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Vortrag zu 30 Jahren Friedlicher Revolution: Akademisches Exil in Würzburg

Vortrag zu 30 Jahren Friedlicher Revolution: Akademisches Exil in Würzburg

Vortrag zu 30 Jahren Friedlicher Revolution: Akademisches Exil in Würzburg

Uwe Tellkamp
Uwe Tellkamp
Der Schriftsteller Uwe Tellkamp während einer Diskussionsveranstaltung (Archivbild) Foto: (c) dpa
Vortrag zu 30 Jahren Friedlicher Revolution
 

Akademisches Exil in Würzburg

Nachdem ihm in Dresden wiederholt Räumlichkeiten für eine Lesung verweigert wurden, konnte der Schriftsteller Uwe Tellkamp schließlich in der altehrwürdigen Würzburger Universität sprechen. Das tat er über seine Erlebnisse in der Endphase der DDR, die wachen Ostdeutschen und den Niedergang der Presse.
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Auch das digitale Zeitalter hat einen „Turm“-Wächter, jedenfalls in Würzburg, wo gestern der Schriftsteller Uwe Tellkamp im vollbesetzten Hörsaal der 1582 gegründeten Universität einen Gastvortrag über 30 Jahre Friedliche Revolution hielt. Eingeladen hatte ihn Peter Hoeres, Professor für Neueste Geschichte und Autor der vielbeachteten Studie über die FAZ-Geschichte. Dabei erinnerte er für einen Augenblick an das Bild von Rilkes „Panther“, ersetzt man das Bild der Gitterstäbe durch jenes der „Gesinnungskorridore“. So waren Tellkamps Empörung und Anspannung, die im federnden Auf- und Abgehen seines Auftritts ablesbar waren, nur zu verständlich nach den kafkaesken Raumkündigungen in Dresden, wo Tellkamp aus dem „Schlaf in den Uhren“ lesen wollte, dem Romanmanuskript, das als Fortschreibung seines Romans „Der Turm“ konzipiert ist.

Daß dieser – aus Sicht des Autors – offenbar kein „Wenderoman“ ist, wurde gleich zu Beginn von Tellkamps Reflexionen deutlich: So sei der heute oft benutzte Begriff „Wende“, lanciert von Egon Krenz, erstmals von den „Nazis“ in der Stalingrad-Propaganda gebraucht worden und daher ein „doppelt kontaminierter Begriff“. In dem Zusammenhang erinnerte er daran, daß die friedliche Revolution von 1989 nicht so „selbstverständlich“ sei, wie sie wohl von Nachgeborenen wahrgenommen werde. Voraussetzung sei eine „revolutionäre Lage“ gewesen, „die keinen anderen vernünftigen Ausweg mehr zuläßt“, und ein entsprechender Mut.

Bemerkenswert war dabei Tellkamps Kunstgriff, der seine Zeit in der Spätphase der DDR im Präsens schilderte, so daß eine plötzliche Konfrontation mit den Zuhörern entstand, als er die  ihm bis heute „unvergeßlich“ gebliebene Reaktion der Arbeiter und Strafgefangenen zitierte, mit denen er als NVA-Soldat („uniformierter Arbeiter“) im südlich von Leipzig gelegenen Braunkohletagebau im Einsatz war. Da er dort täglich in ein Notizbuch schrieb, wurde er als erstes gefragt, ob er von der Stasi sei, denn: „Nur die Stasi zeichnet auf“. Als er dies verneinte, sagte ihm die Belegschaft: „Gut, wir glauben dir. Aber merke dir eins: ein Arbeiter lügt nicht. Das Lügen gibt es nur bei den Intellektuellen.“ Das saß – bei dem vor Tellkamp sitzenden Publikum.

