Ritual Front ist ein noch recht junges, martialisch wirkendes Neofolk-Projekt zweier standesgemäß grimmig dreinblickender Russen aus St. Petersburg. Ihr vielsagend „Strahlungen“ betiteltes Werk erschien bereits vor einigen Monaten, es ist jedoch auch jenseits von Szenemaßstäben zu gut, um es unter den Tisch zu kehren. Vor allem ist den Russen anzuhören, daß sie sich im Vergleich zum Vorgänger „Lightnings over Crimson Hills“ (2007) deutlich steigern konnten. Das Album versuchte damals den eher selten weitergesponnenen Faden der Vorreiter Death In June in ihrer elektronischen, weniger Akustikgitarren-geprägten „Nada“-Phase aufzunehmen und jene unterkühlte, urbane Elektronik mit russischem Akklamationsgesang zu verbinden, während die Texte klassische Genrethemen aufgriffen – der große Krieg, der Europa-Mythos. Der Albumtitel bezog sich auf den Berg Vottovaara, auch Todeshügel genannt, der höchste des karelischen Gebirges und Stätte einiger deutsch-russischer Gefechte.
Diesen Genrethemen, die vermutlich den meisten westeuropäischen Neofolk-Gruppen mittlerweile zu „plakativ“ erscheinen, ist man auch auf „Strahlungen“ treu geblieben, ein direkter Ernst- Jünger-Bezug ist jenseits des Titels allerdings nicht festzustellen, doch die Gruppe spielt deutlich mit „konservativ-revolutionären“-Assoziationen. Beschworen wird vor allem eine im Metaphysischen gründende „deutsch-russische Freundschaft“, was schon dadurch erkennbar wird, daß im schön gestalteten Beiheft alle Texte ins Deutsche übersetzt wurden. „Europas Traum“ gedenkt beispielsweise den Opfern Dresdens und Stalingrad, um dann einen Bogen zum Kosovo-Krieg und der Nato-Bombardierung Novi Sads zu schlagen. Unweigerlich fühlt man sich hier an „Fields“, den Sol-Invictus-Klassiker erinnert, der bereits das Inferno in Dresden thematisierte – „Dresden burning in the night, Coventry is still alight“.
Musikalisch geht man weniger synthetisch vor als noch auf dem Vorgänger und integriert klagende Violinen und eine Balalaika in das schwermütige Klangbild, lediglich der Klang des Klaviers zeigt noch an, daß bei den Aufnahmen sicher nicht das große Geld verfügbar war. Nichtsdestotrotz handelt es sich bei „Strahlungen“ um ein atmosphärisch überaus stimmiges Neofolk-Album. Den Russen ist es gelungen, die hier meist kaum zu vermeidende Mischung aus „Kitsch und Tod“ zugunsten einer respektvollen Nachdenklichkeit zu umgehen.
Daß in Rußland die Neofolk-Uhren noch anders ticken, zeigt im übrigen auch das Projekt Svalbard. Hier wird gleich, fast komplett, in einem sehr guten Deutsch gesungen, vertont wird Rainer Maria Rilke („nur wer die Leier schon hob“, ein Auszug aus der „Sonette an Orpheus“) und „Blick in den Strom“ von Nikolaus Lenau. Die Musik ist allerdings in keiner Weise als folkig zu bezeichnen. Vielmehr dominieren teils ins Stumpfsinnige abgleitende Disco-Beats, nicht weit vom deutschen Popduo Rosenstolz entfernt. Positiver Höhepunkt des „Treue – Vaterland – Jugend“ betitelten Minialbums ist eine Neuinterpretation des Orplid-Stückes „Das Schicksal“.
Alles in allem ist Svalbard eher etwas für Sammler des Skurrilen, die einen Beweis dafür brauchen, daß der deutschsprachige Neofolk durchaus eine internationale Wirkung beanspruchen darf.