BERLIN. Der ehemalige SPD-Bundestagsabgeordnete Christian Lange hat angekündigt, wegen der Asylpraxis aus der Evangelischen Kirche auszutreten. „Die fortgesetzte Praxis des Kirchenasyls stellt für mich eine Mißachtung rechtsstaatlicher Entscheidungen dar“, betonte Lange. „Sie konterkariert die gesetzlich geordneten Asylverfahren des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge und die Urteile unabhängiger Gerichte.“
Zuletzt wurden deutschlandweit drei Somalier bekannt, die wiederholt an der Grenze zu Polen zurückgewiesen worden waren. Sie beriefen sich auf das Kirchenasyl, um einer möglichen drohenden Abschiebung zu entgehen. Eine Berliner Kirche nahm die Somalier auf. Der Berliner Bischof Christian Stäblein, der die Somalier getroffen hatte, kommentierte deren Aufnahme als „Dienst für die Gesellschaft, die auf diese Weise an ihr Fundament der Barmherzigkeit erinnert wird“.
SPD-Politiker kritisiert Kirchenvertreter
Für den SPD-Politiker Lange ist das nicht hinnehmbar. „Mit solchen Auftritten entsteht der Eindruck, kirchliche Fürsorge stehe über staatlichem Recht“, schrieb er in einem Brief an Bischöfin Kirsten Fehrs sowie an die Bundestagsabgeordnete Kerstin Griese (SPD).
Laut dem 61jährigen hätten insbesondere die Äußerungen zu Gesetzesvorhaben von Kirchen-Funktionären wie Bischof Stäblein im Bundestagswahlkampf 2025 „populistische Ränder“ gestärkt. Stäblein hätte „vor Mehrheitsbildungen, an denen ‘Rechtsextreme’ beteiligt seien“, gewarnt. Lange betonte: „Wenn die evangelische Kirche rechtsstaatliche Entscheidungen durch das Gewähren von Kirchenasyl aushebelt und zugleich parteipolitisch interveniert, fördert sie die AfD.“
Langes Kirchenaustritt ist kein Einzelfall. Im vergangenen Jahr verloren die Evangelische und Katholische Kirche zusammen mehr als eine Million Mitglieder. Im Jahr 2023 hatten die beiden christlichen Konfessionen noch 38,9 Millionen Mitglieder – Ende 2024 waren es nur noch 37,8 Millionen.
Kirchenasyl nicht rechtlich bindend
Das Kirchenasyl, mit dem Lange seinen Austritt begründete, ist rechtlich nicht bindend oder anerkannt, sondern beruht lediglich auf einer vorgeblich moralischen Entscheidung der Kirchengemeinden. Diese verhandeln mit den Behörden über den Verbleib der abzuschiebenden Personen, wodurch die europäischen Überstellungsfristen unterlaufen werden können.
In der Regel beträgt der Zeitraum sechs Monate gemäß Dublin-III-Verordnung, um einen Asylbewerber in das Ersteinreiseland zurückzuführen. Gelingt dies nicht, werde nach Ablauf der Frist die „Bundesrepublik Deutschland ausländerrechtlich für den jeweiligen Einzelfall zuständig“, wie zuletzt das Hessische Innenministerium mitteilte.
Dadurch sei „eine Überstellung im Dublin-Verfahren endgültig nicht mehr möglich“. Die Rückführung des illegal Eingereisten nach Ablehnung seines Asylantrags im nationalen Verfahren wäre dann nur noch in das jeweilige Herkunftsland möglich.
Immer mehr Fälle von Kirchenasyl
Laut Bundesamt für Migration und Flüchtlinge wurden allein im vergangenen Jahr 2.386 Fälle von Kirchenasyl gemeldet – rund 300 mehr als noch 2023. Insgesamt wurden 2.966 ausreisepflichtige Personen von kirchlichen Stellen in Obhut genommen – und damit dem Zugriff des Staates entzogen.
Der Migrationsforscher Daniel Thym hatte Unverständnis über die kirchliche Praxis geäußert: „Es ist mir moralisch unverständlich, warum die Kirchen ihr humanitäres Kapital derzeit vor allem darauf verwenden, Abschiebungen in andere EU-Mitgliedstaaten zu verhindern.“
Auch Hamburgs Innensenator Andy Grote (SPD) kritisierte das Vorgehen deutlich. „Die Kirche steht nicht über dem Recht“, betonte er 2024. „Wir können als Staat die Entscheidung darüber, wer am Ende ein Bleiberecht hat, nicht anderen Institutionen überlassen.“ (rsz/rr)