„Im Gedicht bin ich zu Haus“, heißt es im ersten Poem des Bandes von Benedikt Maria Trappen. Alles sei „bedeutsam“, wenn es in Gedichtform gesagt werde, meint der Autor. Das ist ein kühner Satz, den viele Gedichte leider nicht einlösen. Seine zum größten Teil schon. Benedikt Maria Trappen ist nicht nur ein philosophisch geschulter Kopf, sondern auch studierter Germanist.
Und Rektor einer Grundschule, was für eine gewisse Bodenhaftung sorgt. Sein Buch mit dem trotzigen Titel „Noch immer gibt es Gedichte. Leben. Schreiben. Lesen“, das aus Gedichten und luziden Prosatexten besteht, hat er Reiner und Elisabeth Kunze „zum 90. Geburtstag“ gewidmet. Beiden ist er seit Jahrzehnten in Freundschaft verbunden; sogar Faksimiles von Kunze-Briefen sind abgedruckt, um die Nähe zu illustrieren. So atmen Trappens Gedichte die Lakonie des lyrischen Altmeisters, dem er sich im Denken und Schreiben verbunden fühlt.
Das Haiku beschwört Unveränderliches im Einmaligen
Trappens Gedichte sind wie die seines Vorbildes haikuhaft – durchweg jedoch weniger ambitioniert als die von Kunze, dessen Poeme immer auch etwas Belehrendes, Sinnspruchhaftes haben. Natürlich ist das Kunzes Alleinstellungsmerkmal, das der Autor Trappen – ein Kenner fernöstlichen, weltflüchtigen Denkens – nicht für sich in Anspruch nimmt.
Wie alle Haiku-Dichter denkt und dichtet Benedikt Maria Trappen in Jahreszeiten. Denn Haikus sind konkret, den Dingen und Stimmungen zugewandt. Sie erzählen von einmaligen Situationen, verstehen sich nicht als Lebensweisheit oder Sentenz. Das Haiku zeigt, was ist. Es beschwört Unveränderliches im Einmaligen.
Der Haiku-Dichter meidet Ich-Spaltungen und Problematisierungen, kennt auch keine Metaphysik. Er drückt kein Leiden aus, sondern das So-Sein. Das Haiku erklärt nicht, räsoniert nicht, es trifft. Der Haiku-Dichter ist ein Universalpoet, weil er im Konkreten das Allgemeine sichtbar macht. Er kennt allerdings auch die Widersprüchlichkeit des Schönen.
Auch das Häßliche wird erwähnt, wenn es ins Leben paßt
Belege dafür finden sich im Kapitel „Zen Geist“. Dort wird auch ein japanischer Referenz-Dichter genannt: Kodo Sawaki. Aber der deutsche Autor weigert sich, nur Namen zu nennen, man müsse einfach weitermachen, „ohne Spuren zu hinterlassen“. Natürlich ist solch ein Buch der glatte Gegenbeweis, zum Glück. Im Gedicht „Bergmannsdorf“ wird auch das Häßliche erwähnt, aber nur, wenn es ins Leben paßt. Sonst bleibt der Schmerz draußen, die Blumen des Bösen.
Es ist ein gereinigter Blick, den Trappen auf die Welt wirft, sie ist schön geheimnisvoll, nichts stört die Anschauung. „Auch das Grab ist auf Zeit.“ Ja, alles zerfällt. Aber die Weltreligionen haben Antworten für das große Danach. Solche Lösungen sind in Benedikt Maria Trappens Gedichten und hinter seiner Prosa meisterlich versteckt. Man muß sie finden, er-lesen. Der Verstand kommt nicht gut weg bei diesem Autor, auch die Rationalität. Spinoza, der den Geist und die Materie feierte, wäre das Gegenprogramm.
Schnell wird das Erkenntnis-Szepter wieder abgegeben
Im Gedicht „Corona Frühling“ blitzt die Rationalität kurz auf, ironisch gebrochen. Aber die „atemberaubende Präzision“, ein anderes Wort für die medizinischen und staatlichen Maßnahmen gegen Covid-19, wird von einem „erregten Menschen“ ins Werk gesetzt. Ein Gedicht, das mit viel Ironie der Political Correctness und ihren zeitgeistlichen Fallen entgeht. Der anschließende Kommentar nach Art eines Zeitungskommentars gibt demütig das Erkenntnis-Szepter wieder ab. Nun ist Gott der große Regisseur, sein Wille geschieht, wir Menschen sind nur „Mitspieler im Weltspiel“.
