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Philosophie: 300 Jahre Immanuel Kant – Revolution ohne Blut, nur mit Gedanken

Philosophie: 300 Jahre Immanuel Kant – Revolution ohne Blut, nur mit Gedanken

Philosophie: 300 Jahre Immanuel Kant – Revolution ohne Blut, nur mit Gedanken

Das Bild zeigt eine Figur des deutschen Philosophen Immanuel Kant in der nachgebauten Wallenrodt-Bibliothek im Königsberger Dom.
Das Bild zeigt eine Figur des deutschen Philosophen Immanuel Kant in der nachgebauten Wallenrodt-Bibliothek im Königsberger Dom.
Eine Kant-Figur im Königsberger Dom: Der 300. Geburtstag des Philosophen wird in der Kulturbranche freudig erwartet Foto: picture alliance / dpa | Vladimir Smirnov
Philosophie
 

300 Jahre Immanuel Kant – Revolution ohne Blut, nur mit Gedanken

Zum 300. Geburtstag Immanuel Kants überschlägt sich die Literaturszene. Ob fetter Wälzer für Kenner oder leicht verständlicher Comic für Einsteiger – wer sich mit der Geistesgröße beschäftigen will, kommt auf seine Kosten. Die JUNGE FREIHEIT stellt einige Werke vor.
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Weltweit erscheinen jährlich zwischen 700 und 1.000 wissenschaftliche Publikationen über den Philosophen Immanuel Kant. Angesichts einer solchen, für keinen Spezialisten mehr überschaubaren Literaturflut verwundert es nicht, wenn zum 300. Geburtstag des Königsberger „Alleszermalmers“ (Moses Mendelssohn) am 22. April überraschende, originelle Neuvermessungen des Kontinents Kants ausgeblieben sind und stattdessen auf dem Gabentisch des Jubilars didaktisch ambitionierte „Einführungen“ in Leben und Werk ins Auge stechen. 

An Fortgeschrittene wendet sich die bereits im Herbst 2023 veröffentlichte und allseits zu Recht gepriesene Monographie Marcus Willascheks (Frankfurt/Main). Der international führende Kant-Experte, Mitherausgeber des dreibändigen „Kant-Lexikons“ (2015), handelt darin alle Themenfelder der theoretischen und praktischen Philosophie souverän ab und läßt hinter dem Œuvre, das von nicht weniger als einer unblutigen „Revolution des Denkens“ kopernikanischen Formats zeugt, die Biographie und ihren historischen Entstehungskontext zurücktreten, um sich zuletzt etwas düster über die optimistischen Fortschrittsperspektiven zu äußern, die es einst im Jahrhundert der Aufklärung eröffnet hat. 

Stärker verklammert Manfred Kühns inzwischen als Standardwerk geltende Biographie Kants Philosophie mit dem ostpreußischen Boden, dem sie entwuchs. Dabei wahrt der in den USA lehrende Philosophiehistoriker das Gleichgewicht zwischen der eingängigen Darstellung der akribisch rekonstruierten Lebenswelt des akademischen Lehrers und des geselligen Bürgers einerseits, den so intensiven wie kritischen Referaten der Epoche machenden Schriften andererseits. Solche Vorzüge mögen diese zum 200. Todestag 2004 in deutscher Übersetzung vorgelegte Biographie, die damals binnen kurzem fünf Auflagen erreichte, jetzt für eine Sonderausgabe empfohlen haben.

„Kant leicht gemacht“ eignet sich hervorragend für Einsteiger

Auch Volker Gerhardt (HU Berlin) nutzt den runden Geburtstag des Denkers, um seinen erstmals 2002 an ein Publikum von fortgeschrittenen Kant-Lesern adressierten Reclam-Band zu „Vernunft und Leben“ des „Weltweisen“ erneut zu präsentieren.

Im Unterschied zu Kühn nimmt der Berliner Emeritus allerdings einige Ergänzungen zu den moral-, geschichts- und kulturphilosophisch relevanten Teilen des Werkes vor, um auf die jüngsten Kontroversen über Kants „Rassismus“ und sein „antiemanzipatorisches Frauenbild“ einzugehen. Und den nüchternen Befund zu liefern, daß Kant weiterhin als einer der ersten Befürworter der Demokratie im deutschen Sprachraum, als einer „der ersten namhaften deutschen Philosophen, der Frauen und Männer als prinzipiell gleichberechtigt ansieht“, sowie als Kritiker der Sklaverei und des Kolonialismus zu würdigen sei, den man „einen Rassisten gewiß nicht nennen kann“.

Verglichen mit der Opulenz von Willaschek, Kühn und Gerhardt fallen die Taschenbücher des Literaturwissenschaftlers Jürgen Wertheimer (Tübingen) und der Willaschek-Schülerin Claudia Blöser (Augsburg) in die Rubrik „Kant leicht gemacht“. Was nicht heißt: simplifiziert, sondern verspricht, daß es hier dem Leser ergehen könnte, wie einst der Abiturientin Blöser, die nach der Lektüre eines Büchleins „Kant für Anfänger“ beschloß, sich der „Faszination für das gründliche Durchdenken der Welt“ hinzugeben (siehe auch „Frisch gepreßt“).

