Rebellion und Abgrenzung von den Eltern, den Erwachsenen und überhaupt allen Autoritäten. So haben sie zu sein, die Jugendlichen, weil man ja selbst auch so war. Damals, als Bono von U2 noch Vokuhila trug. Fast ein wenig enttäuscht klingen die Pressereaktionen auf die aktuelle Sinus-Jugendstudie: „Deutschlands brave Jugend“ (Spiegel Online), „Alle wollen Mainstream sein“ (Süddeutsche) oder „Angepaßt und tolerant: So ticken Jugendliche wirklich“ (Focus Online).
Statt Sex, Drugs & Rock ‚n‚ Roll legen Teenager zwischen 14 und 17 Jahren heutzutage Wert auf Anpassungs- und Leistungsbereitschaft, stabile Beziehungen, Halt und Orientierung in der Gemeinschaft. Zu diesem Ergebnis kam die insgesamt dritte Sinus-Jugendstudie, die zwar wenige Jugendliche befragt, diese dafür aber sehr ausführlich. Innerhalb der Jugendforschung gilt die Studie also nicht als repräsentativ, aber wegen der Tiefeninterviews als wichtiger Indikator.
„Man möchte sein wie alle“
„Man möchte sein wie alle. Die auf Abgrenzung und Provokation zielenden großen Jugend-Subkulturen gibt es kaum mehr“, fassen die Autoren ihre Beobachtungen zusammen. Eine Mehrheit sei sich einig, daß gerade in der heutigen Zeit ein gemeinsamer Wertekanon von Freiheit, Aufklärung, Toleranz und sozialen Werten gelten müsse, weil nur er das „gute Leben“, das man in diesem Land hat, garantieren könne.
Kurz gesagt, die befragten Teenager sind tolerant, weltoffen, für Umweltschutz gegen religiösen Fundamentalismus und für ganz viel Vielfalt. Sie sind immer online und halten eine nicht näher definierte gemeinsame Wertebasis für wichtiger als Religionen.
Was auf den ersten Blick auf eine zielstrebige, seelisch fest verwurzelte Generation hindeutet, ist bei näherem Hinsehen nichts weiter als der lasche, konfliktscheue Händedruck der Enkel der 68er-Generation. Dieses „positive Bild einer pluralen, vielfältigen Gesellschaft“ könnte jede von Heidi Klums Top-Model-Kandidatinnen im Schlaf herunterleiern.
Strategie in Ganztagsschulen: So beliebt sein wie möglich
Wie es unter der harmonischen Oberfläche tatsächlich aussieht, entschlüsselt die Studie nicht. Zutreffend ist jedoch der Hinweis, daß Teenager nicht mehr bloß „online gehen“, sondern dauerhaft online sind.
Ein ergänzender Blick auf die virtuellen Präsentierflächen Facebook, Instagram und Snappchat hätte zeigen können, wie krampfhaft Teenager der jugendkulturellen Norm entsprechen wollen. Nicht negativ auffallen und so beliebt sein wie irgend möglich, lautet ihre Strategie in den Ganztagsschulen. Das geht zu Lasten einer gesunden Identitätsentwicklung.
Tausendfach reihen sich die Selfies süß lächelnder Mädchen und die Posen cool grinsender Jungen in den Netzwelten aneinander. Wer nicht ständig online mit dabei ist, wird von der Flut permanenter Neuigkeiten automatisch über den Wahrnehmungshorizont online vernetzter Klassengemeinschaften gespült. Das sorgt vor allem bei jenen Teenagern für Existenzängste, die primär bei Gleichaltrigen emotionalen Halt suchen.