Ein Gottesbeweis? Dafür ist die Haltung des Autors zu zurückhaltend, vieldeutig interpretierbar. Auch für den Staat, der vermeintlich alles im Griff hat. Denn für Politiker gibt es keinen Konjunktiv. Davon handelt auf hintersinnige Weise das auf die Gegenwartsarabeske folgende Prosastück über das Verhalten an der Kletterwand. Auch beim Klettern geht es, wie beim Haiku, konkret zu. Hier hat der Konjunktiv nichts verloren, sondern nur der feste Griff in die Wand.
Eher belanglos erscheinen die Gelegenheitsgedichte
Der Autor spart auch seine eigene Person nicht aus, weiß Erhellendes und Witziges über sich selbst, das Amt des Schulleiters zu erzählen. Ein bißchen klingt die Antwort der Aufsichtsbehörde wie die Anmaßungen in Kafkas „Prozeß“, der geführt wird, ohne daß man den Betroffenen anhört: „Was gehen Sie überhaupt andere Schulleitungen an?“ Unter dem Titel „20. Juli 1922“ heißt es lakonisch: „Die große Hure Rußland“. Und am Ende: „Werden wir widerstehen?“ Eine gute Frage, denn „Appeasement“ ist eine anthropologische Konstante.
Trappens „Reisegedichte“ sind Reverenzen, erzählen vom Verweilen an Hans-Georg Gadamers Grab in Heidelberg, von dem Besuch im Café Fernando Pessoas in Lissabon und führen den Leser bis zu den fantastisch deutbaren Riesenbäumen im Nationalpark Yosemite in Kalifornien. Im Gedicht versucht der metaphysikabstinente Autor seine Unio mystica, die Gipfelverschmelzung. Eher belanglos dagegen erscheinen die Gelegenheitsgedichte über eine Radwanderung an der Mosel oder die Reise durch das „Bilderbuch“ der Finnmark und nach Lappland. Es sind autobiographische Belege, mehr nicht.
Kunze spendete dem Autor Trost und Hoffnung
Die Illustrationen von Heinz Stein erinnern an den Grafiker HAP Grieshaber. Sie sind etwas zu brav ausgefallen. Geben mit ihren heiter grün-roten Farben die Grundstimmung des Buches wieder, das etwas Weltumarmendes hat. Diese Haltung atmet auch ein Widmungsgedicht für den Künstler, in dem es etwas banal heißt, der Holzschneider arbeite das „Wesentliche“ heraus. Auch die „Liebesgedichte“ sperren den Streit, das Inkommensurable von Paaren nicht aus, aber sie beerdigen das Abweichende unter guten Vorsätzen.
Es gibt auch Widersprüche, wie sollte es auch anders sein. Hieß es zwanzig Seiten vorher noch, dem studierten Philosophen Trappen sei der Sinn abhanden gekommen, ist er im Gedicht für Reiner Kunze plötzlich wieder da: „Die Sprache spricht in der Stille: Daß es Sinn gibt, kirchenglaubenfern.“ Vielleicht las der Gedichtautor kurz vorher seinen geliebten Dichter? Den er anschließend rühmt, denn dieser habe ihm immer Trost und Hoffnung gespendet. Aber, so Trappen, auch der Lyriker ist nur Medium von etwas Größerem. Durch ihn spricht etwas: Er vermittelt Sinn durch sein pures Sein.
An anderer Stelle wiederum meint Trappen, er müsse Trost spenden, verspricht dem Dichter eine andere „Wende“, die „wunderbare“ Jahre bringen werde. Wer Reiner Kunze kennt, seine Befangenheit, bisweilen Larmoyanz im Trotz, seine Unbeirrbarkeit, ist das ein freundschaftlicher Rat, der gar nichts Selbstherrliches, Selbstüberschätzendes hat. Der gültige Kommentar zur Freundschaft mit dem großen Dichter steht, siehe oben, am Ende des „Zen“-Kapitels in dem Gedicht „Den Lehrer verschweigen“: „Den Lehrer verschweigen, Spuren verwischen – Wie dürftig.“