Verständlicher Erklärungen für komplexe Gedanken

Mit großem didaktischem Geschick helfen beide Autoren, die Furcht vor Kants mit abschreckender Begrifflichkeit und in endlosen Satzlabyrinthen entfalteter Philosophie zu nehmen. Was Erfahrungs- und Vernunfterkenntnis ist, was es mit den Begriffspaaren apriori/aposteriori, analytisch/synthetisch auf sich hat, wie die Anschauungsformen Raum und Zeit und die Verstandeskategorien Qualität, Quantität, Kausalität und Modalität unsere Wahrnehmung der Welt strukturieren, als hätten wir eine Brille auf, die jede Realität grün einfärbt; was unter dem kategorischen Imperativ und dem moralischen Gesetz zu verstehen ist, darüber informieren Blöser und Wertheimer konkurrenzlos eingängig und klar.

Wer hingegen einen Zugang zu Kant wünscht, der gänzlich barrierefrei ist, greife zur Graphic Novel des Buchkünstlers Jörg Hülsmann. Auf den in sanften Tönen, in Blau, Grün, Beige gehaltenen, mit „Merkzetteln“ zu philosophischen Kernsätzen versehenen Seiten vermittelt Hülsmann heimatliches Lokalkolorit, folgt Kants Spaziergängen in der 1945 untergegangenen „Stadt der reinen Vernunft“, bildet tägliche Routinen ab, mit der Tischgesellschaft im Mittelpunkt, malt hingebungsvoll die idyllische, aber keineswegs weltfremde Häuslichkeit des notorischen Junggesellen aus. Nur in einem Punkt erlaubt sich der topographisch sonst gut orientierte Illustrator einen anachronistischen Patzer: Als Kants Wirkungsstätte bildet er nicht das verwunschene Universitätsgebäude auf der Kneip-hof-Insel nahe am Dom ab, sondern den erst 1861 errichteten Neubau am Paradeplatz.

Jörg Hülsmann Kant –Vom Aufbruch der Gedanken Jetzt im JF-Buchdienst bestellen
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Staatsphilosoph verteidigt den Rundfunk

Hält sich die Literatur für Anfänger und Fortgeschrittene zumeist bedeckt, wenn es sich darum dreht, die Frage nach „Aktualität“ des Aufklärers Kant zu stellen, zündet das Februarheft „300 Jahre Kant“ der Zeitschrift Zeit Geschichte (1/2024) dazu ein wahres Feuerwerk. Mit knalligen Thesen wie „Putin will sich das Erbe des Philosophen einverleiben“, oder mit dem Mantra über „esoterische Querdenker“, mit denen die abergläubische Vernunftfeindschaft des Mittelalters zurückkehre, die die Disposition zu „rechtsextremen Einstellungen“ fördere.

Querdenker in „obskuren Internetkanälen und sozialen Medien“, so dekretiert auch Marcus Willaschek in seinem an den „Mut zur Mündigkeit“ appellierenden Beitrag, brächten diesen Mut zwar auf, scheiterten aber regelmäßig daran, weil sie sich ihres Verstandes nicht ohne Leitung eines anderen bedienen könnten. Dieser „Andere“ ist für den pensionsberechtigten Philosophiebeamten offenbar der von „politischen und kommerziellen Interessen, von Vorurteilen und Ideologien“ angeblich „freie“ öffentlich-rechtliche Staatsfunk. 

Kants Universalismus der Menschenrechte ist heute bedroht

Einen mit der Querdenker-Bewegung vergleichbaren Popanz der Gegenaufklärung baut hier auch die Philosophiehistorikerin Andrea Marlen Esser (Jena) auf. Für sie, die seit 2022 ein von der Deutschen Forschungsgemeinschaft üppig alimentiertes Projekt zum „Rassismus, Sexismus und Antijudaismus“ in den Werken der an Kant anschließenden Jenaer Meisterdenker Fichte, Schelling und Hegel leitet, ist es deren unheilvolles gewordenes Erbe, über das aufzuklären heute die „entscheidende Herausforderung“ einer kantisch inspirierten Philosophie wäre.

Esser hat soeben im Interview mit der Jüdischen Allgemeinen (Ausgabe vom 7. April 2024) bekräftigt, daß „wir“, die deutsche Kultur, immer noch „Teil der antisemitischen Tradition“ seien. Den rosa Elefanten im Raum, den eingewanderten muslimischen Antisemitismus, übersieht die ebenfalls eigentümlich denkfaule „Aufklärerin“ Esser genauso wie Elisa Primavera-Lévy, die im Philosophie Magazin (3/2024) den auf Kant zurückgehenden Universalismus der Menschenrechte am meisten durch hiesige „erstarkende rechte Bewegungen“ bedroht sieht. Und nicht etwa durch jenen sich in den westeuropäischen Einwanderungsgesellschaften rasant ausbreitenden totalitären, kollektivistischen Islam, der in seiner 2020 erneuerten „Kairoer Erklärung“ (1990) individuelle Menschenrechte unter den Vorbehalt ihrer Vereinbarkeit mit der steinzeitlichen Scharia stellt und damit ihre Gültigkeit allein auf die westliche Zivilisation begrenzt.

JF 17/24

Eine Kant-Figur im Königsberger Dom: Der 300. Geburtstag des Philosophen wird in der Kulturbranche freudig erwartet Foto: picture alliance / dpa | Vladimir Smirnov
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