Gunter Gabriel schien unverwüstlich. Der fast zwei Meter große Country-Interpret strahlte bis kurz vor seinem verhängnisvollen Sturz enorme Kraft aus. Sein Alter merkte man dem 75jährigen kaum an. Daß er sich nun nicht mehr erholte, nachdem er am 10. Juni – einen Tag vor seinem 75. Geburtstag – eine Steintreppe heruntergefallen war, ist für viele Fans und Freunde unfaßbar. Er hatte sich einen dreifachen Bruch des ersten Halswirbels zugezogen. Drei Operationen konnten den Musiker nicht retten. Er verstarb heute in einem Hannoveraner Krankenhaus.
1942 im westfälischen Bünde geboren, mußte er sich früh durchs Leben kämpfen. Sein alleinerziehender Vater „prügelte“ ihn schon im Teenageralter aus dem Haus, wie er häufig erzählte. Seine schwere Jugend berührte ihn bis zum Schluß. Gabriel, der vermeintlich harte Kerl, hatte nah am Wasser gebaut. Nicht selten fing er an zu weinen, wenn ihn seine Erinnerungen überkamen. Auch Gedanken an sein Ableben, die nun eine traurige Bedeutung bekommen, führten ihn immer wieder in melancholische Tiefen.
Angst vor dem Tod
Gabriel liebte das Leben und hatte nicht nur Angst vor dem Sterben. Er haßte den Gedanken an den Tod an sich, auch wenn er plötzlich und schmerzfrei daherkommen würde. „Jeder Sommer kann der letzte sein“, sagte er noch im vergangenen Frühling mit tränenerstickter Stimme bei seinem Lieblingsitaliener in der Berliner Knesebeckstraße. Nun mußte er zwölf Tage leiden, bevor er seinen Verletzungen erlag.
Diese Sentimentalitäten kamen oft überraschend, zeigte er doch kurz zuvor noch große Lebensfreude und war voller Tatendrang. Aber die Gedanken an die Endlichkeit des Lebens konnte er nicht verdrängen, so sehr er es auch wollte. Sie bedrückten seine Grundfröhlichkeit.
Wer mit ihm verabredet war, konnte etwas erleben. Oft holte der Künstler auch im Restaurant seine Gitarre hervor und spielte sein neuestes Stück, das er gerade erst erdacht hatte. Spätestens dann füllte sich der Tisch. Der Mann, für den die Musik sein Leben war, genoß die Anerkennung – und zwar auf eine sympathische, nicht wirklich aufdringliche Art. Fans konnte er nie genug um sich haben.
Schlechte Presse kam ihm durchaus gelegen
Daß er mit Schlägereien Schlagzeilen produzierte, paßte zum Image des wilden Haudraufs. Aber kaum einer weiß, wie sehr er darunter litt und wie ehrlich er sich bei seinen Opfern entschuldigte – doch die konnten nicht immer verzeihen. Über seine Ausbrüche gingen vier Ehen kaputt. Wenn die Medien seine Eskapaden ausschlachteten, störte ihn das nicht weiter. Im Gegenteil, schlechte Presse kam ihm durchaus gelegen: „Lieber mit so etwas in der Zeitung stehen, als überhaupt nicht“, war das Motto, mit dem er seine Eigen-PR betrieb.
Nach all dem sah es nicht aus, als er die Volksschule abbrach, um über die Runden zu kommen. Dann bekam er die Kurve, machte sein Fach-Abi und geriet als DJ in Kontakt mit der Musikbranche. Zunächst schrieb er für andere Künstler bis heute bekannte Lieder, darunter Juliane Werdings „Wenn du denkst, du denkst“ und Frank Zanders „Ich trink auf dein Wohl, Marie“. Vom Plattenlabel fühlte er sich übergangen, weil das ihn an den Erfolgen finanziell nicht beteiligte. Das ließ sich einer wie er nicht bieten. Er haute – um es in Gabriels unverwechselbarer Sprache zu sagen – in den Sack.
Sein Talent, Gassenhauer zu schaffen, nutze er nun für sich selbst. Aus Günter Caspelherr wurde Gunter Gabriel. Den Künstlernachnamen lieh er sich von seiner ersten Frau, die Gabriele hieß. Die Ü-Strichelchen waren ihm zu spießig, und so betrat 1973 ein Mann die Show-Bühne, dessen neuer Name zum Gütesiegel für deutsche Country-Musik aufstieg.
