Alles paßt und paßt doch nicht – so hätten sich die jüngsten Nachrichten um den französischen Großschriftsteller Michel Houellebecq („Unterwerfung“) zusammenfassen lassen können. Nachdem im Februar ein Filmtrailer aufgetaucht war, laut dem sich der berühmte Autor von dem niederländischen Filmregisseur Stefan Ruitenbeek beim Verkehr mit Groupies filmen ließ, herrschte im Kulturbetrieb wieder einmal das Rätselraten.
Passend, weil die Figuren in Houellebecqs Romanen häufig verzweifelt nach Nähe streben und doch nur die Körper anderer Menschen finden. Weil der Autor in dieser Hinsicht meist genauso erotomanisch wirkte wie seine Figuren und seine Geschichten reichlich mit Escortdamen, Fachsimpeleien über Fellatio und zahlreichen expliziten Szenen versah.
Und es paßte doch nicht, weil jene Passagen in Houellebecqs Romanen eigentlich nie pornographisch waren. Auch wenn man es ihnen oft vorhielt. Es waren brillant geschriebene Szenen voller schlechtem, bindungs- und gefühllosem Sex, deren Zweck es war, genau diese Bindungslosigkeit zu kritisieren.
Vom „Kakerlak“ hereingelegt
Und nun sollte Houellebecq selbst zum Darsteller pornographischer Szenen geworden sein, gar Akteur eines „flotten Dreiers“ mitsamt Ehefrau und niederländischem Groupie. Naja. Es paßte auch wieder. War da nicht schon immer der augenzwinkernde Subtext, daß Autor und Hauptfigur mehr oder weniger identisch seien? Der Dekadenzkritiker zugleich auch Musterschüler seiner Zeit?
Nun will der Autor selbst Aufklärung schaffen. „Einige Monate in meinem Leben“ heißt das neue Werk Houellebecqs, und es ist zum ersten Mal kein Roman und auch keine Essaysammlung, sondern eine autobiographische Skizze über die Monate vom Oktober 2022 bis zum März 2023. Hereingelegt habe man ihn, das macht der Autor gleich zu Beginn deutlich. Ruitenbeek, den Houellebecq durchgehend nur den „Kakerlak“ nennt, habe ihn mit Geschichten über einen angeblichen Spielfilm im Lovecraft-Universum gelockt. Und mit einem angeblichen niederländischen Literaturgroupie, welches Houellebecq offenbar in der Tat vor laufender Kamera, nun ja, begattete.
Dabei ist das Verhältnis des Autors zur Pornographie eigentlich mehr als zwiegespalten. „Als Angehöriger einer früheren Generation habe ich die echte Sexualität kennengelernt, ehe ich mit irgendwelchen pornographischen Aufnahmen in Kontakt kam. Meinen ersten Pornofilm habe ich mit zwanzig Jahren gesehen, und ich reagierte mit völliger Entrüstung darauf.“
Die pornographischen Aufnahmen waren nie zur Veröffentlichung bestimmt
Die Versöhnung mit der schmutzigen Gegenwart habe ihm erst der Kontakt mit der sogenannten Amateurpornographie gebracht. „Dort gab es mitunter Schönheit. Es gab fast immer Orgasmen – nicht simuliert, sondern authentisch. Es gab sogar – selten, gewiß, aber deutlich öfter, als ich mir hätte vorstellen können – Liebe und Zuwendung.“
Daß nun ausgerechnet „die einzige Aufzeichnung, die von meinem Geschlechtsleben bliebe, dem lebendigsten Teil meines Lebens, ein mittelmäßiger Koitus (…) sein sollte, gefilmt von einem degenerierten Kakerlak“, sei ihm „ein quälender Gedanke“. Zur Veröffentlichung seien derartige Aufnahmen jedenfalls nie bestimmt gewesen.
Seine andere große Auseinandersetzung liefert sich Houllebecq mit Chems-eddine Hafiz, dem Leiter der Großen Moschee von Paris. Der hatte den Starautor im vergangenen Jahr wegen Aufstachelung zum Rassenhaß angezeigt. Grund dafür war ein Gespräch, daß Houellebecq mit dem französischen Publizisten Michel Onfray in dessen Zeitschrift Front Populaire führte und in dessen Verlauf die durchaus einleuchtende These vertrat, bei der Integrationsdebatte gehe es nicht eigentlich in erster Linie um Integration.
„Falsch und dumm“
„Ich glaube, die ¬– wie man so sagt – „angestammten“ Franzosen wünschen sich überhaupt nicht, daß die Muslime sich assimilieren, sondern daß sie schlicht aufhören, sie zu bestehlen und sich ihnen gegenüber aggressiv zu verhalten, daß sie letztlich die Gesetze und die französische Bevölkerung achten.“
Als „falsch und dumm“ bezeichnet der Autor seine Äußerung nachträglich. Das Problem sei eben „nicht der Islam“, sondern „die Kriminalität“, das Durcheinanderwerfen beider Dinge sei kränkend. Anders als im Fall Ruitenbeek zeigt sich Houllebecq hier wenig angriffslustig und steuert eine längere Richtigstellung bei. Hafiz hatte die Anzeige zuvor bereits zurückgezogen.
Ein ehrliches, empathisches Verzweifeln
Ansonsten sinniert Houellebecq über das philosophisch Böse in Gestalt des „Kakerlak“, über die Rafinesse der Anwaltsthriller John Grishams, seine Vorliebe für französische Nachrichtensender und seinen Kampf gegen die Euthanasie. Letzterer ist, der 67jährige Schriftsteller hatte es auch in jüngsten Interviews deutlich gemacht, mittlerweile der Hügel, auf dem Houellebecq zu sterben gewillt ist. „Ich hatte meine moralischen Prioritäten festgelegt; meine Wahl war getroffen.“
Wieso es Vergnügen macht, das alles zu lesen? Weil Houellebecq noch immer Houellebecq ist. Weil ein feiner, spöttischer Humor diese Schilderungen durchzieht und dabei gerade auch vor dem Autor nicht haltmacht. Zwischen den verworrenen Klatschgeschichten scheint dabei immer wieder eine feine, tieftraurige Melancholie auf, ein ehrliches und empathisches Verzweifeln über den gegenwärtigen Zustand des Westens.