„Menschenrechte ade“, „Demokratie muß immer wieder neu verteidigt werden“, „Linke setzen Fokus auf soziale Gerechtigkeit“, „Wegner ruft zum CSD Berlin zu Solidarität auf“ – das sind einige Schlagzeilen der vergangenen Tage. Was sie vereint: Sie enthalten typische politische Schlagworte wie „Demokratie“, „Solidarität“ oder „soziale Gerechtigkeit“. Und Sprache ist Macht. Denn Begriffe haben einen Einfluß auf unsere Denkfähigkeit. Mit Sprache lassen sich Meinungen steuern. Wie die Propaganda, die schon der Roman „1984“ von George Orwell beschreibt.
In der Politik ist besonders die Kunst der Rhetorik richtungsweisend für den Erfolg oder Mißerfolg einzelner Politiker oder politischer Strömungen. Wie Sprache und Begriffe das Denken prägen, hängt dabei entscheidend davon ab, wie man sie definiert und was man unter Ausdrücken wie „Freiheit“, „Minderheitenschutz“ oder „Diskriminierung“ versteht. Das ist der Kern von Propaganda: die öffentliche Meinung zu beeinflussen und bestimmte politische, soziale oder ideologische Ziele zu fördern.
Mit seinem neuen Buch „64 irreführende Politikbegriffe. Wie Sie trotz Nebelpetarden den Durchblick behalten“ will der Direktor des Liberalen Instituts in der Schweiz, Olivier Kessler, bei diesen häufig gehörten Begriffen Klarheit schaffen. Politiker manipulierten besonders durch die Sprache, ist er überzeugt: „Der Verlauf wegweisender politischer Debatten wird heute oftmals durch geschickte sprachliche Tricks entscheidend beeinflußt.“ So würden die Akteure ihre eigentlichen Interessen verschleiern und das Publikum irreführen. Von Propaganda spricht Kessler selbst nicht, sondern von ideologischen Tricksern und Manipulatoren.
Angenehm lesefreundlich
Und so findet der Leser in Kesslers Buch eine reichhaltige Fundgrube an einordnenden Gedanken zu politisch häufig gedroschenen Phrasen wie Freiheit, Demokratie, soziale Gerechtigkeit, Linke gegen Rechte, Chancengleichheit, Solidarität, Armut und vielen weiteren. Es hilft, politische Propaganda zu durchschauen. Der Autor teilt sein Buch dabei lesefreundlich in 64 nur wenige Seiten lange Kurzartikel auf, eingeteilt in 16 Kapiteln zu den verschiedensten Themengebieten.
Durch den Lexikonstil und eine angenehm einfache Sprache läßt sich Kesslers Buch flockig lesen. Jeder Artikel ist unabhängig von den anderen. So mag der Leser aufschlagen und lesen, was ihn gerade interessiert. Der Liberale erklärt im Vorwort seine Absicht: Seine Schrift solle „als griffbereites Nachschlagewerk für liberale Streiter im öffentlichen Diskurs dienen“ und ebenso die Neugier des Lesers an der klassischen liberalen Wirtschaftswissenschaft wecken.
Solidarität, die nicht echt ist
So entlarvt Kessler auch das Gerede von „Solidarität“: Statt freiwillig Hilfe am Nächsten zu leisten, sei Solidarität inzwischen eine politisch verordnete „Hilfe am Nächsten“; und „der Umverteilungsstaat wird dabei von den gleichen Kräften als Garant für die ‘Solidarität’ aufgebauscht“. Dabei ignorierten die Verfechter der staatlich verordneten Hilfe, daß damit die wahre, persönliche und ehrlich gemeinte Unterstützung anderer der unpersönlichen, bürokratischen Staatshilfe weicht.
