Daß Geschlechter- als wichtiger Teil von Identitätspolitik ganz oben auf der staatlichen Agenda steht, ist in westlichen Ländern nicht neu. Das Abstammungsprinzip und zentrale Auffassungen von menschlicher Natur werden im Elitediskurs öftersnegiert. Der Macht des persönlichen Willens ist demnach als letzte Konsequenz des postmodernen Individualismus alles unterzuordnen.
In den letzten Jahren sind Verschiebungen auf der Prioritätenliste der LGBTQ-Agenda unübersehbar. Dem fluiden, nonbinären Charakter von Geschlechtlichkeit kommt eine wachsende Bedeutung zu. Dieser Trend erfreut nicht alle Mitglieder der Emanzipationsfamilie. Alice Schwarzer fällt es schwer, Frauen einfach zu „Trans*Innen“ (Eva Engelken) zu erklären. Umgehend mutierte die bundesdeutsche Oberfeministin zur TERF (Trans-ausschließender Radikalfeminismus), zur misogynen Unperson, die aus einleuchtenden Gründen den Hype um die Geschlechterkonversion ablehnt.
Schließlich sinkt die weiße hetero- wie homosexuelle Frau in der Opferhierarchie, wenn andere diskriminierte Gruppen die vorderen Plätze besetzen und entsprechende Privilegien für sich reklamieren. Zudem ist es aus feministischer Sicht kaum zu begrüßen, wenn von rund zehn Transpersonen neun vom weiblichen zum männlichen Geschlecht wechseln.
Transgender: Leben im falschen Körper?
Von einer anderen Warte aus nähert sich Abigail Shrier dem Transgenderwahn. Sie gibt den zahllosen Opfern einen Namen. Auch hierzulande wird die Debatte über die dunklen Seiten des Geschlechtswechsels intensiver. Das Selbstbestimmungsgesetz der Ampel, das demnächst verabschiedet werden wird, stellt begreiflicherweise nur die positiven Aspekte heraus.
Unlängst rief ein Interview des österreichischen Senders AUF1 mit der Autorin Sophie Griebel große Resonanz hervor. Sie wurde als Kind und Jugendliche wiederholt Opfer sexuellen Mißbrauchs in der Familie. Daher der Wunsch nach Geschlechtsumwandlung. Acht Jahre später teilte Griebel einem schockierten Publikum mit, sie könne ihr „Leben mit einem verstümmelten Körper“ kaum noch ertragen. Shrier führt in vielen Gesprächen, die in ihrer Schrift nachzulesen sind, vergleichbare Beispiele an. Sie bestreitet nicht, daß es tatsächlich Fälle von biologischer Geschlechtsdysphorie gibt.
Die Betroffenen leben in einem anderen Körper als dem, der von außen identifiziert wird. Wer Hilfe im Einzelfall befürwortet, muß noch lange nicht die politische Agenda im Hintergrund für gut befinden, die längst nicht nur im „Pride Month“ viele nervt, einschließlich unsäglicher Dragqueen-Lesungen für Kleinkinder. Als der global mächtigste Unterstützer der Regenbogen-Ideologie hat sich auch in diesem Jahr US-Präsident Joe Biden hervorgetan.
Pubertätsblocker im Vormarsch
Vor diesem Hintergrund ist es nicht überraschend, daß Shrier den omnipräsenten Kult in erster Linie als medial-kulturell begründet ansieht. In schwierigen Lebensphasen neigen Jugendliche und junge Erwachsene gern dazu, nach kurzfristiger Abhilfe Ausschau zu halten. Dazu zählen Maßnahmen auf dem weiten Feld von Anorexie (Magersucht), Bulimie, Ritzen, Androhung von Suizid und anderen verbreiteten Mitteln.
Als gravierend wird die Einnahme von Pubertätsblockern herausgestrichen, die viele Betroffene für lange Zeit, manchmal sogar lebenslänglich zu Kunden der Pharmaindustrie macht. Die Schäden sind häufig irreversibel. Mitschuldig sind für Shrier in vielen Fällen Eltern und Therapeuten. Sie unterstützen oft allzu willig das Ansinnen der Halbwüchsigen. Kritische Kommentare werden auch aus Furcht vor öffentlicher Ablehnung unterlassen. Allen Ernstes argumentieren manche Propagandisten, Umwandlungswillige müßten unterstützt werden, um deren Autonomie zu respektieren. Nachteile seien nicht auszumachen. Doch der allgemeine Trend zur Affirmation derartiger Eingriffe entläßt Eltern und Therapeuten keineswegs aus der Verantwortung.
Klartext gegen genderpolitische Korrektheit
Nicht nur in den USA hört man von einer wachsenden Zahl von Detransitioners. Einige Jahre nach der Geschlechtsumwandlung bereut ein nicht geringer Teil den Entschluß. Manche Betroffene wählen sogar den Weg juristischer Auseinandersetzung wegen nicht ausreichender oder gar falscher Beratung. Jene werden angeklagt, die sich gern als Fachleute auf diesem Gebiet wähnen, letztlich aber nur den Zeitgeist exekutieren. Gerade auf diesem Feld hat sich eine eifrige genderpolitische Korrektheit herausgebildet hat, die nachhaltigen Druck auf Andersdenkende ausübt. Die Furcht, zu einer Minderheit zu gehören und ausgegrenzt zu werden, ist wohl der Hauptgrund, warum fast ausschließlich zustimmende Literatur zu dieser Problematik vorliegt.
Um so erfreulicher ist es, wenn Shrier Klartext spricht. Am Schluß ihrer Erörterungen stellt sie die Frage, was Eltern für ihre Töchter tun können, um Prävention zu betreiben. Ob es realistisch ist zu fordern, kein Smartphone für den Nachwuchs zu kaufen, sei dahingestellt. Sicherlich ist aber richtig, elterliche Autorität stärker in den Vordergrund zu stellen, die Genderideologie zu hinterfragen, das Mädchensein nicht zu pathologisieren, sondern im Gegenteil seine Vorzüge hervorzuheben. Es bleibt zu hoffen, daß auch hierzulande Publizisten mutig genug sind, Interviews über die Trans-Agenda und ihre Schattenseiten in Deutschland zu führen. Jedes Land weist auch in dieser Hinsicht eigene Akzente auf.