MÜNCHEN. Der syrische Journalist Mohamad Alkhalaf hat mit einer Kolumne zu kulturellen Unterschieden beim Eisessen für Trubel in den sozialen Medien gesorgt. „Entweder schreiben für die Süddeutsche mittlerweile die Taliban oder ein woker Volltrottel“, resümierte der Blogger Ali Utlu auf Twitter.
Weil „Ibrahim“ nervös wird, wenn Frauen am Eis lecken, soll man sich jetzt schämen Eis zu lecken?
Entweder schreiben für die Süddeutsche mittlerweile die Taliban oder ein woker Volltrottel.https://t.co/sYjOcqmNVV
— Ali Utlu (@AliCologne) July 15, 2023
Alkhalaf hatte in seiner Kolumne „Typisch deutsch“ am Freitag über das Eisessen im öffentlichen Raum geschrieben. In seiner Heimat Syrien hätten es die Menschen vermieden, sich auf diese Weise vor aller Augen eine Abkühlung zu verschaffen. „Es gilt als vulgäres, obszönes Verhalten“ betonte er. Vor allem, wenn es in der Waffel geschleckt werde.
„In vielen konservativen Gesellschaften, dazu zählt Syrien in gewissem Sinn definitiv, wird – speziell von Frauen – erwartet, daß sie in der Öffentlichkeit eine zurückhaltende und respektvolle Haltung zeigen“, führte der Journalist aus. „Das Verspeisen von Speiseeis und anderen Mahlzeiten, die als phallisch geformt angesehen werden könnten, würden als provokant oder anstößig empfunden werden.“
„Kein Verständnis für diese Frauenverachtung“
Nach seiner Ankunft in Deutschland habe ihn dieser Anblick geradezu beschämt. Heute habe er sich daran gewöhnt. Für viele Migranten, die hierzulande neu ankämen, sei der Anblick befremdlich. „Darf man es anstößig finden, in der Öffentlichkeit eine Kugel Eis zu schlecken? Man darf, doch in München sollte man sich daran gewöhnen“, tat Alkhalaf seine Meinung kund.
In der @SZ wird ernsthaft suggeriert, es könne „obszön“ sein, wenn Frauen in der Öffentlichkeit Eis essen. Für diese Frauenverachtung sollte es kein Verständnis geben – egal wie das gerechtfertigt wird. pic.twitter.com/Zc0l9mx4mK
— Aras-Nathan (@Aras_Nathan) July 16, 2023
Nutzer in den sozialen Medien brachten für die Kolumne wenig Verständnis auf. „Für diese Frauenverachtung sollte es kein Verständnis geben – egal wie das gerechtfertigt wird“, stellte der Blogger Aras-Nathan Keule klar.
„Schreiben die Taliban für die Süddeutsche?“
„Kulturrelativismus ist einfach zum Kotzen“, empörte sich auch Marianna v. Artsruni vom Jungen Forum der Deutsch-Israelischen Gesellschaft. „Dinge wie das Eisessen, Fahrradfahren oder Knöchel zeigen von Frauen im öffentlichen Raum zu skandalisieren sind keine banalen Kulturunterschiede, denen man als Zeitung zur Salonfähigkeit verhelfen sollte.“
Kulturreelativismus ist einfach zum Kotzen. Dinge wie das Eis essen, Fahrrad fahren oder Knöchel zeigen von Frauen im öffentlichen Raum zu skandalisieren sind keine banalen Kulturunterschiede, denen man als Zeitung zur Salonfähigkeit verhelfen sollte. https://t.co/LrmaiOAaAw
— Marianna v. Artsruni ن (@libertastochter) July 15, 2023
Auch der Journalist Boris Reitschuster warf die Frage auf, ob für die Tageszeitung mittlerweile die Taliban schrieben. „Die Süddeutsche legt ihren Lesern nahe, daß sich Frauen schämen müssen, im Freien ein Eis zu essen, weil Zuwanderer aus dem arabischen Raum dadurch nervös werden könnten“, schrieb er.
Er solle sich auf das wirklich Obszöne konzentrieren
„Über was wird hier plötzlich diskutiert? Ist das ein Vorgeschmack auf das neue Spießertum, das mit der Zuwanderung zu uns kommt?“, monierte die Journalistin Anabel Schunke. „Und umgekehrt wedeln wohlstandsverwahrloste Leute auf Prides in Hundemasken mit ihrem Penis rum. Genau mein Humor. Das wird noch lustig hier.“
In der SZ sinniert ein muslimischer Autor darüber, ob Eisessen in der Öffentlichkeit nicht eigentlich obszön ist.
Und was heißt hier „man sollte sich dran gewöhnen“? Als sei Eisessen in der Öffentlichkeit eine Erfindung von vor wenigen Jahren. Wie E-Roller oder genderneutrale… pic.twitter.com/QtGXwATiZU
— Anabel Schunke (@ainyrockstar) July 15, 2023
Die Tiroler Abgeordnete Gudrun Kofler forderte Alkhalaf auf, sich auf die wirklich obszönen Dinge in Deutschland zu konzentrieren. Dazu gehörten Männer, die halbnackt vor Kindern tanzten und sich diese bei öffentlich geförderten Lesungen auf den Schoß setzten.
Der Berliner AfD-Politiker Georg Pazderski erinnerte den Syrer derweil daran, Gast in Deutschland zu sein. Er solle dankbar dafür sein, hier sein zu dürfen.
„Eis kann sich bald eh keiner mehr leisten“
Aber auch vereinzelte linke Stimmen meldeten sich zu Wort. So schrieb der Essener Verband der Nachwuchsorganisation der Linkspartei: „In unserer Gruppe sind Menschen aus der Türkei, Kurdistan, Palästina, Marokko und dem Iran niemand teilt die Idee von Ibrahim das Eisessen irgendwie obszön ist. Im Gegenteil in all diesen Ländern Essen die Menschen Eis. Der Artikel stellt den Nahen Osten vollkommen falsch dar.“
In unserer Gruppe sind Menschen aus der Türkei, Kurdistan, Palästina Marokko & dem Iran niemand teilt die Idee von Ibrahim das Eisessen irgendwie obzön ist.
Im Gegenteil in all diesen Ländern Essen die Menschen Eis.
Der Artikel stellt den Nahen Osten vollkommen falsch dar.— Linksjugend Essen (@LinksjugendE) July 16, 2023
Humorvoll um eine Befriedung der Debatte bemüht zeigte sich der Journalist Julius Böhm. Die Streitigkeiten um das Eisessen würden ohnehin hinfällig, wenn sich bald niemand mehr ein Eis leisten könne. (zit)