens trat Müntzer erst spät, der große Organisator des Aufstandes sei er, so Goertz, nicht gewesen. Unter der Regenbogenfahne ging die Schlacht kläglich verloren.

Der göttliche Geist war ihm unmittelbar erfahrbar

Entlang der biographischen Stationen Müntzers und anhand seiner Verlautbarungen sowie weiterer Zeugnisse macht Goertz die Entwicklung und Essenz des den Reformator treibenden Denkens plausibel. Um die Wiederherstellung des Reiches Gottes, der ursprünglichen Ordnung, sei es ihm zu tun gewesen, dabei seien die Auserwählten Gottes ausdrücklich zum Handeln gegenüber den Gottlosen aufgefordert gewesen.

Zunächst habe er den Kampf lediglich gegen den Klerus geführt, auch gegen den humanistisch gesinnten, später betrachtete er die Wittenberger Reformatoren ebenfalls als Gegner. „Gottesfurcht“ habe er gegen die zu überwindende „Kreaturenfurcht“ gestellt. Auf die weltliche Obrigkeit habe er lange gesetzt, erst als diese ihm die Unterstützung versagte, habe er im Volk den Träger seiner Ideen gesehen, nun erst erhielten seine Bestrebungen einen umstürzlerisch-revolutionären Charakter.

Institutionen und die Obrigkeit definierte Müntzer nicht von ihrem Wesen her, „sondern von den Relationen her, in denen sie stehen und die sie schaffen“. Die unmittelbare Offenbarung des göttlichen Geistes im Menschen sei ihm Kerngedanke gewesen, die Schrift war für ihn, im Unterschied zu Luther, nachgeordnet.

Was läßt sich aus der Geschichte lernen?

Goertz, für den Müntzer Mystiker, Apokalyptiker und eben auch Revolutionär war, der das statische Zeitverständnis seiner Gegenwart durchbrach, schließt seine Biographie mit einem Kapitel über Müntzer „und die Theologie heute“. In die „ökumenische Diskussion der Gegenwart“ will er Müntzers Theologie einbringen.

Etwa die Erkenntnis Paul Tillichs, der der Meinung war, man könne von Müntzer lernen, daß Gotteserfahrung zugleich Welterfahrung sei und umgekehrt. Die Suche nach aktuellen Anknüpfungspunkten bei Müntzer muß sich allerdings nicht auf den rein religiösen Bereich erstrecken. Zum Verlust der Legitimation der Obrigkeit durch Vernachlässigung ihrer Pflichten hat er sich mehrfach geäußert.

Aus der JF-Ausgabe 14/25. 

Thomas Müntzer predigt am 13. Juli 1524 den Fürsten, Bild aus dem 19. Jahrhundert. Foto: IMAGO / H. Tschanz-Hofmann
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