Aus den täglichen Nachrichten läßt sich selbst achtzig Jahre nach dem Zweiten Weltkrieg noch entnehmen, wie sehr sich Gerichte im In- und Ausland mit der Ermittlung und Aburteilung angeblicher deutscher Kriegsverbrechen beschäftigen. Die juristischen Maßstäbe scheinen dabei gelegentlich neue und radikalere zu sein. Vor allem aber werden sie wie von Zauberhand so gut wie nur gegen deutsche Angeklagte und damalige Kriegshandlungen angelegt. Die Autoren Klaus Hammel und Rainer Thesen gehen der Frage nach, ob dieser Eindruck gerechtfertigt ist und prüfen dies im Detail. Hammel als Offizier und Thesen als Jurist bilden dabei ein Duo, das sich sehr gut ergänzt.
Klaus Hammel holt in einem einführenden Kapitel über die „Entstehung des Rechts im Kriege“ recht weit aus, bis in die Anfänge des Krieges von Staaten und organisierten Stammesverbänden hinein. So wie der Krieg eine anthropologische Konstante ist, so ist auch das Rechtsempfinden eine ebensolche Konstante. Daher sind denn die überlieferten Kriege der Menschheit immer wieder von der Frage begleitet worden, welche Kriegspartei im Recht gewesen sei.
Dies wurde ergänzt durch die Beurteilung von Verbrechen, die innerhalb des Krieges begangen wurden, theoretisch unabhängig von der Frage, ob der Verbrecher nun der Partei angehörte, die allgemein „im Recht“ war, oder nicht. Als Eingangsbefund läßt sich feststellen: Es hat der Mensch grundsätzlich ein Rechtsempfinden, aber kein universelles. „Zweierlei Recht“ ist auch historisch kein seltenes Phänomen.
Die Wurzeln des Völkerrechts im Dreißigjährigen Krieg
Hammel stellt im weiteren fest, daß solche rechtlichen Überlegungen jederzeit vor allem unter „Gleichgestellten“ stattfanden, also für Mitglieder des gleichen Kulturkreises galten, oder besser noch, des adäquaten Standes. Gegenüber „Barbaren“, und das konnten im Auge des Betrachters immer die jeweils Nichtzugehörigen zu diesen Kreisen sein, galten weniger Skrupel. Für nicht standesgemäße Gegner etwa während der mittelalterlichen Bauernaufstände kamen sie ebenfalls nicht vor. Der Adel fühlte sich nicht an Versprechen oder Verträge mit niederen Ständen gebunden.
Im Desaster des Dreißigjährigen Krieges in Mitteleuropa verwickelten sich die staatlichen Interessen, die Konfessionen, die Nationalitäten und die Standesinteressen dann zu einem jahrzehntelang unentwirrbaren Knäuel. In Europa entwickelte sich deshalb das Bewußtsein, es könne so nicht weitergehen, das schließlich zur Grundlage des Westfälischen Friedens 1648 wurde. Damit war das moderne Völkerrecht geboren, als europäisches Völkerrecht, um genau zu sein. Es kommt dem Rezensenten dabei der peinliche Vorgang in den Sinn, als die deutsche Außenministerin jüngst bei einer Veranstaltung im Unterzeichnungssaal des Westfälischen Friedens in Münster bei einer Veranstaltung das dortige Kreuz abhängen ließ, um den Nichteuropäern und Nichtchristen zu gefallen.
Was damals Recht war, gilt heute als Kriegsverbrechen
Rainer Thesen leitet seinen Teil der Ausführungen mit zwei Abschnitten zum „Recht im Krieg“ und dem „Prozeß der Rechtsfindung“ ein. Was das damalige Recht im Krieg im Vergleich zu heutigen Rechtsnormen angeht, stellt er dabei eine erhebliche Differenz fest: „‘Was damals Recht war’ ist nach heutigem Recht (und Rechtsempfinden) natürlich häufig Unrecht, nicht selten sogar schweres Verbrechen.“ Dies gelte zum Beispiel für das Recht auf Geiselerschießungen und Repressalien durch die Besatzungsmacht, bei der ein Recht auf Tötung im Verhältnis von zehn zu eins auch von italienischen Gerichten in der Nachkriegszeit noch als rechtlich zulässig anerkannt wurde.
Thesen widmet sich danach vor allem dem Krieg in Italien ab 1943 bis 1945 und der dabei existierenden Rechtslage. Diese Lage wurde besonders komplex, da es nach dem Sturz der Regierung Mussolini und dem sprunghaften Seitenwechsel Italiens vom deutschen Verbündeten zum plötzlichen Kriegsgegner nicht nur Kämpfe zwischen regulären Truppen gab. Ex-Diktator Mussolini betrieb von Norditalien aus fortan eine eigene italienische Regierung mit eigenen Truppen, während sich in ganz Italien rege Partisanentätigkeit kommunistischer Prägung entfaltete. Es verliefen also nicht nur Weltkriegs-, sondern auch Bürgerkriegsfronten kreuz und quer durch die italienische Halbinsel.
In dieser Lage gerieten deutsche Einheiten in Italien immer wieder auch unter Querfeuer und in Hinterhalte. Ihre durch Beschuß und Repressalien gegebene Antwort wird bis heute immer wieder in Prozessen aufgearbeitet. Für die Taten der Alliierten gilt dies nicht, oder bei weitem nicht in demselben Ausmaß. So bleibt am Ende das Fazit der Autoren kaum bezweifelbar: Es gab und gibt zweierlei Recht und zweierlei Urteil.