Das fahle Laternenlicht an diesem Dezemberabend macht den schnellen Atem des Jungen sichtbar. Seine Wangen sind rot, die Hände kalt. Seine Freunde und er sind den Teufeln gerade noch einmal entwischt. Andernfalls wären sie zwar nicht in der Hölle, dafür aber kopfüber im Schnee gelandet, mit roten Striemen auf den Oberschenkeln.
Das „Toifltratzn“ (Teufel ärgern, frozzeln), von dem sie gerade kommen, galt freilich nicht den echten Teufeln. Doch deren Masken und Gewänder sehen mit ihren finsteren Fratzen, urigen Hörnern und zotteligen Fellumhängen gar furchteinflößend aus. So wie die Bubengruppe ziehen jedes Jahr zahlreiche Kinder aus, wenn der 6. Dezember, der Tag des heiligen Nikolaus, naht – und die Krampusse umherziehen.
Krampusse, auch Klaubaufe, Kramperl, Toifl beziehungsweise Tuifl genannt, sind die angsteinflößenden Begleiter des Nikolaus. Sie treten im Alpenraum, vor allem in den ehemaligen Gebieten der Habsburger-Monarchie, auf. In den meisten Orten tragen sie schwere Holzlarven mit Hörnern, Glocken, Schafsfelle und Holzruten oder Pferdeschwänze.
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Die braven Kinder beschenkt der Nikolaus, die bösen und unartigen bestrafen die Krampusse. Erstmals schriftlich erwähnt werden sie im 16. Jahrhundert. In protestantisch geprägten Gebieten ist Knecht Ruprecht ihr Verwandter. Nur tritt der nicht in Gruppen auf und schaut nicht halb so unheimlich aus.
Während der 6. Dezember klassischerweise der Tag des Nikolaus ist, gehört der Vortag allein den wilden Gestalten. Mit ihren ohrenbetäubenden Schellen und bedrohlichen Ruten versetzen sie das Dorf in Schrecken. Mit ihren eingerußten Händen haben sie es vor allem auch auf Mädchen und Frauen abgesehen. Bei den Krampusläufen ziehen alle zusammen durch den Ort, Nikolaus, Engel und der Kehraus, der mit einem alten Besen vorneweg geht.
Das „Fieber der Urzeit“ packt Kinder und Erwachsene
Wenn es auf St. Nikolaus zugeht, „so ist es, als sei ein Geist der Unruhe in die Kinder gefahren. Sie sind unaufmerksam, fahrig, gleichsam als fieberten sie einem für sie wichtigen, aber unheimlichen Ereignis entgegen“, zitierte der Tiroler Volkskundler Friedrich Haider den Dekan und Pfarrer von Matrei in Osttirol vor dreißig Jahren. Der Brauchtumsforscher resümierte: Das „Fieber der Urzeit“ packe sie und auch die Erwachsenen seien von diesem „Geist der Unrast“ erfaßt.
In Osttirol wird bis heute auch ein besonders spektakulärer Brauch an Nikolaus gepflegt: das „Tischziachn“ (Tischziehen). Dabei setzen sich Männer hinter einen massiven Holztisch. Die Krampusse – hier ohne Hörner – stürmen an und müssen versuchen, den Tisch umzukippen, bis er mit allen vier Beinen nach oben liegt. Brauchtum trifft auf Testosteron – und manchmal auch Alkohol. Freilich kommt es da auch hin und wieder zu Rangeleien, was in der Vergangenheit schon zu Debatten über das Verbot dieser „ritualisierte Schlägereien“ führte.
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Leider blieb der Krampusbrauch nicht vom zeitgeistigen Konsum- und Darstellungsdrang verschont: Dörfer sprechen sich ab, damit ja kein Umzug am selben Tag stattfindet; die Läufe mutieren teilweise zu Showeinlagen, die natürlich von einer Jury bewertet und medial aufbereitet werden; Traktoren ziehen Käfige hinterher, überall Rauch und Pyrotechnik; das Brauchtum rückt in den Hintergrund.
Noch aber ziehen die behaarten Ungestalten nicht ohne Nikolaus aus. Noch sagen in Weiß gehüllte Engel christliche Sprüche auf. Noch werden die Kinder, wahrscheinlich auch die, die nicht so artig waren, großzügig beschenkt – in Anlehnung an die Barmherzigkeit des heiligen Nikolaus, der seinerzeit einer verarmten Familie half, damit die Töchter sich nicht prostituieren mußten.
Und eines blieb in den vergangenen, sich so schnell verändernden Jahrzehnten auch bis heute erhalten: Freche Buben wagen sich an den kalten Abenden vor dem 6. Dezember hinaus, um Krampusse zu ärgern und sich gegenseitig ihren Mut zu beweisen. Vielleicht werden sie später einmal selber mit schweren Fellen und finsteren Larven umherziehen und „getratzt“ werden.