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Buchrezension: Das Rätsel der Ulrike Meinhof

Buchrezension: Das Rätsel der Ulrike Meinhof

Buchrezension: Das Rätsel der Ulrike Meinhof

Links ist das Fahndungsbild von RAF-Terroristin Ulrike Meinhof zu sehen, daneben das Bekennerschreiben eines RAF-Anschlags aus dem Jahr 1986
Links ist das Fahndungsbild von RAF-Terroristin Ulrike Meinhof zu sehen, daneben das Bekennerschreiben eines RAF-Anschlags aus dem Jahr 1986
RAF-Terroristin Ulrike Meinhof, RAF-Bekennerschreiben / Foto: picture alliance / ASSOCIATED PRESS | HO / picture-alliance/ dpa | Christine Pfund
Buchrezension
 

Das Rätsel der Ulrike Meinhof

Wie wurde eine talentierte linke Journalistin zur radikalen Terroristin? Der Philosoph Rainer Hackel nähert sich in seiner intensiven Auseinandersetzung mit Ulrike Meinhof der Frage, was sie in den Untergrund trieb. Kann das überzeugen?
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„Lieber Herr Hackel, von allen Menschen, die über Ulrike geschrieben haben, hat noch niemand ihr Wesen so gut verstanden wie Sie.“ Wir stellen dieses Zitat aus dem Briefwechsel des Autors mit Ulrike Meinhofs Pflegemutter Renate Riemeck bewußt an den Anfang der Rezension, weil es deutlich macht, mit welcher Intensität und Sensibilität sich Rainer Hackel seit Mitte der 1980er Jahre mit dem Leben und Sterben dieser jungen Frau befaßt hat. „Kennengelernt“ hatte er sie durch seine Freundschaft mit dem Schriftsteller Ernst Herhaus, in dessen Büchern er auf ihren Namen gestoßen war, und der ein völlig anderes Bild von ihr zeichnete als jenes der gewissenlosen Terroristin, das durch die Massenmedien kolportiert wurde.

Er las ihre Kolumnen, die sie für die linksradikale Zeitschrift Konkret geschrieben hatte, ihre „letzten texte“ aus der Haft in Stammheim und Stefan Austs „Der Baader-Meinhof-Komplex“. Es folgten der Briefwechsel mit Renate Riemeck und schließlich ein Besuch bei ihr, die ihre engste Vertraute war.

Viele Fragen taten sich auf: über das Verhältnis der beiden so unterschiedlichen Frauen, die sich dennoch sehr nahe waren, ihre „wenig harmonische“ Beziehung zu Klaus Rainer Röhl, ihrem Ehemann und Konkret-Herausgeber, der von ihrem journalistischen Talent profitierte – Ernst Herhaus hielt sie für die bedeutendste Journalistin nach 1945 –, und natürlich die schwierigste Frage, was sie bewog, in den Untergrund zu gehen.

War Meinhof von Drang zur Selbstzerstörung motiviert?

Tatsächlich war sie zu dieser Zeit seelisch auf einem Tiefpunkt nach der Trennung von ihrem Mann, der auch das Ende ihrer journalistischen Arbeit bedeutete. Gegenüber Herhaus hatte sie geäußert, daß sie im Schreiben keinen Sinn mehr sehe, da es keine Wirkung habe. Er widersprach ihr, nur im Kleinen, in der persönlichen Begegnung könne man etwas verändern. Von der „Beglückung der Massen“ durch eine Revolution hielt er nichts, indes gelang es ihm nicht, sie umzustimmen.

Auf dem Buchcover von "Ulrike Marie Meinhof" ist Urike Meinhof zu sehen
Rainer Hackel: Ulrike Marie Meinhof. 66 Seiten, Engelsdorfer Verlag, Jetzt im JF-Buchdienst bestellen

Den Ausschlag gab wohl das Zusammentreffen mit dem späteren RAF-„Traumpaar“ Andreas Baader, einem Macho-Ganoven, und seiner Freundin Gudrun Ensslin, die aus einem schwäbischen evangelischen Pfarrhaus stammte. Zu Recht fragt sich Hackel, ob ihr Entschluß, sich dem bewaffneten Kampf anzuschließen „nicht in Wahrheit im Willen zur Selbstzerstörung motiviert war?“ Wie konnte eine junge Frau, deren Wesen von Empathie und Mitgefühl für die Schwachen und Wehrlosen gezeichnet war, zur Terroristin werden, die im Gründungspapier der RAF schrieb: „… und natürlich ist der Typ in der Uniform ein Schwein und natürlich kann geschossen werden!“

Meinhof: Die Besatzungsmacht will „die Identität eines Volkes vernichten“

Letztlich ist diese Frage wohl kaum zu beantworten, obwohl Hackel ihr sehr nahe kommt. Ihr Selbstmord durch Erhängen in der Isolationshaft – während Baader und Ensslin, die Ulrike bis zum bitteren Ende auf gemeine und perverse Art und Weise demütigten und erniedrigten und sich in typischer Gangstermanier in ihrer Haft in Stammheim darüber beklagten, nicht genügend Bücher in ihren Zellen zu haben –, beendete ein Leben in Einsamkeit, Trostlosigkeit und Verzweiflung.

Ihre Erkenntnis, daß auch die Bundesrepublik dem „internationalisierten Kapital“ unterworfen war, dessen Herrschaft die Besatzer mit der „rassistischen Behauptung“ einer „spezifischen Charakterstruktur des deutschen Volkes“ rechtfertigen würden, ist indes bemerkenswert. Dies betrachtete sie nämlich als einen „Versuch der Besatzungsmacht, die Identität eines Volkes zu vernichten, das Bewußtsein seiner historischen Existenz auszulöschen“.

Aus der JF-Ausgabe 08/25. 

RAF-Terroristin Ulrike Meinhof, RAF-Bekennerschreiben / Foto: picture alliance / ASSOCIATED PRESS | HO / picture-alliance/ dpa | Christine Pfund
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