Sensationelles Comeback
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Da war Gabriel schon 31. Mit „Er ist ein Kerl (Er fährt ’nen 30-Tonner-Diesel)“ schaffte er seinen Durchbruch als Solo-Sänger. Es folgten viele Hits, darunter der wohl berühmteste: „Hey Boß, ich brauch‘ mehr Geld“. Der sagenhafte Erfolg mit einem neuen Genre züchtete Nachahmer. Die Band „Truck-Stop“ oder der Sänger Tom Astor sind von Gabriel inspiriert. Der jetzt Verstorbene hob den deutschen Country aus der Taufe.
Er selbst orientierte sich an Johnny Cash, übertrug einige Lieder von ihm ins Deutsche. Darauf, mit dem „Man in Black“ befreundet gewesen zu sein, war Gunter Gabriel stolz. Noch kurz vor dessen Tod 2003 besuchte er ihn in Nashville und kam geschockt ob des körperlichen Verfalls zurück. Für das Erfolgsmusical „Hello, I am Johnny Cash“ konnte es keine idealere Besetzung geben als den großen Verehrer des Protagonisten.
Das Stück lief ab 2010 monatelang am Berliner Renaissance-Theater und schaffte es aufgrund des ungeahnten Erfolges immer wieder ins Programm. Mit knapp 70 erlebte Gabriel ein sensationelles Comeback. Fortan trug er den Beinamen „der deutsche Johnny Cash“, den ihm Journalisten verliehen, und das zu Recht. Seine Art, den Meister zu interpretieren, beeindruckte sogar Cash-Fans aus den USA.
Liebeserklärung an Deutschland
Dabei schien Gabriels Karriere schon zu Ende. Falsche finanzielle Beratung und eigene übertriebene Großzügigkeit trieben ihn in die Pleite. Kaum ein Veranstalter wollte ihn noch engagieren. Doch der deutsche Country-Pionier gab nicht auf, klagte in einer Talkshow nicht nur sein Leid, sondern hielt plötzlich ein vorher gemaltes Schild mit seiner Telefon-Nummer in die Kamera: „Jeder kann mich für 1000 Euro buchen. Ich trete in jedem Wohnzimmer auf.“
Die Idee zündete. Der Sänger konnte sich vor Angeboten nicht mehr retten, sanierte sich mit der Aktion, die er später „Wohnzimmertour“ nannte. Die Treue seiner Fans half ihm aus der Krise. Bis zum Schluß trat er bei ihnen zu Hause auf, ein Konzert war für den Tag seines verhängnisvollen Sturzes geplant.
Dem Rauhbein nahm in der Branche mancher ziemlich übel, daß er aus der Zuneigung zu seinem Vaterland keinen Hehl machte. Aber auch das störte ihn nicht. Eine Gitarre hatte er sich komplett in schwarz-rot-gold fertigen lassen. Mit ihr und seinen Liedern begeisterte er auf dem JF-Sommerfest vor zwei Jahren mehrere Hundert Gäste. Als einer der wenigen deutschen Sänger hatte er vor dem Fall der Mauer die Teilung zum Thema gemacht. Sein Song hieß: „Daran gewöhne ich mich nie“. Zum Evergreen unter seinen nicht selten patriotischen Fans gehört die Liebeserklärung „Deutschland ist…“
Konservative Umgangsformen waren nicht sein Ding
Gepflegte oder gar konservative Umgangsformen waren dagegen nicht sein Ding. Zum Treffen kam er schon mal barfuß, und wer mit ihm seinen geliebten Rotwein trank, mußte – was Fäkalsprache angeht – ein dickes Fell haben. Gabriel strahlte nach einem Satz, in dem er lautstark ein vulgäres Wort an das andere gereiht hatte, gern über das ganze Gesicht. Auch wer sich gerade noch für ihn in Grund und Boden geschämt hatte, konnte diesem lausbübischen Lächeln oft kaum standhalten.
Irgendwie meinte er das alles nicht so. Trällerte eine Zigeuner-Combo vor den auf den Bürgersteig gestellten Tischen mehr schlecht als recht ein paar Lieder, zeigte er eine ganz andere Seite; sofort zückte er sein Portemonnaie. Mit 20 Euro konnte ein Straßenmusiker immer rechnen, wenn Gunter Gabriel vor ihm saß. Manchmal waren es sogar 50. Unter seiner harten Schale verbarg sich ein weiches Herz. Das liebten seine Freunde – und auch, daß er nie richtig erwachsen geworden war. Wir werden dich vermissen, alter Haudegen.