Die Ostdeutschen sind sensibel geblieben

Mit Blick auf die Erfahrungen im „Tal der Ahnungslosen“ (Dresden) erinnerte er an die einstige Bedeutung des Deutschlandfunks, dessen „Hintergrund“-Sendungen gehört worden seien wie die BBC-Sendungen im Dritten Reich. Die damals erlernte „Hermeneutik“ des Zwischen-den-Zeilen-Lesens sei bei den Menschen im Osten bis heute lebendig, weshalb sie mit Argusaugen auf die Vierte Gewalt schauten. Die Leute in „Dunkeldeutschland“ seien nicht verdumpft, sondern „sensibel“ geblieben. Ihre „Alarmlampen“ leuchteten auf, wenn die MfS-Methoden – das „Krebsgeschwür“ der „Zersetzung“ – in neuer Gestalt erscheinen, etwa beim Spiegel-Titel über Sachsen.

Tellkamp konfrontierte sein Würzburger Publikum mit Schilderungen seiner Zeit als NVA-Soldat Foto: privat

„Eine der bittersten Lügen“ sei es, ausgerechnet ihm – der anhand der FAZ den einstigen Hunger nach wirklich freier Berichterstattung schilderte – zu unterstellten, er wolle die Pressefreiheit abschaffen. Heute hingegen erscheine besagter FAZ-Autor nicht mehr als „Journalist“, sondern entspreche dem zu DDR-Zeiten offiziellen Berufsbild des „Propagandisten“. Ein anderer Kollege vom Tagesspiegel, der Tellkamp vorwarf, schon früher auffällig geworden zu sein, erinnerte ihn an die Zurechtweisungen in der DDR-Schule. Hier fehlte nur noch das DLF-Morgenmagazin, deren Moderatoren zuweilen 1:1 an die „Agitatoren“ der Presserorgane der DDR erinnern, weshalb der Sendetitel eher „Desinformationen am Morgen“ heißen müßte.

Dabei sprach an diesem Abend nicht nur der Schriftsteller, sondern aufgrund seines Medizinstudiums auch der Arzt Tellkamp. Seine gesellschaftliche Diagnose erinnerte en passant an den Röntgenblick, hatte doch hier 1895 Wilhelm Conrad Röntgen die nach ihm benannten X-Strahlen entdeckt. Tatsächlich, so der Gast, wollten viele Journalisten „Macht ausüben“.

Tellkamp konstatiert „Melange aus Marxismus und grüner Ideologie

Entsprechend würden Politikerkarrieren heute weniger im Hinterzimmer, dafür eher über „Agenda-Setting“ inszeniert, weshalb wir eine „pressekonforme Regierung“ besäßen, beispielhaft verkörpert in „Mischwesen“ wie Steffen Seibert oder in der Paraderolle des Opportunisten und bayerischen Ministerpräsidenten Markus Söder (CSU). Problematisch sei im Übrigen weniger eine „Überfremdung“, sondern die Abschaffung der eigenen Kultur aus Gleichgültigkeit. Essentiell – gerade in Dresden respektive Sachsen – sei daher die Trias von „Kultur, Herkunft, Heimat“.

Gleichzeitig sperrte sich der Erfolgsautor gegen den Begriff „DDR 2.0“, wenngleich manche politische Tendenz in diese Richtung gehe. Ebenso warnte er – unter Verweis auf den „Scherbenhaufen“ der DDR-Wirtschaft – vor dem vor allem bei Linkspartei und AfD virulenten Populismus zum Thema „Treuhand“. Auch wandte er sich gegen Roger Scrutons Gegenwartsbeschreibung von einem „liberalen Totalitarismus“. Vielmehr hätten wir es mit einer „Melange von recyceltem Marxismus“ und einer grünen Ideologie zu tun, die an eine chiliastische Erlösungshoffnung erinnere.

In dem Zusammenhang konstatierte er: „Der Terrorist fasziniert mehr als der liberale Demokrat.“ Dieser, denn als solcher zeigte sich Tellkamp, sagte auf Nachfrage, sein neuer Roman habe viel mit dem Thema des Abends zu tun, doch wolle er dem Marketing „meines Suhrkamp-Verlages“ nicht vorgreifen, „sofern er mich noch will“. Der vollbesetzte Saal jedenfalls zeigte, daß das Interesse an Tellkamps  Nachfolgeroman vorprogrammiert ist.

Der Schriftsteller Uwe Tellkamp während einer Diskussionsveranstaltung (Archivbild) Foto: (c) dpa
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