„Die erzwungene und daher unechte ‘Solidarität’ des Wohlfahrtsstaates führt tendentiell – als ungewollter Nebeneffekt – zur Auflösung des natürlichen Mitgefühls gegenüber anderen Menschen.“ Der Grund: Laut Kessler wird die Verantwortung für andere auf den Staat übertragen („Outsourcing“) – und der Staat handelt nicht aufgrund von Barmherzigkeit und Nächstenliebe, sondern auf der Basis von Gesetzen und Paragraphen. „Folglich verschwindet das Element der zwischenmenschlichen Wärme aus einer vom Wohlfahrtsstaat geprägten Anspruchs-Gesellschaft.“ Ja, Kesslers Gedanken können durchaus provokant wirken. Aber sie sind es wert, sie zu durchdenken.
Alte Denkschablonen erstaunlich frisch neu durchdenken
Zugleich überrascht der Direktor des Liberalen Instituts in der Schweiz auch mit seinen Erklärungen zu einigen Begriffen. Zum Beispiel zur „Anarchie“. Diese Idee stehe mitnichten für Gesetzlosigkeit oder Chaos, wie man sie oft mißverstehe, führt Kessler aus, sondern für „Herrschaftslosigkeit“. Und „ohne Herrschaft ist nicht dasselbe wie ohne Regeln oder ohne Gesetze“.
Ähnlich den klassischen Liberalen und den Anarchokapitalisten, die der Staatsgewalt sehr skeptisch gegenüberstehen und einen „Minimalstaat“ fordern, sehen laut Kessler Anarchisten im staatlichen Gewaltmonopol „eine kriminelle Organisation, die andere Menschen herumkommandiert, sie ausraubt, versklavt und notfalls auch ermordet“. Für den Liberalen ist der Ruf des Anarchismus deswegen „viel zu schlecht“, denn sie wiesen zu Recht auf das zerstörerische, gewalttätige Potential des Staates hin.
Propaganda entlarvt: Nicht jeder Arme ist auch arm
Einer der interessantesten Kurzaufsätze in „64 irreführende Politikbegriffe“ ist vielleicht der zur „Armut“, mit dem er gegen den Umverteilungsstaat argumentiert. Kessler erklärt genau, wie die häufige Rede von Armut in Deutschland eigentlich die relative Armut meint und nicht die absolute Armut. Relative Armut habe mit absoluter Armut jedoch nichts gemein. Um es in einem Beispiel zu erklären: Ein relativ armes Kind in Deutschland besitzt im Gegensatz zu seinen wohlhabenderen Mitschülern vielleicht einfach nur kein eigenes Fahrrad; aber ein absolut armes Kind in Indien bekommt im Vergleich zu den wohlhabenderen Kindern dort täglich nur eine kleine Mahlzeit. Absolute Armut betrifft das Überleben.
Kessler argumentiert: „Bei dem ständigen Gerede über ‚Armut‘ geht es in Wahrheit lediglich um eine Kritik an der materiellen Ungleichheit.“ Der Wohlstand sei jedoch nicht naturgegeben, sondern hart erarbeitet. Es könne nicht die Aufgabe der Politik sein, den Wohlstand einfach „gerecht“ zu verteilen. Im Gegenteil erklärt der liberale Denker provokant: „Ein interventionistischer Regulierungs- und Umverteilungsstaat bekämpft die Armut nicht. Er fördert sie.“ Und er behauptet das nicht nur, sondern begründet seine Aussage auch kurz anhand konkreter Zahlen und Statistiken.
Kesslers Werk ähnelt inhaltlich Holger Schmitts ebenso empfehlenswertem Buch „Das Framing der Linken. Von ‚Umverteilung‘, ‚Diversität‘ und ‚Nazis‘“ (Gerhard Hess Verlag, 2021). Der Sprachwissenschaftler Schmitt analysiert darin umfangreiche Textsammlungen und kann zeigen, wie linke Propaganda – teilweise durch „linke Kampfbegriffe“ – seit etlichen Jahren den medialen und öffentlichen Diskurs dominiert. Kesslers Buch tritt in diese Fußstapfen. Beide Bücher seien allen empfohlen, die gegen einseitige manipulative Propaganda im politischen Dschungel „den Durchblick behalten“ wollen.